Renate Schmidt rechnet in Coburg die Formel der Altersarmut vor
Autor: Gabi Arnold
Coburg, Dienstag, 23. Mai 2017
Die Gleichstellung der Frau brennt Renate Schmidt auch im Jahr 2017 auf den Nägeln. Das machte die Politikerin bei einer Lesung in Coburg deutlich.
Als Renate Schmidt im Jahr 1961 ihre Arbeit als Programmiererin begann, war die Berufstätigkeit der Frau keinesfalls selbstverständlich, schon gar nicht in einer Männerdomäne. Bis zum Jahr 1977 konnte der Ehemann den Job der Frau sogar kündigen, wenn er der Meinung war, sie vernachlässige ihre häuslichen Pflichten. Heute, sagt die ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, habe sich zwar vieles verbessert, aber dies sei immer noch zu wenig. Die SPD-Politikerin gastierte am Montagabend in der Gaststätte "Münchner Hofbräu", um das Buch "Ein Mann ist keine Altersvorsorge" vorzustellen.
Mit der Vestestadt fühlt sich Renate Schmidt seit ihrer Kindheit und Jugend verbunden. "Ich habe mein erstes bis 14. Lebensjahr in Coburg verbracht und pflege noch Kontakte", sagte sie im Gespräch mit dem Coburger Tageblatt. Auf Einladung des SPD-Stadtverbandes und des Kreisverbandes Coburg Land war sie in die alte Heimat gekommen, um über das Thema Gleichstellung der Frau zu referieren. Im Gespräch wurde eines deutlich: Die Gleichstellung der Frau brennt Renate Schmidt (Jahrgang 1943) auch im Jahr 2017 nach wie vor auf den Nägeln. Viele gut ausgebildete Frauen, weiß Schmidt, verzichten demnach auch heute auf die Karriere zugunsten der Familie. Pausiert die Frau, um Kinder zu erziehen für längere Zeit, sei ein Wiedereinstieg in den Beruf oft nicht mehr möglich. "Nach zehn oder 15 Jahren schaut man mit dem Ofenrohr ins Gebirge", sagte Schmidt. Frauen verließen sich leider immer noch auf die Männer, obwohl 30 Prozent der Ehen in Deutschland scheiterten und ein Unterhaltsanspruch für die Frau nur bestünde, wenn die Kinder noch klein seien. Ehefrauen und Mütter, appelliert die Politikerin, dürften sich nicht mit der Rolle der "Zuverdienerin" abfinden.
Dazu müssten aber auch die Frauen die Initiative ergreifen: "Gleichberechtigung wird nicht auf dem Silbertablett serviert, Frauen müssen sich kümmern und auf die Barrikaden gehen." Von einer gerechten Rollenverteilung, ist die ehemalige Bundestagsabgeordnete überzeugt, profitierten auch die Männer, und somit sei Gleichstellung nicht ein Projekt der Frauen, sondern ein gesellschaftspolitisches Anliegen.
In den vergangenen Jahren hat sich laut Schmidt wenig getan in Sachen Gleichstellung
Das Buch, ein Gemeinschaftswerk von Renate Schmidt und der Frauenfinanzberaterin Helma Sick, belegt mit zahlreichen Fallbeispielen die Situation von Frauen in der Bundesrepublik. Renate Schmidt gab in ihrer Lesung einen Einblick. Demnach hat sich wenig in den vergangenen 20 Jahren in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen geändert. Sie sei immer noch unbefriedigend. Früher hätten Männer ihre Macht über körperliche Überlegenheit definiert, heute sei es immer noch die materielle Überlegenheit, und dies schaffe Abhängigkeiten. Viele Frauen führe genau diese Abhängigkeit vom Ehemann in die klassische Altersarmut, vor allem, wenn die Ehe scheitere.
"Kindererziehung plus Minijob plus Teilzeit plus die Betreuung der eigenen Eltern ist Altersarmut", sagt die Autorin. Zwei Drittel der privaten Pflegearbeit werde in Deutschland von Frauen ausgeführt. Die Hausarbeit, Kindererziehung laste immer noch zum Großteil auf den Schultern der Frauen. Als sinnvoll erachtet Schmidt das schwedische Modell, bei dem beide Partner möglichst gleich viel verdienen und sich die Eheleute die anfallende Arbeit gleich teilen. Schmidt fordert ein Umdenken vom Gesetzgeber, vom Arbeitgeber, sie fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Sie will weg von der alten Rollenverteilung und plädiert für die Abschaffung des Ehegattensplitting und der Witwenrente zugunsten einer zeitgemäßen Familienpolitik.
Nach der Lesung waren die Besucher zu einer Diskussion mit Renate Schmidt, dem SPD-Kreisvorsitzenden Carsten Höllein und der SPD-Bundestagskandidatin Doris Aschenbrenner eingeladen.