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Michael Stoschek: Nazivergleich endet mit Vergleich


Autor: Simone Bastian

Coburg, Donnerstag, 02. Juni 2016

Bewegte sich Michael Stoschek mit seinen Vorwürfen an Edmund Frey noch im Bereich der Meinungsäußerung, oder handelte es sich um Beleidigungen?
Die Diskussion um Max Brose und sein Verhalten während des Dritten Reichs beschäftigte Coburg im Frühjahr 2015. An einer Veranstaltung der Hochschule im Juni nahmen Michael Stoschek (im Vordergrund) und Edmund Frey (schräg dahinter, mit Brille) teil.  Foto: Simone Bastian/CT-Archiv


Dass Michael Stoschek am Donnerstag nicht selbst zum Prozess kam, war schon ein erstes Signal, dass es schnell gehen könnte. Richter Andreas Bauer hatte das persönliche Erscheinen von Kläger Edmund Frey und Beklagtem Michael Stoschek angeordnet. Fernbleiben konnte Stoschek daher nur, wenn er seinen Anwalt Eckart Staritz mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet hatte.

Letztlich erhielt Edmund Frey "auf juristischer Ebene das, was ich wollte", wie er hinterher sagte: Stoschek verpflichtete sich, jene Äußerungen nicht zu wiederholen, durch die sich Frey in seiner Ehre verletzt sah. Stoschek hatte Frey in einer E-Mail vom 15. März 2015 vorgeworfen, er habe antisemitische Äußerungen gegenüber einem Coburger Journalisten getätigt, und er selbst bediene sich "der Methoden der Nazis: Denunzierung, Neid, Missgunst und Intoleranz".

Vorangegangen war in den Wochen davor eine Diskussion (siehe Text unten) über die Person Max Brose und die Frage, ob nach dem Unternehmer eine Straße in Coburg benannt werden solle. Nicht irgendeine Straße, sondern die Von-Schultes-Straße, an der das Brose-Werk liegt. Stoschek, Broses Enkel und Nachfolger als Firmenchef, vertrat die Meinung, dass die Stadt den Unternehmer würdigen könne und müsse. Für Frey dagegen war der Gedanke schwer erträglich, ein "Mitläufer und Nazi-Profiteur" werde so "weißgewaschen, dass er als Vorbild dienen kann", wie er im Prozess erläuterte.

Stoschek und Frey schrieben einander E-Mails, trafen sich einmal sogar persönlich, aber Ende Februar 2015 habe er diesen Kontakt eingestellt, sagte Frey. Doch er versuchte weiterhin, eine Max-Brose-Straße zu verhindern und wandte sich an den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Der schrieb an Coburgs Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD). Die Medien erfuhren davon. Auch das Tageblatt und das zugehörige Online-Portal infranken.de berichteten darüber. Es gab zahlreiche Facebook-Kommentare, und etliche davon waren eindeutig antisemitsch, also judenfeindlich.


"Ich empfinde nur Scham"

Angesichts dessen schrieb Frey am Abend des Sonntag, 15. März 2015, an Tessmer und Stoschek: "Erschrecken Sie nicht auch, wenn Sie die widerwärtigen antisemitischen Äußerungen von Menschen aus der Region Coburg lesen? Ich empfinde nur Scham." Stoscheks Antwort kam eine halbe Stunde später: "Sie sind ein alter Pharisäer!!!! Herr F. hat ihre kürzlichen antisemitischen Äußerungen zu Protokoll gegeben. Sie werden in Kürze publiziert und ich werde Herrn Dr. Schuster, den Sie instrumentalisiert haben, natürlich auch darüber in Kenntnis setzen." Und: "Sie bedienen sich genau der Methoden der Nazis: Denunzierung, Neid, Missgunst und Intoleranz." Eineinhalb Stunden später folgte eine weitere, immer noch wütende Mail.

Die Vorstellung, es würden angebliche antisemitische Äußerungen von ihm demnächst in einer Coburger Zeitung zu lesen sein, entsetzte Frey so sehr, dass er noch am selben Abend die E-Mails einem größeren Personenkreis weiterleitete, darunter auch Journalisten. Für ihn seien das ohnehin schon öffentliche Mails gewesen, da Stoschek sie auch an OB Tessmer und der Historiker Gregor Schöllgen geschickt habe, sagte Frey in der Verhandlung.

Denn darauf hatte Richter Andreas Bauer hingewiesen: Frey selbst hatte die Äußerungen, die er Stoschek untersagen wollte, Dritten bekannt gemacht. Ob diese Äußerungen als Beleidigung oder Meinungsäußerung aufzufassen seien, sei zu klären: Die Auseinandersetzung sei damals mit einer gewissen Schärfe geführt worden, sagte Bauer. "In diesen Fällen wird das Recht der Meinungsfreiheit hochgehalten. Das führt dazu, dass auch schärfste Abwertungen von Personen erlaubt sind."


