Politik & Sex & Renaissance in Coburg
Autor: Simone Bastian
Coburg, Dienstag, 17. November 2015
Zwei Herzogskinder, eine aus politischen Gründen geschlossene Ehe, Betrug, Intrigen und eine unglückliche Gefangene: Was wie Stoff für eine Fernsehserie klingt, ist eine wahre Geschichte aus Coburg von vor 400 Jahren.
Ehe- sind auch Machtfragen. Christian Boseckert befasst sich für seine Dissertation mit den Machtstrategien von Herzog Johann Casimir von Sachsen-Coburg (1564-1633). Doch nun fällt als Nebenprodukt ein Vortrag über die erste Ehe des Herzogs ab - und Boseckert verspricht, dass er mit neuen Erkenntnissen aufwarten kann.
Johann Casimir , mit seinen Brüdern am Hof der Feinde seines Vaters erzogen, musste versuchen, seine Position als Herzog von Sachsen-Coburg zu sichern, die sein Vater und Großvater "durch ihre katastrophale Politik gegenüber dem Kaiser" fast zunichte gemacht hatten, wie Boseckert sagt. Erst ein Beschluss des Reichstags setzte Casimir und seine Brüder wieder in ihre Rechte ein; die Kurwürde hatte das Herzogshaus da freilich schon verloren.
Die Ehe mit Prinzessin Anna von Sachsen (1567 - 1613), der Tochter seines Vormunds Kurfürst August von Sachsen, sei Teil dieser Machtstrategie gewesen, sagt Boseckert. Zumindest habe Johann Casimir geglaubt, dass ihm die 1586 geschlossene Ehe nützen könnte, um seinen Vater aus der Gefangenschaft freizubekommen. Aber auch aus kursächsischer Sicht habe es Gründe gegeben, dieser Eheschließung zuzustimmen: Es sei um Friedenssicherung und Ausdehnung des Machtgebiets gegangen, sagt Boseckert. Nur: Beide Ziele hätten sich nicht erfüllt, "in den Erwartungen an diese Ehe steht schon ein richtig großes Missverständnis".
Der treulose Statthalter
An dieser Stelle kommt schon der erste Intrigant ins Spiel: Graf Burkhard von Barby, von den drei Kurfürsten als Statthalter in Coburg eingesetzt, habe da falsches Spiel mit Kurfürst August und Johann Casimir gespielt, sagt Boseckert. Barby habe überdies das Herzogtum stark verschuldet und in die eigene Tasche gewirtschaftet. "Eine zwielichtige Person", kommentiert Johannes Haslauer, der Leiter des Coburger Staatsarchivs, das alle noch vorhandenen Korrespondenzen und Akten der Herzöge aufbewahrt. Auch die aus Casimirs Zeit: Kleine und große Blätter, mal in Schönschrift vom Kanzlisten, mal von Herzogin oder Herzog selbst verfasst. Da findet sich auch mal Triviales, wie ein kleines Bild eines neuen Kleids ("pomeranzenfarbenes Tuch mit leichtgelben Seiden") oder das Thema Kindererziehung.Die Ehe von Anna und Johann Casimir blieb indes kinderlos - und das sorgte für Stress. "Belegt sind Scheinschwangerschaften", sagt Boseckert. Die hörten 1589 auf - und Anna erlitt einen Nervenzusammenbruch. Um diesen zu kurieren (und um für Nachwuchs zu sorgen), konsultierte das Ehepaar Hieronymus Scotto oder Scotus - die nächste zwielichtige Gestalt. Dass er die zentrale Figur für die Scheidung von Johann Casimir und Anna war, haben schon die Autoren vor Boseckert geschrieben. "Aber Anna wird da immer sehr schwarzweiß gezeichnet", sagt der Historiker. "Sie ist entweder die böse Ehebrecherin oder das Opfer einer Intrige."
Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen: Dass Anna sowohl mit Scotto als auch mit Ulrich von Lichtenstein außereheliche Beziehungen hatte, gab sie im Scheidungsprozess zu. Wer da wen wie verführt hat, schildern die Beteiligten damals schon unterschiedlich.
Der Herzog überfordert
Boseckert fragt sich indes, ob Johann Casimir die außerehelichen Beziehungen nicht sogar geduldet hätte, wären sie nicht aufgeflogen. Dass Anna schon vorher kein Kind von Traurigkeit war, gehe aus den Akten auch hervor - immer wieder beziehen sich Briefe an oder über Anna darauf. Und: Es gibt Briefe von Anna an ihren Gemahl, in denen sie ihm Versagen im Bett vorwirft. Briefe, die über die Jahrhunderte im Archiv in einem versiegelten Umschlag aufbewahrt wurden und nur "mit Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde" geöffnet werden durften, wie auf dem Umschlag vermerkt ist."Die Briefe spiegeln eine gewisse Vertrautheit", meint Boseckert. Johannes Haslauer nennt sie "in ihrer Eindeutigkeit bemerkenswert", denn sie gewähren einen intimen Einblick in die Ehe eines Fürstenpaares.
Boseckert vermutet, dass Anna auch nach sechs Ehejahren ihre Rolle am Coburger Hof noch nicht recht gefunden habe: Als 18-Jährige, frisch verheiratet, habe sie noch nicht die Erfahrung gehabt, einen Haushalt zu führen. Der kursächsische Hof gab ihr sozusagen einen eigenen Hofstaat mit und finanzierte den auch. Kinderlos und offenbar nicht eben fromm, fand Anna keine rechte Aufgabe für sich und langweilte sich, wenn ihr Gemahl nicht da war. "Die Beziehung zwischen beiden ist bis zum letzten Tag gut", ist Boseckert überzeugt. Als der Ehebruch herauskam, sei Johann Casimir, von dieser Situation überfordert, nach Torgau zu einem Vertrauten geflohen. Beim Herzog wurden außereheliche Beziehungen akzeptiert, bei einer Herzogin nicht - und ein gehörnter Herzog hätte ein gewaltiges Imageproblem gehabt. Casimir musste also handeln und sich als das Opfer darstellen. Die Folge: Scheidung.
Dass Anna in den Folgejahren erst in Esienach, dann im Kloster Sonnefeld und später auf der Veste festsaß, führt Bosecker darauf zurück, dass Johann Casimir und der kursächsische Hof sich um die Mitgift stritten. Das Scheidungsgericht sprach Johann Casimir die Mitgift zu, der kursächsische Hof wollte die Prinzessin aber nur inklusive Mitgift zurücknehmen. Das führte zwar zu einer schweren politischen Krise, aber Anna war am Ende nicht geholfen: Sie starb 1613 auf der Veste.
Casimir habe von dem Vorfall oder seiner ersten Frau später nur noch sehr unpersönlich gesprochen, sagt Boseckert. "Er nannte sie die custodierte Person oder den Unfall". Dass er den berühmten "Kusstaler" prägen ließ, wie es immer wieder heißt, sei unwahrscheinlich. Johann Casimir habe die Angelegenheit möglichst schnell vergessen machen wollen. Seine zweite Ehe mit Margarethe von Braunschweig musste daher auch gelingen. Schon nach einem Monat kaufte er ihr ein Schloss in Oeslau, damit sie dort einen eigenen Haushalt führen konnte. Kinderlos blieb indes auch diese Ehe.