Reisen in sämtliche Dimensionen
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Freitag, 24. Juli 2015
Zwischen Mythos und historischer Realität liegen Länder voll unentdeckter Erfahrungen. Und dann: Ab in die Zukunft. Buch-Tipps für die Sommerzeit.
Sommerzeit ist Reisezeit, ganz besonders auch in den mehr oder weniger erhitzten Köpfen, in Geist und Traum, in der Fantasie: Lesezeit also. Da hat das Tageblatt doch gleich einige Empfehlungen. Versprochen sei genussvolle Lektüre mit anspruchsvollem Hintergrund, packende Geschichte aus Vergangenheit und Zukunft, Fesselndes für Jung und Alt:
Das Lied von Mond und Sonne
Mit Vonda N. McIntyres jetzt als Taschenbuch heraus gebrachtem Roman "Das Lied von Mond und Sonne" wird uns einmal mehr eine herausragende amerikanische Schriftstellerin ins Blickfeld gerückt, die quer zu den derzeit sehr beliebten Genres Historisches, Fantasy und Science Fiction schreibt und fasziniert. Das üppige Gesellschaftsbild vom Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. wurde 1997 mit dem Nebula Award ausgezeichnet, einem der wichtigsten Preise im Bereich von Science Fiction und Fantasy.
Das Leben am Hofe des gloriosen französischen Königs (1638 - 1715) ist allumfassend auf den absolutistischen Herrscher ausgerichtet. Es wird von McIntyre minutiös beschrieben, in all seiner Skurrilität, seiner Pracht, genauso aber in seinem realistisch-praktischen Ablauf, im Angesicht konkreter historischer wie erfundener Personen.
Der bis zur Verrücktheit artifi zielle Rahmen, in dem uns die Gedankenwelt des 16. Jahrhunderts begegnet, wird konterkariert durch den uralten Mythos vom Seeungeheuer. Eine Expedition Ludwigs bringt zwei dieser legendären Monster, an die sich Vorstellungen von ewigem Leben knüpfen, nach Versailles, einen Leichnam, der öffentlich seziert werden soll, und ein lebendes weibliches Exemplar. Die junge mittellose Hofdame Marie-Josèphe de la Croix wird mit der Pflege betraut.
Damit aber genug der Fantastik. Genug für ein tiefgreifendes und nahe gehendes Gedankenexperiment, das mit durchaus realistisch-skeptischem Blick ausgedeutet wird. McIntyre ist ursprünglich Naturwissenschaftlerin. In dem Seeungeheuer entdecken wir eine intelligente, tief empfindende Meerfrau, Angehörige eines freien Volkes, das sich in erster Linie singend verständigt und dessen Wahrnehmungsfähigkeit viel weiter reicht als die des Menschen. Während die Meermenschen bereit sind, das Andersartige zu akzeptieren, verharren die Bewohner des festen Landes in ihrer Engstirnigkeit und zerstören lustvoll und grausam, was sie nicht verstehen.
McIntyre gönnt uns neben einer intelligenten, herben Liebesgeschichte dem mythischen Stoff von den ausgerotteten Meereswesen entsprechend einen schönen, märchenhaften Schluss.
Vonda N. McIntyre: Das Lied von Mond und Sonne. Roman. Bastei Lübbe Verlag Köln, 637 Seiten, 9,99 Euro.
Die Fänger des Himmels
Zurück in unsere Zukunft: Der Baumhaus Verlag hat einen Science Fiction-Roman veröffentlicht, der keineswegs auf jugendliche Leserschaft beschränkt bleiben braucht. "Die Fänger des Himmels" von Thomas Krüger bietet einen differenziert und sehr spannend diskutierenden Blick in die Zukunft:
Mittels des sogenannten Memoportings können Menschen an anderen Stellen erscheinen, sie können sozusagen Kopien von sich selbst schicken. Die kopierten Körper lösen sich nach einem halben Tag wieder auf. Die Erlebnisse, Gefühle und Gedanken der Duplikate fließen ins Bewusstsein des Implement-Trägers zurück, was eine Art Rausch auslöst. Willig strömen die Menschen in die Implementklinik, um sich das mikrotechnische Gerät in die Thalamus-Region des Zwischenhirns einsetzen zu lassen.
Alissas Vater, einer der Entwickler des sogenannten Kontinuums, eines energetischen Netzes, innerhalb dessen das Memoporting funktioniert, erkennt die totalitären Gefahren, die von dem Entwicklerkonzern Posisco ausgehen. Er wird entführt. Für Alisa und ihren blinden Freund Tiras beginnt ein Kampf um Leben und Tod und die Freiheit der Menschen.
Keineswegs verschroben oder abgehoben, konfrontiert uns die Geschichte mit Grundfragen unserer Gesellschaft. Dass dies in oftmals sogar poetischer Kunst der Beschreibung geschieht, ist bei diesem Autor keineswegs verwunderlich. Thomas Krüger hat sich auch schon durch Lyrik hervorgetan.
Thomas Krüger. Die Fänger des Himmels. Roman. Baumhaus Verlag Köln, 543 Seiten, 16,99 Euro.
Farbe und Geist kommen
Graue Maschinenwelt, übermächtig wie im Film "Metropolis". Die ganze Welt besteht aus Zahlen. "Sie waren schön geformt und hielten die Dinge in Ordnung. Das Leben war irgendwie... sortiert." Freude gab es allerdings keine. Was fünf Freunde, die Zahlen 1 bis 5, antreibt: Sie werkeln, bis Buchstaben aus den Zahlen entstanden sind. Und damit verändert sich die ganze Welt.
Diese - wenn man so will - Schöpfungsgeschichte menschlicher Geisteswelt im Miniaturformat hat der amerikanische Autor und oscarprämierte Filmemacher William Joyce verfasst unter dem Titel "The Numberlys", in der Ästhetik des monumentalen Stummfilmes von Fritz Lang in eine üppige, expressive Bilderfolge umgesetzt von Christina Ellis.
Dieses Bilderbuch-Kunstwerk ist jetzt von Hardy Krüger jr. ins Deutsche übersetzt im Boje Verlag erschienen. Vom beeindruckenden Schwarz-Weiß in die Farbenfreude führend: "Wie die Farben in die Welt kamen". Die Farben stehen für Lebensfreude und neue Geisteswelten.
Wer überlässt denn solche Bücherschätze noch den Kindern?
William Joyce & Christina Ellis: Wie die Farben in die Welt kamen. Boje Verlag, 52 Seiten, 14,99 € .
Germanicus kam mit acht Legionen
Ausflug in den Zoo
James Krüss starb 1997. Seine Kinder- und Jugendbuch-Schöpfungen scheinen ein unerschöpflicher Fundus für immer weitere Auflagen. "Auflauf im Zoo" wurde jetzt von Annette Swoboda, einer der gefragtesten Illustratorinnen Deutschlands, so erfrischend, herzig und witzig farblich fabuliert, dass dieser Bilderbuch-Ausflug in den Zoo zu Reimen von James Krüss ein besonderes Erlebnis für Kinder und ihre Vorleser darstellt.
James Krüss/Annette Swoboda:Auflauf im Zoo. Bilderbuch. Boje Verlag, 26 Seiten, 12,99 Euro.