Ortstermin beim Schützenhaus-Prozess
Autor: Ulrike Nauer
Coburg, Donnerstag, 01. August 2013
Ein Ortstermin führte die Prozessbeteiligten gestern in den Keller des Alten Schützenhauses. Weil der Angeklagte unklare Angaben zu den Gegebenheiten gemacht hatte, geriet Gerhard Amend kurzzeitig in Rage.
Eine steile gepflasterte Garageneinfahrt, ein enges Labyrinth von Gängen und Räumen und ab einer Körpergröße von 1,80 Meter heißt es: Kopf einziehen! Hier, im Keller des Alten Schützenhauses will Ulrich S. mit jener Schrotflinte, mit der er seine Frau erschossen hat, Ratten gejagt haben. Vorsitzender Richter Gerhard Amend wollte sich und den Prozessbeteiligten die Gelegenheit geben, sich von der Situation im Keller selbst ein Bild zu machen, und beraumte gestern Nachmittag einen Ortstermin im Weichengereuth an.
Dabei gab es allerdings einigen Ärger, denn zum Teil waren Umbauten vorgenommen worden und der Angeklagte sprach plötzlich von Spanplatten auf dem Boden, die er vorher nie erwähnt hatte. Dort, wo unter dem Alten Schützenhaus jetzt Gipswände eingezogen sind, sich Stühle und anderer Krimskrams stapeln, sei einmal eine große Fläche gewesen, erläuterte der Angeklagte.
"Ich weiß nicht, warum das so wichtig ist", versuchte der Angeklagte daraufhin, den aufgebrachten Richter zu beruhigen. Außerdem demonstrierte er den Gutachtern, wie er in dem niedrigen Raum von der Zufahrt aus auf die angeblichen Ratten geschossen haben will. Dazu werden am heutigen Freitag auch die Sachverständigen aussagen.
Hat Ex-Frau Zeugin beeinflusst?
Die Rolle der geschiedenen zweiten Ehefrau von Ulrich S. war gestern erneut Thema: Eine Zeugin, die mit der getöteten Marie S. gut befreundet war, sagte aus, Eva-Maria S. habe sie im Januar zu sich gebeten. "Die Eva hat gesagt, dass ich nicht aussagen soll. Das wäre nicht gut für alle, wenn ich aussagen würde."
Die Zeugin entschloss sich dann aber doch zur Aussage. "Ich bin doch ihre Freundin gewesen. Ich musste da was dazu sagen." So bestätigte sie dem Gericht gestern, dass Marie S. von Coburg weg wollte. "Sie wollte unbedingt nach München und dort ganz neu anfangen - mit Uli. Sie hat gesagt, das wäre ihr Traum gewesen."
Vor allem aber habe sie Abstand von der Ex-Ehefrau ihres Mannes gesucht. "Weil sie sie nicht mehr ertragen konnte. Sie hat Eva gehasst. Das hat sie sehr oft gesagt", erzählte die Zeugin. Das "Dreiecksverhältnis" sei aber wohl nur "sehr intensiv geschäftlich" gewesen.
Sicher habe es Zeiten gegeben, wo sich die beiden Frauen gut verstanden hätten, sagte die Zeugin. Sie selbst habe Eva-Maria S. allerdings nie gemocht, "weil sie so kalt ist. Das hat Marie auch oft gesagt, das ist eine kalte Frau, die hat kein Herz. Sie war so bestimmend."
Nun wollte es Gerhard Amend genau wissen: "War sie nicht froh, dass sie den Uli jetzt ganz für sich allein hatte?" Die Antwort kam nur zögerlich: "Das Gefühl habe ich ja gehabt, aber ich wusste, dass der Uli die Marie liebte." Nach dem Tod ihrer Freundin habe sie aber bei sich gedacht, nun habe die Ex-Frau "freie Bahn".
An ein angebliches Liebesverhältnis mit einem Münchner Vorgesetzten glaubt die Zeugin nicht: "Das hätte sie mir gesagt. Sie liebte den Uli und hatte mit dem anderen kein Verhältnis." Marie S. habe zwei, drei Tage in der Woche in München gearbeitet und habe das so weiter machen wollen. "Nur dem Uli hat das nicht so gepasst." Darüber habe es schon ab und an heftig Streit gegeben.
Flinte nur einmal verliehen
"Ich habe ihm die Schrotflinte nur ein einziges Mal gegeben und zwar am Tag vor der Tag." Mit dieser Aussage widersprach der Patensohn von Ulrich S. ganz entschieden dessen Aussage, er habe sich die Waffe in den vergangenen Jahren drei- bis viermal von dem jungen Mann geliehen. Sichtlich mitgenommen versicherte er, er habe nicht gewusst, dass sein Onkel wegen einer früheren Verurteilung seine Waffenbesitzkarte hatte abgeben müssen. "Wäre mir das klar gewesen, hätte ich ihm die Flinte nicht gegeben."
Sanitäter berichteten
Am Vormittag standen zunächst die Aussagen von Rettungskräften und Polizeibeamten im Mittelpunkt. Im Wesentlichen beschrieben alle ein ähnliches Szenario. Es sei schlicht "Chaos" gewesen, an jedem Abend des 6. Oktober 2012. Schließlich musste man anfangs noch davon ausgehen, dass sich möglicherweise ein bewaffneter Täter im Alten Schützenhaus aufhält. Der schwer verletzte Ulrich S. hatte den Sanitätern, die als erstes am Tatort eintrafen, mit letzter Kraft sinngemäß erzählt: "Wir sind überfallen worden. Meine Frau ist tot. Der Täter muss noch im Haus sein." "Möglichst schnell rein, möglichst schnell wieder raus", beschrieb einer der Rettungsassistenten die Devise.
Obwohl Ulrich S. die ganze Zeit über ansprechbar gewesen sei, wie ein weiterer Sanitäter berichtete, habe der Angeklagte weder während der Erstversorgung noch auf der Fahrt ins Klinikum gesagt, dass der Tod seiner Frau ein Unfall gewesen sei. "Er hatte Angst, zu sterben", sagte der Sanitäter, der Ulrich S. ins Krankenhaus brachte. "Sein Zustand war angesichts der Verletzung erstaunlich klar."
Dominik S., der Sohn des Opfers, hielt sich während der Schießerei mit zwei Bekannten im Keller auf, wie mehrere Polizisten aussagten. Die drei jungen Männer waren zum Tatzeitpunkt mit Renovierungsarbeiten beschäftigt und hatten die Musik laut aufgedreht. Vom Geschehen einige Stockwerke weiter oben hätten die drei nichts mitbekommen, so ein Polizist. Dominik S. habe lediglich durch ein Kellerfenster das Blaulicht eines Rettungswagens gesehen.
Das Szenario in der Wohnung des Ehepaars S. beschrieb einer der Sanitäter "wie in einem Horrorfilm". An den Wänden sei relativ viel Blut gewesen, sagte ein Polizeibeamter. Immer wieder fragte Richter Amend auch nach dem Hund ("Der ist uns entzogen worden!"), über den der Angeklagte mit der Flinte in der Hand gestolpert sein will. Den meisten Einsatzkräften war der kleine, schwarze Yorkshire-Terrier nicht aufgefallen. Andere sahen ihn kurz "vorbeiwuseln". Offenbar hatte sich "Lily" im Durcheinander versteckt und habe von Eva-Maria S. erst später wieder hervorgelockt werden können.