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Patientenverfügung, Pflege, Tod: Wie sprechen wir mit unseren Eltern darüber?10 Tipps für Familien


Autor: Natalie Schalk

Bamberg, Freitag, 21. Sept. 2018

Irgendwann kommt die Zeit, in der die Eltern alt werden. Schwach. Vergesslich. Darüber müssen wir reden. Aber wie? Ein Gesprächsleitfaden.
Generationenkonflikte hat jede Familie - oft liegt's auch an falscher Gesprächsführung.


Menschen werden alt, pflegebedürftig. Irgendwann sterben wir. Alle. Trotzdem fällt es uns schwer, mit unseren Familien über Unterstützung im Alltag und rechtliche Dinge wie Patientenverfügung und Testament zu sprechen. "Wenn wir es geschafft haben, ist das eine große Erleichterung", verspricht Johanna Thomack. Sie ist Fachtherapeutin für Psychotherapie und betreut seit 25 Jahren bei der Arbeiterwohlfahrt Awo in Coburg pflegende Angehörige. Sie hat oft erlebt, wie Kinder an der Uneinsichtigkeit der Alten verzweifeln und die wiederum empört sind, wie unverschämt die Jungen ihnen Vorschriften machen wollen. Johanna Thomack erklärt, warum die Gespräche oft aus dem Ruder laufen - und wie Sie es besser machen können. 1. Keine Überraschungsangriff e Wer überfallen wird, ergreift instinktiv die Flucht oder geht zum Gegenangriff über. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie recht haben. Sie können diese Dinge nicht schnell mal nebenbei klären. Geht es um die nachlassende Fähigkeiten und Fertigkeiten, um Krankheit und Tod, Selbstbestimmung und Geld, braucht es Geduld. Vor allem, wenn Sie sich in den letzten Wochen, vielleicht sogar Monaten, rar gemacht haben, müssen Sie sich erst um einen guten Kontakt bemühen. Geben Sie den Eltern die Gelegenheit, sich vorzubereiten und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren. Fangen Sie nicht am Rande einer Familienfeier damit an und fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus. Nutzen Sie Situationen, bei denen Ihre Familie traditionell ins Gespräch kommt: beim Abspülen, dem Spaziergang, der Zigarette auf dem Balkon. 2. Nutzen Sie Ressourcen Beziehen Sie von Anfang an alle Geschwister mit ein. Es macht sich schlecht, wenn die Mutter einem ihrer Kinder erzählt: "Du, deine Schwester hat gesagt, wir müssen 'mal drüber reden, was mit dem Haus wird." Dann wird geargwöhnt, dass es ums Erben ginge. Es ist zwar in Ordnung, sich mit Unbeteiligten auszutauschen, aber teilen Sie Ihre Sorgen auch mit denjenigen, die Ihnen und den Eltern am nächsten stehen. Bruder, Schwester und Familienfreunde sind Ressourcen, die Sie nutzen sollten. 3. Das Wertbild verstehen Beschäftigen Sie sich mit Ihren eigenen Werten, bevor Sie mit Ihren Eltern reden. Was macht Sie zufrieden, worauf sind Sie stolz, was ist Ihnen wichtig? Stunden mit Familie und Freunden, das eigene Haus oder die schöne Wohnung, finanzielle Unabhängigkeit, Anerkennung im Beruf, Reisen, Freiheit, Mobilität, Fitness? Versuchen Sie, sich in Ihre Eltern einzufühlen: Was ist Mutter und Vater wichtig? Wofür haben sie gekämpft, auf welche Lebensleistung sind sie stolz? Was fürchten sie im Alter zu verlieren? Denken Sie darüber nach - aber gehen Sie nicht davon aus, dass Sie richtig liegen. Einer der häufigsten Fehler von Angehörigen ist, zu glauben, sie wüssten, was wichtig und richtig ist. Machen Sie sich auf Überraschungen gefasst. 4. Akzeptieren Sie neue Werte Für Kinder ist oft eine Überraschung, wenn die Mutter, die immer nur für die Familie da war und dankbar alle Entscheidungen dem Vater überließ, nach seinem Tod großen Wert auf Freiheit und Selbstständigkeit legt. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie sich die Wertesysteme ändern können. Am intensivsten nehmen wir unsere Eltern in der Jugend wahr. Bis zu einem Gespräch übers Altwerden und Sterben vergeht viel Zeit, und da verändert sich die Einstellung oft. Seien Sie nicht enttäuscht, weil Ihre Eltern anders denken als erwartet. Akzeptieren Sie, dass beispielsweise Selbstständigkeit wichtig ist - auch wenn diese Gefahren birgt. Erinnern Sie sich an Ihre Jugend: Da fürchteten die Eltern die Gefahren und Sie wollten Freiheit. 