Partnerschaft wurde immer enger
Autor: Gabi Bertram
LKR Coburg, Mittwoch, 25. Sept. 2019
Auch wenn mittlerweile drei Jahrzehnte vergangen sind, kann sich Gerd Braun noch bis ins Detail an die aufregenden Tage um den 9. November 1989 erinnern. Es wurde auch die Geschichte einer innigen Freundschaft.
In der Grenzstadt Eisfeld brodelte es, und Tausende von Fahrzeugen standen in den Straßen in den Tagen um den 9. November 1989. Wenn Gerd Braun die Zeit vor drei Jahrzehnten Revue passieren lässt, kann er gar nicht aufhören zu erzählen - es gibt so viele Geschichten, Erlebnisse, Episoden und Glücksmomente, mit denen glatt ein Buch zu füllen wäre. Gerd Braun sagt: "Das vergisst man nie, und dabei gewesen zu sein, nenne ich einen Glücksfall der Geschichte."
Am 17. Oktober 1988 wurde Gerd Braun Bürgermeister der Stadt Eisfeld. Klar, er zuckt mit den Schultern, habe es in tiefster DDR-Zeit wohl keinen Bürgermeister in einer Grenzstadt gegeben, der nicht Parteimitglied war. Ein bequemer Zeitgenosse aber war Gerd Braun sicher nicht. Er war und ist einer, der kein Blatt vors Maul nimmt, der pragmatisch an die Sache rangeht, aber auch die Ärmel hochzukrempeln weiß und manchmal hemdsärmelig Probleme zu lösen versteht. Ohne viel Geschnacke.
Erste Fußspur in Coburg
Dankbar ist er noch heute, dass diese Revolution friedlich verlaufen ist. Dabei, erinnert er sich, habe es schon Augenblicke gegeben, wo es bei der ersten großen Versammlung im Eisfelder Volkshaus am 30. Oktober 1989 mächtig gebrodelt hatte und eine Eskalation nicht auszuschließen war. Die Kirche, sagt er, habe viel zu diesem friedlichen Verlauf beigetragen.
Am 9. November wurden dann die Grenzen geöffnet. In Eisfeld, meint Braun, habe man das an diesem Tag noch nicht richtig realisiert und dem Frieden aus der Schabowski-Rede nicht getraut. Erst, als am 10. November morgens um 7 Uhr der Schornsteinfegermeister Hanner im Rathaus an des Bürgermeisters Tisch stand und erzählte, er komme gerade aus Coburg, habe den Fuß kurz auf den Marktplatz gestellt und sei wieder zurückgefahren, weil schließlich die Arbeit begann, kam der Stein richtig ins Rollen. Noch war es allerdings ruhig geblieben, bis gegen 17.30 Uhr das Telefon klingelte und ein Hauptmann der Grenztruppen durchstellte, das Rathaus zu öffnen, um Visa auszustellen. Braun, der schon zu Hause war, kehrte postwendend zum Rathaus zurück, wo bereits Hunderte Eisfelder nach einem Visum anstanden, das von der Polizei ausgestellt wurde. "Ich schloss das Rathaus auf, und es wurden immer mehr Leute, nur von der Polizei war nichts zu sehen", erzählt Gerd Braun.
Eine Nacht im Rathaus
Als dann gegen 19.15 Uhr endlich die Polizei ankam, oblag Braun die Aufgabe, die Visa zu siegeln. 15 DDR-Mark hatte das Visum gekostet - Geld, das im Tresor landete, ohne dass jemand irgendeine Quittung ausstellte. Im Rathaus wurde die Nacht zum Tag gemacht. Braun erinnert sich noch an ein junges Pärchen, das mit dem Motorrad aus Rostock gekommen war, beim Tanken von den offenen Grenzen erfuhr und in Eisfeld nach Visa anstand. Nachts holte Braun dann in der Bäckerei des Vaters Brötchen, zu Hause Wurstbüchsen, und Kaffee wurde unaufhörlich gekocht.
Schon in den Nachtstunden und bis in die nächsten Tage hinein füllten sich die Straßen rund um Eisfeld in Richtung Coburg mit Hunderten Trabis, Wartburgs, Ladas. Die Schlangen standen zum Teil bis hinter Brattendorf.
Gerd Braun machte die Nacht durch, zog sich am Samstag nach dem Mittag nur kurz zu Hause um, und weiter ging's bis Sonntagabend. Um die 20 000 Leute, schätzt er, seien in diesen Tagen zunächst mit Visa, dann mit Pässen ausgestattet worden. Braun selbst hatte für sich und die Familie am Samstag Visa und Pässe geholt. Und die Pässe hat er noch heute, wie auch sein Parteibuch, das er im Februar 1990 hinlegte, sich zugleich schwor, nie wieder in eine Partei einzutreten. Später sollte er die Freien Wähler mit aus der Taufe heben.