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"Michael Kohlhaas": Wenn Rache das Recht tötet


Autor: Jochen Berger

Coburg, Sonntag, 12. Januar 2014

Ein Mann kämpft um sein Recht - erst geduldig und mit großer Umsicht. Doch als er bei diesem Kampf seine Frau verliert, verliert er zugleich jedes Maß und jeden Skrupel. Die Kleist-Novelle "Michael Kohlhaas" wird in Coburg zum packenden Theaterabend.
Die Kleist-Novelle "Michael Kohlhaas" feierte umjubelte Premiere auf der Coburger Studiobühne in der Reithalle. In der Regie von Michael Götz spielen in dieser Szene Nils Liebscher (links) in der Titelrolle und Butz Buse als Knecht Herse. Foto: Henning Rosenbusch


Ein wahnwitziges Unterfangen: ein Mann gegen den Rest der Welt. Ein Mann, der unbeirrbar Gerechtigkeit fordert, wo doch nur Recht gesprochen wird. Ein Mann mit einem "Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich", wie Heinrich von Kleist schreibt - ein solcher Mann ist Michael Kohlhaas, ein Rosshändler, dem haarsträubendes Unrecht geschieht.

Lange ist er geduldig, erträgt Willkür und Niedertracht mit stoisch wirkender Ruhe, wägt unbestechlich ab, bevor er handelt. Dann aber, als seine Frau stirbt beim Versuch, ihrem Mann zum Recht zu verhelfen, ist dieser Kohlhaas nicht mehr zu bremsen. Er zieht in den Krieg, um mit Waffengewalt sein Recht zu bekommen, das die bestechliche Rechtsprechung verweigert.

Brandschatzende Horden

Ein wahnwitziges Unterfangen, dieser Rachefeldzug.

Ein wahnwitziges Unterfangen, so könnte man meinen, ist aber auch der Versuch, Kleists Novelle in ein Theaterstück verwandeln zu wollen. Der junge Regisseur Michael Götz jedoch wagt in Coburg diesen Versuch - hier, wo er drei Jahre im festen Engagement war und nun erstmals als Gast zurückkehrt.

Wie aber macht man aus einem Prosatext ein Bühnenstück? Wie bringt man brandschatzende Horden des 16. Jahrhunderts heute auf die nicht allzu große Bühne der Coburger Reithalle? Götz hat dazu die Novelle geschickt und konsequent in der Handlungsführung verdichtet und das kaum überschaubare Geflecht der handelnden Personen auf knapp eineinhalb Dutzend Figuren reduziert.

Höchst intensives Kammerspiel

Vor allem aber gelingt es ihm in seiner Adaption, möglichst viel originalen Kleist-Dialog heraus zu filtern. Michael Götz, so jung er noch immer ist, ist schon jetzt ein Könner in der schwierigen Übung, mit einfachsten Mitteln intensivste Wirkung zu erzielen. Vier mittelgroße Holzkisten, eine Stiege Äpfel, ein langes, dickes Seil - mehr braucht Götz eigentlich nicht, um die an Personen und Verwicklungen reiche Erzählung von Kleist mit einem Darsteller-Quartett als höchst intensives Kammerspiel auf die Bühne zu bringen.

Die vier schlichten, problemlos verschiebbaren Holzkisten mit aufklappbaren Deckeln, dazu die zeitlosen, aber die jeweiligen Rollen präzis charakterisierenden Kostüme von Ausstatter Josef Frommwieser bieten den stimmigen Rahmen für eine außergewöhnliche Kleist-Deutung.

In jeder Szene ist die immanente Musikalität dieser Deutung zu spüren. Und das meint beileibe nicht nur die Kunst, klug ausgewählte Musikstücke bei aller Kürze höchst wirkungsvoll zu platzieren. Vielmehr beweist Michael Götz in dieser Inszenierung ganz besonders nachdrücklich sein Geschick, einen Text regelrecht in eine Sprech-Partitur zu verwandeln. So präzis, so subtil führt er sein Darsteller-Quartett.

Das Grauen entsteht im Kopf

Nils Liebscher beeindruckt in der Titelrolle, weil er diesen Michael Kohlhaas auch im ärgsten Wüten nicht billig dämonisiert. Dazu stürzen sich sich Niklaus Scheibli, Eva Marianne Berger und Butz Buse (als Gast) in einer Fülle wechselnder Rollen mit Mut, flinker Wandlungsfähigkeit und feinem Gespür für Tempo und Rhythmus in Kleists dichte Satzgefüge. Sie liefern mit prägnanter Charakterisierung präzise Porträts dieser (wechselnden) Rollen, beeindrucken aber vor allem durch ihr reaktionsschnelles Zusammenspiel. Die Bild-Sprache, die Götz für seine Kleist-Inszenierung findet, ist konkret und abstrakt zugleich. Das Grauen über die Greuel der von Kohlhaas geführten Horden entsteht nicht durch naturalistische Detailfreude, sondern im Kopf des Betrachters. Dort aber umso eindringlicher. Faszinierend auch sein Gespür für eine subtile Lichtregie.

Faszinierender Kleist-Abend

Wenn Qualität ein Kriterium für Karrierechancen ist, müssten sich spätestens jetzt auch größere Häuser endlich für die Arbeit dieses aufstrebenden Theatermachers interessieren. Ein faszinierender Kleist-Abend in Coburg, der sich dieses Prädikat verdient: unbedingt sehenswert - großes Theater auf kleiner Bühne.


"Michael Kohlhaas" in Coburg

Termine im Januar "Michael Kohlhaas" - 15., 16., jeweils 20 Uhr, Reithalle

Die Geschichte basiert auf einer realen Vorlage, spielt in der Mitte des 16. Jahrhunderts und erzählt vom Pferdehändler Michael Kohlhaas, dem ein Unrecht zugefügt wird. Nachdem seine Versuche scheitern, vor Gericht zu seinem Recht zu kommen, greift er zur Selbstjustiz und verübt dabei Straftaten.