Nach einer gravierenden Fehlentscheidung der Schiedsrichter beim Unentschieden gegen Baunatal hat Handball-Zweitligist HSC Coburg offiziell Einspruch eingelegt. Die Verantwortlichen hoffen auf ein Wiederholungsspiel.
Samstagabend, 20 Uhr, Baunataler Rundsporthalle: Die Spieler des GSV Eintracht Baunatal fallen sich jubelnd in die Arme. Soeben hat das abgeschlagene Schlusslicht der 2. Handball Bundesliga dem klaren Favoriten HSC Coburg ein Unentschieden abgeknöpft. Nach den Ergebnissen der letzten Monate ein Befreiungsschlag für die Heimmannschaft: Baunatal, bis dato gerade einmal fünf Pluspunkte auf der Habenseite, hatte seit dem 16. November 2014 kein Spiel mehr gewonnen.
Auf der Gegenseite stehen die HSC-Spieler kopfschüttelnd auf dem Feld. Zum einen, weil sie sich ihre eigene desolate Leistung nicht erklären können. Und zum anderen, weil sich die beiden Schiedsrichter in den Schlusssekunden eine fatale Fehlentscheidung leisten, die dem HSC womöglich den Sieg gekostet hat. "Ein ganz klarer Regelverstoß", so HSC-Pressesprecher Thomas Apfel.
Ausgleich fällt kurz vor Schluss
Was war passiert? Nach klarem Rückstand kämpft sich Baunatal in der zweiten Halbzeit wieder heran. Mit dem letzten Angriff hat das Heimteam die Chance auf den Ausgleich. Trainer Markus Berchten nimmt seinen Torhüter heraus und bringt mit Andreas Bornemann einen zusätzlichen Feldspieler. Und eben jener Bornemann ist es, der knapp 13 Sekunden vor dem Schlusspfiff den viel umjubelten Ausgleichstreffer zum 24:24 erzielt (im Video ab Minute 1:40 zu sehen).
Die Halle steht Kopf, Bornemann lässt sich feiern, vergisst dabei aber, dass Coburg noch Zeit bleibt, den Siegtreffer zu erzielen. Als der Baunataler Linkshänder dies realisiert und in Richtung Auswechselbank sprintet um wider mit dem Torwart zu wechseln, ist es schon zu spät: HSC-Spieler Philipp Seitle schaltet am schnellsten und wirft den Ball nach dem Anwurf in Richtung des leeren Tores.
Der HSC-Siegtreffer scheint sicher, doch Coburg hat die Rechnung ohne Dennis Weinrich gemacht. Der Baunataler Feldspieler betritt den Wurfkreis, positioniert sich im verwaisten Tor und lenkt Seitles Versuch in bester Torhüter-Manier über die Latte. Die Halle tobt.
Das Problem: Weinrich darf den Wurfkreis als Feldspieler nicht betreten. Viel schlimmer: Mit seiner Parade verhindert er eine klare Torchance, was zu einer persönlichen Disqualifikation und einem Siebenmeter-Strafwurf für Coburg hätte führen müssen. Hier ist die Regel klar definiert.
Heftige Tumulte auf dem Spielfeld
Die Schiedsrichter sehen dies allerdings nicht so. Nach heftigen Tumulten auf dem Spielfeld und einer mehrminütiger Besprechung entscheiden sie: Spielende, kein Strafwurf für Coburg. "Eine krasse Fehleinschätzung, zumal ihnen die Zeitnehmer noch bestätigt haben, dass ein Feldspieler im Tor stand", sagt Apfel. Auch im Anschluss seien die beiden Unparteiischen nicht bereit gewesen, über die Szene zu diskutieren - geschweige denn, die Entscheidung zu revidieren.
Der HSC hat deshalb Einspruch eingelegt. Am Montag formulierten Trainer Jan Gorr gemeinsam mit HSC-Justiziar Marten Beck den schriftlichen Antrag und reichten ihn fristgerecht ein. Dieser wird jetzt von der zuständigen 2. Kammer des DHB-Bundessportgerichts geprüft. Wie lange es bis zu einer Entscheidung dauert, "liegt im Ermessen des Bundessportgerichts", so Andreas Wäschenbach vom DHB auf Anfrage.
