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Neustadt stellt sich dem demografischen Wandel


Autor: Rainer Lutz

Neustadt, Freitag, 28. November 2014

Die Stadt Neustadt begegnet dem Wandel in der Gesellschaft mit einer eigens dafür geschaffenen Stabsstelle.
Als Demografiebeauftragter hat sich Detlev Heerlein einen eigenen Leitfaden für seine Arbeit entwickelt. Foto: Rainer Lutz


Es ist eines der Schlagworte unserer Zeit. Keine Kommune, die nicht in irgendeiner Weise Probleme mit dem demografischen Wandel hat. Er gilt vielen als die Herausforderung des neuen Jahrtausends in der Gesellschaft. Überalterung, Mangel an jungen Arbeitskräften, leer stehende Wohnungen und überfüllte Seniorenheime, Sorgen um Gesundheitswesen und Rentenkassen, alles hängt mit dem demographischen Wandel, dem Kopfstand der Alterspyramide zusammen. Eigentlich merkwürdig, dass Detlev Heerlein als Demografiebeauftragter der Stadt Neustadt so allein auf weiter Flur steht. Im Landkreis ist er der einzige, der in einer Verwaltung diese Stabsstelle ausfüllt - und sie ihn.

"Das Thema ist automatisch Chefsache. Wenn der nicht zu 100 Prozent davon überzeugt ist, dass etwas getan werden muss, dann wird diese Stelle nicht geschaffen", sagt Detlev Heerlein.

In Neustadt war Oberbürgermeister Frank Rebhan (SPD) überzeugt, dass etwas getan werden muss. Ein Impulsvortrag zum Thema überzeugte auch den Stadtrat. "Wir halten es für eine der ganz zentralen Zukunftsaufgaben, den demografischen Wandel zu begleiten und, wo es möglich ist, zu gestalten", sagt Rebhan.

Heerlein, der auch für den Straßenverkehr in Neustadt zuständig ist, durfte die eine oder andere Aufgabe abgeben. Anderes wurde straffer organisiert, nicht unbedingt notwendige Tätigkeiten zusammengestrichen. "Wir wollten das nicht dem Zufall überlassen, nach dem Motto, jeder macht ein bisschen was, sondern die Arbeit koordinieren und strukturieren", sagt der Oberbürgermeister.

Alles selbst erarbeiten

So wurde Detlev Heerlein Demografiebeauftragter der Stadt. Allerdings einer, der noch kein Konzept hatte. Andere hatten das aber auch nicht. Heerlein musste feststellen: "Abschreiben war schwierig. Es war keiner da, ich war der einzige." So entstand ein mittlerweile recht dicker Ordner. Aufschrift: Demografie Leitfaden 2030.
Heerlein begann mit einer Bestandsaufnahme. Ausgehend von 15 300 Einwohnern mit festem Wohnsitz in Neustadt, betrachtete er Entwicklungsprognosen des statistischen Bundesamts. Jahr für Jahr sollte nach dessen Berechnung Neustadt etwa 100 Einwohner verlieren. 2029 wären schon nur noch 13.300 übrig. Ein Alarmsignal. Es galt gegenzusteuern, herauszufinden, wie und wo Zuwachs und Verlust entstehen. Es gibt weniger Geburten als Todesfälle in der Stadt. Aber es ziehen weniger Menschen weg als her. "Die Geburten lassen sich schwer beeinflussen", weiß Heerlein. 1,4 Kinder bringen Frauen im deutschen Schnitt zur Welt. 2,1 müssten es sein, sagen die Statistiker, um den Bevölkerungsstand konstant zu halten.

Schnell wurde dem Demografiebeauftragten klar, dass sich ihm eine Vielzahl von Handlungsfeldern eröffnete, auf denen dem negativen Trend entgegengewirkt werden könnte. Allerdings in kleinen Schritten, denn für große fehlt das Geld. Mobilität und Nahversorgung, Ehrenamt, Kultur, Bildung, Integration und Inklusion, Senioren, Familien und Jugend, Siedlungs- und Flächenmanagement, Arbeit und Wirtschaft, nicht zuletzt die Verwaltung selbst, galt es zu beleuchten.