Entschuldigung gibt es nicht

An diesem Punkt war der Moment für Stoscheks Anwalt Eckart Staritz gekommen, einen Vergleich vorzuschlagen: Den Äußerungen, "die den Kläger verletzen, stehen Äußerungen gegenüber, die Herrn Stoschek verletzen", indem zum Beispiel Max Brose als Naziprofiteur und Parteigenosse bezeichnet werde. Aber Stoschek werde sich verpflichten, die von Frey beklagten Äußerungen nicht öffentlich zu wiederholen. Sollte er es doch tun, könnte Frey die Vertragsstrafe dafür festlegen - Höchstgrenze 5000 Euro. Ein Bedauern oder gar eine Entschuldigung von Stoschek werde es nicht geben, sagte Staritz. "Die werden Sie in keinem Gerichtsverfahren bekommen." Die hatte Frey aber auch gar nicht erwartet, wie er sagte.

So zeigten sich am Ende alle Parteien halbwegs zufrieden: Für Staritz zählte, dass ein jahrelanger Rechtsstreit vermieden wurde. "Das ist in Anbetracht dessen, was in Streit steht, nicht angemessen." Auch Richter Andreas Bauer zeigte sich zufrieden: "Das ist eine gute Lösung."


Hintergrund: Max Brose, eine Straße und der Stadtrat

Die Auseinandersetzung zwischen Edmund Frey und Michael Stoschek begann im Januar 2015: Das Unternehmen Brose antwortet zu diesem Zeitpunkt auf Spendenanfragen Coburger Einrichtungen schon seit zehn Jahren ablehnend. Ergänzt wird das um den Hinweis, dass der Stadtrat 2004 die Umbenennung der Von-Schultes- in Max-Brose-Straße verweigert habe. Als das Thema Anfang 2015 wieder hochkommt, verlangt Michael Stoschek, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung von Brose und Enkel des Firmengründers, eine Entschuldigung vom Stadtrat.

Dort hatte sich 2004 keine Mehrheit für eine Max-Brose-Straße gefunden. Ein Grund war, auch wenn das nie offiziell so gesagt wurde, Max Broses Verhalten in der NS-Zeit. Bekannt war, dass er Parteimitglied war, dass Brose Zwangsarbeiter beschäftigte und dass Brose 1949 im Entnazifizierungsverfahren als "Mitläufer" eingestuft worden war. Der Stadtrat tat sich schwer mit einer Wertung.

2008 ließ das Unternehmen Brose anlässlich des 100. Jubiläums seine Firmengeschichte vom Erlanger Historiker Gregor Schöllgen aufarbeiten. Seither sieht Michael Stoschek seinen Großvater als rehabilitiert. Schöllgen ist jedoch als Historiker nicht unumstritten.

Als im Januar 2015 in der Zeitung zu lesen war, dass Stoschek eine Entschuldigung vom Stadtrat erwarte, meldete sich Edmund Frey mit einem Leserbrief zu Wort, in dem er eine solche Entschuldigung sinngemäß als nicht möglich bezeichnete. Auch lehnte Frey schon in jenem Leserbrief eine "Max-Brose-Straße" für Coburg ab.
Stoschek meldete sich daraufhin per E-Mail bei Frey und räsonierte unter anderem über die Coburger SPD, die nach dem Krieg "zwar das ,N‘ aus der Parteibezeichnung entfernt" habe. Sein Eindruck, so Stoschek, sei aber, dass "die Coburger Bevölkerung und die hiesige SPD viele ideologische Grundsätze der vorangegangenen Arbeiterpartei übernommen haben". NSDAP stand für "Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei".


Ein Treffen, zwei Sichtweisen

Frey leitete diese E-Mail weiter: An Oberbürgermeister Norbert Tessmer sowie mehrere SPD-Funktionäre, doch die reagierten öffentlich nicht. Stoschek und Frey setzten sich weiterhin per E-Mail auseinander. Dann habe Stoschek plötzlich sehr eilig ein Treffen vereinbaren wollen, berichtete Frey in der Verhandlung am Donnerstag: Stoschek besuchte Frey am nächsten Vormittag (am 21. Januar) zu Hause und veröffentlichte hinterher eine Pressemitteilung, in der er seine Äußerungen über die SPD bedauerte. Doch Stoschek hatte mit dem Gespräch offenbar auch erreichen wollen, dass Frey nichts mehr öffentlich zum Thema Max Brose sagte. Aus seiner Sicht hatte Frey zugesagt, sich nun vorher mit Stoschek darüber abzustimmen. Das bestreitet Edmund Frey vehement.

In den folgenden Wochen verdichteten sich die Anzeichen, dass der Stadtrat die Max-Brose-Straße beschließen würde. Deshalb schrieb Edmund Frey im März 2015 an Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Schuster wandte sich daraufhin an Tessmer; es gab dann auch ein persönliches Treffen von Schuster, OB und Stoschek.

Dies geschah wenige Tage vor einer Stadtratssitzung, die als Tagesordnungspunkt 15 "Rehabilitierung Max Brose; Stadtratsbeschluss zur Umbenennung der Von-Schultes-Straße in Max-Brose-Straße aus dem Jahr 2004" vorsah. In dem Beschluss drückte der Stadtrat sein Bedauern darüber aus, dass in der Diskussion 2004 der geschichtliche Hintergrund nicht gewürdigt worden sei. Als Unternehmer und IHK-Präsident sei Brose kein Fehlverhalten während der NS-Zeit vorzuwerfen. Auch dieser Beschluss kam in dem Verfahren am Donnerstag kurz zur Sprache: "Die Rechtsqualität kann ich nicht einordnen", kommentierte Richter Andreas Bauer. Die Straßenumbenennung folgte dann im Mai 2015.