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Pater Anselm Grün in Coburg: Wie man mit Müdigkeit umgeht


Autor: Simone Bastian

Coburg, Freitag, 14. November 2014

Benediktinerpater Anselm Grün spricht im vollbesetzten Kongresshaus über gute und schlechte Müdigkeit und welche Lehren sie vermittelt. Denn "Müdigkeit ist eine Einladung, aufzuwachen".
Pater Anselm Grün beim Vortrag im Kongresshaus. Foto: Simone Bastian


Anselm Grün, 69 Jahre, Benediktinerpater, weltweit übersetzter Buchautor, erfolgreicher Manager. "In einem Wirtschaftsunternehmen wäre er der Finanz- und Personalchef in einer Person", sagt Siegfried Wölki, Vorstand der Sparkasse Coburg-Lichtenfels, über den Mann im schwarzen Habit. Bis Oktober 2013 war Grün als Cellerar der Benediktinerabtei Münsterschwarzach dafür zuständig, dass die 20 klostereigenen Betriebe liefen und dass die Geldgeschäfte nicht schiefgehen. Grün schaut aus wie ein Padre aus dem Bilderbuch, im schwarzen Habit, das silbrige, fast schulterlange Haar schon etwas licht am Hinterkopf, das Gesicht umrahmt von einem grauen Bart.

"Ich bin müde. Neue Lust am Leben erfahren" ist sein Vortrag im vollbesetzten Coburger Kongresshaus überschrieben. Zu ihren Wirtschaftstagen hat die Sparkasse wieder an zwei Abenden Referenten geladen.

Der einfach auftretende Pater Anselm Grün ist das Kontrastprogramm zum exaltierten Jochen Schweitzer am Abend zuvor.

Weiß der Pater, was Müdigkeit ist? Nicht die angenehme Müdigkeit nach einem Tag harter und erfolgreicher Arbeit, sondern die Müdigkeit des Frusts, des Einfachzuviel, des Überdrusses? So, wie er redet, kennt er diese schlechte Müdigkeit nur vom Hörensagen, aus den Geschichten, die seine Klienten im Recollectio-Haus seiner Abtei in Münsterschwarzach erzählen oder die Manager, vor denen er Vorträge hält. Doch, halt, eine besondere Art Müdigkeit kennt Grün auch: Die in Vorträgen oder bei Gesprächen, wenn es schwerfällt, beim Redner zu bleiben. Er und seine Beraterkollegen haben diese Art Müdigkeit analysiert: Sie stelle sich dann ein, wenn nicht über das geredet wird, um das es eigentlich geht, sei es in einer Mitarbeiterkonferenz oder in einem Therapiegespräch. Da sieht man viele zustimmende Mienen im halbdunklen Saal.

Beziehungsmüdigkeit, Müdigkeit von sich selbst: Pater Anselm kann viele Zustände beschreiben, in denen die Lust und die Energie fehlt. Burn-Out ist für ihn eine besondere Form, eine Über-Müdung, die sich dann einstellt, wenn der Mensch die Signale der Müdigkeit nicht gehört hat. "Müdigkeit ist eine Einladung, aufzuwachen." Innehalten. Pause machen. Dinge ändern. Manchmal kann Müdigkeit auch tatsächlich daher rühren, dass man einfach zu wenig geschlafen hat. Nicht schlafen konnte.

Klingt banal? Das macht die Diagnose nicht falsch. Die Gegenmittel, wie achtsam sein, sich Muße gönnen, seine Vorstellungen von sich selbst und der Welt zu überprüfen, sind ebenfalls nicht neu. Der Pater vermischt sie mit einer wohldosierten Gabe Bibelwort und Gottesbezug, spricht von Spiritualität und den Erkenntnissen der "frühen Mönche". Grün verwendet gern Sprachassoziationen. "Hetze" und "Hass" sind ihm miteinander verwandt, innehalten hat etwas mit "innen Halt finden" zu tun. "Alle Gefühle haben einen Sinn", verkündet der Ordensmann und schließt: "Das waren einfach ein paar Gedanken."

Heilende Spiritualität

Mit dieser Herangehensweise erklärt er im Pressegespräch auch seinen Erfolg: Er verwende eine Sprache, die die Menschen verstehen, er moralisiere und belehre nicht, sagt er. "Die Menschen haben Sehnsucht nach heilender Spiritualität." Daneben sieht Grün die krankmachenden oder gefährlichen Formen der Spiritualität, seien es religiöser Fundamentalismus oder ein zerstörerisches, weil von Selbsthass getragenes Gottesbild.

Daran, dass sich viele Menschen von den christlichen Kirchen abwenden, gibt er den Institutionen durchaus eine Mitschuld: "Beide Kirchen haben früher zu stark moralisiert. Die erste Botschaft lautet: Du bist Sünder", sagt er. Nun geben sich die Kirchen weltlicher, offener - aber den Zulauf haben Sekten oder der Islam. Der sei, so Grün, "eine Herausforderung an uns Christen, dass wir zu lau geworden sind". Die christlichen Kirchen müssten ihre Botschaft wieder deutlicher zur Sprache bringen und dazu stehen.

Grüns Botschaft im Abschlussritual im Kongresshaus lautet: Der Mensch ist nicht vollkommen, aber Gott kann damit leben und der Mensch somit auch. Der Pater hat es natürlich viel schöner gesagt.

Fünf Gründe für Burn-out


Müdigkeit sei nicht dasselbe wie Burn-out, sagt Pater Anselm Grün. Burn-out speise sich aber aus der Müdigkeit. Fünf Gründe nennt er, die zum Burn-out führen:
1. Nicht aus klaren Quellen schöpfen, sondern aus trüben. Perfektionismus oder selbst auferlegter Druck als Triebfeder.
2. Nicht aus der inneren Mitte heraus leben, nur Erwartungen anderer erfüllen.
3. Zu viel Energie für die Fassade verwenden.
4. Müdigkeit überspringen.
5. Systemische Gründe wie schlechte Strukturen im Unternehmen, schlechte Führungskräfte usw.