Muss das sein? Coburg und die neue Regelung in der Webergasse
Autor: Oliver Schmidt
Coburg, Dienstag, 19. Oktober 2021
Über den Verkehr in Innenstädten ist schon immer kontrovers diskutiert worden. Die Öffnung von Einbahnstraßen für Radfahrer erhitzt die Gemüter jetzt aber mehr denn je - vor allem in der Webergasse.
Montagmittag in der Webergasse. Nur ab und zu biegt ein Auto aus der Mohrenstraße ein und fährt in Richtung Judengasse. Deutlich mehr los ist an der Ausfahrt vom Parkhaus Mauer, die in die Webergasse mündet. Plötzlich taucht ein Radfahrer auf. Er fährt - was er seit Mitte September darf - in die entgegengesetzte Einbahnstraßen-Richtung, also von der Judengasse zur Mohrenstraße. Der Radfahrer hat Glück: Die neu geschaffene Ausweichstelle vor dem Haus Nummer 30 ("Weberstübchen") ist zwar zugeparkt; doch er muss sie nicht nutzen, weil ihm kein Auto entgegenkommt.
Bedenken der Polizei
So, wie die Sache mit der zugeparkten Ausweichstelle durchaus typisch ist für das Ignorieren von Verkehrsregeln, so steht auch die gesamte Situation in der Webergasse symptomatisch für den Streit zwischen den Förderern des Fahrradverkehrs und den Skeptikern.
Zur Erinnerung: Viele Institutionen, vom Deutschen Städtetag bis zur Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern (AGFK), haben sich schon seit längerem dafür ausgesprochen, Einbahnstraßen vermehrt für den Radverkehr zu öffnen. Für Autofahrer sollte es selbstverständlich werden, dass ihnen in Einbahnstraßen Radfahrern entgegenkommen können.
Anfang des Jahres wurde in Coburg darüber diskutiert, ob auch für die Webergasse eine solche Regelung getroffen werden könnte. Polizei und Ordnungsamt äußerten Bedenken, weil die Webergasse an einigen Stellen sehr eng ist. Doch der Senat für Stadt- und Verkehrsplanung sowie Bauwesen entschied sich trotzdem für eine Freigabe - gegen die Stimmen der CSU-Vertreter. Auch Monate später herrscht im konservativen Lager noch Unverständnis: Der vergangene Woche neu gewählte CSU-Vorsitzende Kurt Knoch nannte die neue Regelung in der Webergasse als "typisches Beispiel für Aktionismus und Hysterie" in Sachen Verkehrs- und Umweltpolitik.
Wolfram Haupt, Stadtrat der Grünen und zudem Mitglied im städtischen "Arbeitskreis Rad", sieht das anders. Im Gespräch mit dem Tageblatt verweist er zunächst auf einen Beschluss des Deutschen Bundesrats: Dieser hat im Juli 2021 die Freigabe von Einbahnstraßen für Radfahrer von einer "Kann-" zu einer "Soll-Regelung" geändert. Sprich: Eine Freigabe soll jetzt bundesweit zum Regelfall werden - es sei denn, "zwingende Gründe" sprechen dagegen. Ein solcher, zwingender Grund wäre etwa eine Gesamtstraßenbreite von unter 3,50 Meter.
Tempo 20
Und damit zur Webergasse. Wolfram Haupt gibt zu: "Wenn im oberen Bereich alles mit Autos voll steht, ist es für Radler blöd zu fahren." Doch aus diesem Grund seien ja vor dem "Weberstübchen" zwei Kurzzeitparkplätze gestrichen und die besagte Ausweichstelle geschaffen worden - jetzt müsste das Ordnungsamt nur noch regelmäßig kontrollieren, dass die Ausweichstelle sowie die enge Einmündung zur Mohrenstraße nicht ständig zugeparkt werden.Wolfram Haupt gibt zu bedenken, dass in der Webergasse eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h gilt: "Bei Tempo 20 kann man ausweichen und auch mal aufeinander warten."
Kein Siegel für Coburg
Trotzdem drängt sich die Frage auf: Warum musste ausgerechnet mit der engen Webergasse begonnen werden, etwas für die Radfahrer zu tun? Da erinnert Wolfram Haupt an den Besuch einer Expertendelegation der AGFK im vergangenen Jahr. Am Ende des Besuchs stand das für Coburg bittere Ergebnis, dass das Siegel "fahrradfreundliche Kommune" nicht verliehen werden kann.