5. Sprechen Sie über sich Man sollte solche Gespräche mit "Ich" beginnen: "Papa, ich mache mir viele Gedanken darüber, wie ich alt werden möchte", ist ein guter Anfang. Ich-Botschaften sind wertschätzend, zeigen dem anderen, dass man ihn als Gesprächspartner ernst nimmt. "Ich habe mit meinem Partner über Vorsorgevollmacht gesprochen, wir haben's jetzt geregelt. Wie denkt Ihr darüber? " Es hilft auch, mit gutem Beispiel voranzugehen: Beispielsweise, wenn die 58-Jährige eine Vorsorgevollmacht hat, die sie ihrer 88-jährigen Mutter zeigen kann. 6. Beschreiben statt bewerten Auch wenn Sie sich viele Gedanken gemacht haben: Ein gutes Gespräch beginnt nicht mit einem Fazit. "Du siehst nicht mehr so gut und deine Reaktionszeit ist echt langsam geworden. Den Führerschein musst du wirklich abgeben. Aber wir holen dir eine Monatskarte für den Bus, da kommst du auch in die Stadt, wann du willst." Verständlich, wenn sich die Kinder sorgen. Dass sie gleich eine Lösung präsentieren, ist gut gemeint. Aber die Bewertung vermittelt Minderwertigkeit. Darin steckt: "Du kannst es nicht mehr." Stattdessen sollten Sie nur Ihre Beobachtung beschreiben und versuchen, dass auch im Tonfall keine Wertung mitschwingt. Auch wenn das schwer ist. 7. Fragen, zuhören! Versuchen Sie, Fragen zu stellen, statt Antworten zu geben. "Papa, ich habe den Eindruck, dass du beim Autofahren unsicher bist. Woran liegt das?" oder "Mama, was würde dir fehlen, wenn du in ein Seniorenheim ziehst?" Hören Sie zu, dann erfahren Sie vielleicht, dass Ihre Eltern vor allem deshalb nicht in ein Heim wollen, weil sie fürchten, dann nicht mehr als Gastgeber, als Familienoberhaupt, auftreten zu können. Oder dass sie Angst haben, ihre Bücher, die Werkzeugsammlung oder die 120 Lieblingskleider nicht behalten zu können. Ihre Eltern haben vielleicht ganz andere Überlegungen als Sie. Suchen Sie gemeinsam Lösungen, stülpen Sie den Eltern nicht Ihre Vorstellungen über. 8. Beim Thema bleiben Gespräche über Alter, Pflegebedürftigkeit und Tod sind unangenehm. So unangenehm wie damals das Aufklärungsgespräch in der Jugend - bei beidem neigt man dazu, abzuschweifen. Bleiben Sie beim Thema! Und entscheiden Sie sich für ein Thema. Beginnen Sie nicht mit Tod und Sterben und enden nach einem Rundumschlag mit Horrorszenarien, was passiert, wenn nicht endlich die nötigen Unterlagen ausgefüllt oder die nächsten Schritte ergriffen werden. Das macht Angst. Hilfe anzubieten bedeutet, kleine Brötchen zu backen. Wenn es beispielsweise darum geht, dass Sie den Eindruck haben, Ihre Eltern können das viel zu große Haus nicht mehr sauber halten, suchen Sie konkrete Lösungen für dieses eine Problem, und zeigen sie Alternativen auf. Beispielsweise muss das Haushaltsproblem nicht automatisch der erste Schritt in Richtung Altenheim sein. Jemand kann im Haushalt helfen, vielleicht auch nur übergangsweise. Ermuntern Sie die Eltern, Dinge auszuprobieren, und machen klar, dass es wieder geändert wird, wenn sie unzufrieden sind. 9. Respektieren Sie Ablehnung Wissen Sie noch, wie es war, als Ihre Eltern Ihnen reinreden wollten? Bei Ihrem Berufswunsch, der Partnerwahl, dem Umzug? Noch einmal: Es geht nicht darum, wer recht hat. Es geht darum, den anderen zu akzeptieren - und das bedeutet auch, Ablehnung auszuhalten. Schwierige Themen lassen sich oft nicht in einem Gespräch klären, aber wenn das Gespräch gut ist, wirkt es weiter. Ihre Eltern werden darüber nachdenken. Und wenn Sie gut zugehört haben, werden Sie auch viel Stoff zum Nachdenken haben. Manchmal geht es erst im nächsten oder übernächsten Gespräch voran. Nehmen Sie sich die Zeit. Auch in der professionellen Beratung empfiehlt Johanna Thomack, erst einmal darüber zu schlafen, bevor Unterlagen wie Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Testament angegangen oder ein Umzug geplant wird. Ist alles gesagt und besprochen, und die Eltern wollen trotzdem keine Veränderung, müssen Sie das respektieren. Halten Sie das fest: "Ich akzeptiere, dass Ihr das jetzt nicht ändern wollt, auch wenn ich mir weiter Sorgen mache. Sagt mir Bescheid, wenn sich etwas ändert." Das ist nicht leicht - vor allem, wenn man weiß, dass es aus dem Ruder läuft. Dann muss man sich Luft verschaffen - bei Freunden, dem Partner oder den Geschwistern. Nicht gegenüber den Eltern. Drohungen nach dem Motto: "Ich hab's jetzt drei Mal probiert, jetzt ist Schluss ich kümmere mich nicht mehr um Euren Kram", sind nicht zielführend. Manchmal müssen ältere Leute erst erspüren, dass sie hilfebedürftig sind. Johanna Thomack erzählt von einer taffen Frau, die alleinerziehend war, immer alles selbst geregelt hat und sich in manch brenzlige Situation brachte. Mit über 90 ist sie, wie sie immer war. Als ihr auffiel, dass ihre Gardinen gelb waren, stieg sie auf den wackeligen Esstisch und nahm sie zum Waschen ab. Wegen ihrer Osteoporose kam sie nicht mehr runter. Sie saß den ganzen Nachmittag auf dem Tisch. Danach war sie bereit, Hilfe anzunehmen. Wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, klar zu denken, sieht es anders aus. Aber solange einer noch helle im Kopf ist, muss man ihn entscheiden lassen. 10. Locker bleiben!