Tatsachenentscheidung oder Regelverstoß?
Neben dem Antrag liegt den Experten auch eine Videoaufzeichnung des Spiels vor. Die Chancen des HSC sind trotzdem schwer einzuschätzen. Entscheidend wird sein, ob das Sportgericht die Szene als Tatsachenentscheidung bewertet oder als klaren Regelverstoß. Sehen sie einen Regelverstoß, könnte es ein Wiederholungsspiel geben, das aufgrund des vollen Terminkalenders wohl unter der Woche stattfinden würde.
Seitens des GSV Eintracht Baunatal muss der HSC übrigens keinen Gegenwind befürchten. Baunatals Trainer hat bereits angekündigt, seine Beurteilung der Szene bei Bedarf wahrheitsgemäß zu Protokoll zu geben. Und auch den Spielern der Heimmannschaft ist durchaus bewusst, dass sie den Punktgewinn zu eine gewissen Teil wohl auch den Schiedsrichtern zu verdanken haben. "Sie haben uns bestätigt, dass so eine Entscheidung einfach nicht geht", berichtet HSC-Kapitän Ronny Göhl, der nach der Partie mit dem einen oder anderen Baunataler gesprochen hatte.
Durch ein Wiederholungsspiel hätte der HSC die Möglichkeit, das unnötigen Unentschieden auszuradieren - was im Aufstiegskampf durchaus mitentscheidend sein könnte. Immerhin hat Coburg bei noch neun ausstehenden Partien derzeit nur vier Punkte Rückstand auf einen Aufstiegsrang. "Jeder Punkt ist Gold wert", macht Thomas Apfel deutlich.
Allerdings ist man auf Seiten des HSC selbstkritisch genug, die 60 Minuten in Baunatal auch sportlich fair zu analysieren. Immerhin hatten die Gäste mit 9:3 geführt und steuerten einem souveränen Sieg entgegen. Dann kämpfte sich Baunatal zurück und hätte durchaus auch gewinnen können. "Keine Frage, das muss man ganz klar trennen. Wir haben am Samstag einfach keinen guten Handball gespielt", sagt Gorr, der trotzdem deutlich macht: "Wir sprechen hier von der 2. Bundesliga. Da darf eine derart gravierende Fehlentscheidung nicht passieren. Und deshalb können wir diese auch nicht akzeptieren."
Wiederholungsspiele im Handball
In der Vergangenheit gab es immer wieder Handball-Partien, die aus verschiedenen Gründen wiederholt werden mussten. Drei Beispiele:
In der Saison 2010/2011 war die Bundesliga-Partie der Frauen zwischen zwischen HSG Blomberg-Lippe und FA Göppingen (28:27) wiederholt worden. Das Bundessportgericht sah einen spielentscheidenden Regelverstoß der Schiedsrichter, die einen vermeintlichen Göppinger Ausgleichstreffer nicht anerkannten. Genützt hat es Göppingen allerdings nichts: Die Gäste verloren die Neuansetzung mit 26:32.
In der Saison 2005/2006 wurde die Bundesligapartie SG Kronau/Östringen gegen HSG Düsseldorf wiederholt. Das Spiel war nach einem Protest der Düsseldorfer neu angesetzt worden. Beim 26:25-Sieg der Kronauer hatte Düsseldorf in der 25. Minute den Anschlusstreffer zum 9:10 erzielt. Das Kampfgericht wertete das Tor jedoch für Kronau, korrigierte dann ebenso falsch auf 9:11 anstatt auf 9:10 aus Düsseldorfer Sicht. Die Schiedsrichter korrigierten den Fehler trotz heftiger Proteste der Düsseldorfer nicht. Das Wiederholungsspiel gewann Kronau mit 34:24.
In der hessischen Handball-Landesliga der Frauen wurde im Januar 2015 das Spiel zwischen Wollrode und Waldau wiederholt. Da die eingeplanten Schiedsrichter im Oktober 2014 nicht erschienen waren, wurden kurzfristig zwei Wollroder Schiedsrichter eingesetzt. Waldau fühlte sich benachteiligt und legte Einspruch gegen die 22:27-Niederlage ein. Das Verbandsgericht urteilte im Sinne der Waldauer und ordnete ein Nachholspiel an. Das gewann Waldau mit 29:20.