Dabei stellte Detlev Heerlein fest, dass Neustadt in vielen Punkten gar nicht so schlecht dasteht. Familien können sich kostengünstig niederlassen, finden ein gutes Angebot zur Kinderbetreuung vor und die komplette Bildungsinfrastruktur mit Grund-, Mittel-, Realschule und Gymnasium. Die Bahnverbindung nach Coburg ist gut. "Bei der neuen B 4 sind wir eindeutig die Gewinner", weiß Heerlein.

Die schnellere Anbindung an Coburg und über die Autobahn an Bamberg, die Metropolregion Nürnberg oder das nahe Thüringen wirkt sich bereits aus. Heerlein ist sicher, dass sie zumindest dazu beigetragen hat, den Bevölkerungsschwund in der Stadt zu bremsen. Im Jahr vor der Fertigstellung der Rödentaler Umgehung verlor Neustadt noch 80 Einwohner. Ein Jahr später war es nur noch einer. Heuer deutet alles darauf hin, dass seit Jahren erstmals wieder eine steigende Einwohnerzahl gemeldet werden kann.

Und das nur durch die neue Straße? Nicht nur. Seit drei Jahren arbeitet Detlev Heerlein am Exorzismus gegen den Dämon demografischer Wandel. Mit Broschüren wird am Image der Stadt gefeilt, bekannt gemacht, wie gut es sich hier leben lässt. Die Wirtschaftsförderung der Stadt unter der Leitung von Sandra Franz ringt um Arbeitsplätze und Neuansiedlung von Firmen. Kooperationen mit anderen Kommunen, etwa beim Stadtbus mit Sonneberg oder dem Party-Express mit Rödental, helfen weiter.

Am Ende weiß aber auch Detlev Heerlein, dass er keinen bundesweiten Trend umkehren, kein bundespolitisches Problem von Neustadt aus lösen kann. Unter dem Strich kann er nur versuchen, beim Ringen um die verbleibenden Menschen in der Region erfolgreicher zu sein als andere. Dabei gilt es, ständig dem Wandel Rechnung zu tragen. "Man ist nie am Ziel, es ist ein fortlaufender Prozess, in dem immer neu reagiert werden muss", sagt Frank Rebhan. Detlev Heerlein bestätigt: "Vor drei Jahren hätte ich noch als wichtigstes Anliegen genannt, Wohnraum zu schaffen, auch in der Kernstadt", sagt er. Heute beschäftigt ihn die Frage der Asylpolitik mehr. "Da steckt doch für uns eigentlich eine große Chance drin", sagt er. Weltweit ist das Problem schließlich nicht der Mangel sondern der Überschuss an Nachwuchs.

Asyl als Chance begreifen

"Viele, die zu uns kommen, sind gut ausgebildet", weiß Detlev Heerlein. Viel zu lang habe die Politik vor allem Wert darauf gelegt, dass Asylsuchende möglichst rasch wieder gehen können. Hier sollten mehr Möglichkeiten geschaffen werden, gerade Familien rascher zu integrieren. Zurzeit sind in Neustadt rund 30 Asylbewerber gemeldet. Ihre Zahl wird steigen. Sie zu Neustadtern zu machen, die hier leben und arbeiten, wird wohl eine Herausforderung für den Demografiebeauftragten werden.

"Wir haben hier kein Integrationsproblem", ist Heerlein überzeugt. Neustadter kommen aus aller Herren Länder. 48 Nationalitäten finden sich beim Durchforschen der Einwohnerlisten. Detlev Heerlein hat seinen Platz in der Verwaltung der Stadt Neustadt, nicht in der großen Politik. Er ist überzeugt: "Die Folgen des demografischen Wandels schlagen in der Kommune auf. Deshalb macht es Sinn, sie auch in der Kommune zu beeinflussen."