Je schwerer das Thema, umso wichtiger ist es, dem Gespräch einen Schuss Gelassenheit zu geben. Die Einstellung ist entscheidend. Unsicherheit darf nicht überwiegen. Versetzen Sie sich in den anderen, spielen Sie mit den Rollen, witzeln Sie. Wenn Ihre Eltern betonen, Sie müssten sich keine Sorgen um sie machen, können sie wie ein bockiges Kind reagieren: "Bitteschön, wenn ihr keine Hilfe annehmen wollt, dann eben nicht!" Oder Sie erinnern daran, wie es früher war: "Jaja, ich habe Euch doch auch immer gesagt, dass Ihr euch keine Sorgen machen braucht, wenn ich nachts um die Häuser gezogen bin. Und Ihr habt trotzdem nicht schlafen können ...".

Beratungsstellen

In jeder Region gibt es bei den Wohlfahrtsorganisationen Fachstellen für pflegende Angehörige. Sie sind auch Anlaufstellen in allen Fragen rund ums Altwerden - nicht erst, wenn ein Familienmitglied ein Pflegefall ist. Oft ist es ideal, wenn die gesamte Familie miteinander spricht, aber es gibt auch Dinge, die Ehepartner (erst einmal) nur unter sich ausmachen wollen. Auch dabei ist sinnvoll, eine neutrale Person dabei zu haben, die fachlich beraten kann und das Gespräch vermittelnd begleitet. Grundsätzlich lohnt es auch zu schauen, welche Beratungsstellen es in der eigenen Kommune gibt und bei welchen Themen sie helfen können. Gute Ansprechpartner bei Patientenverfügungen sind beispielsweise auch Hospizvereine und Pflegestützpunkte, die es in Nürnberg, Roth, Coburg, Würzburg, Schweinfurt, Haßfurt und Bad Neustadt a.d.S gibt. nat