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Messerattacke Seßlach: Tötungsvorsatz war vorhanden


Autor: Christiane Lehmann

Seßlach, Mittwoch, 16. April 2014

Zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilte das Gericht den 24-Jährigen aus dem Landkreis Hassberge. Er gilt als voll schuldfähig im Fall des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Der Angeklagte und sein Verteidiger Thomas Drehsen. Ob sie in Revision gehen, ist noch nicht klar. Foto: Christiane Lehmann


Was mit einem Jux begann, endete am Mittwoch vor der Ersten Großen Strafkammer am Landgericht Coburg mit einer Verurteilung zu fünfeinhalb Jahren Haft. Während der 24-jährige Angeklagte das Urteil gefasst entgegennahm und keinerlei Regung zeigte, weinten Freunde und Familienangehörige bitterlich.

Noch zwei Stunden zuvor hatte sein Verteidiger Thomas Drehsen Freispruch gefordert: "Aussage gegen Aussage". Der Angeklagte hatte sein Verhalten mit Notwehr begründet. Doch Vorsitzender Richter Gerhard Amend folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die den Tötungsvorsatz als gegeben ansah. Der Alkoholpegel von maximal 2,23 Promille könne nicht Schuld mildernd angeführt werden, da der Angeklagte regelmäßig Bier und Schnaps getrunken habe.



Kindergartenwissen

Es sei Kindergartenwissen, dass ein Messerstich in den Rücken lebensbedrohlich ist und mit dem Tod enden kann. Dem Zufall sei es zu verdanken, dass der 25-jährige Geschädigte mit dem Leben davon kam - wenngleich er auch lebenslang unter den Folgen zu leiden hat. "Bei diesem Verfahren gebe es deshalb zwei Verlierer", sagte Amend. Das Strafmaß entspreche einem minderschweren Fall. Das Gericht habe sich an anderen Urteilen orientiert. Bisher habe es in Coburg allerdings einen solchen Fall mit bleibenden Schäden beim Opfer noch nicht gegeben, betonte Amend.

Was war passiert?

Die Version der Staatsanwaltschaft und des Gerichts: Beim Altstadtfest 2013 kam es gegen 1 Uhr zu einem Handgemenge zwischen zwei Gruppen. Während der Angeklagte und zwei Freunde eine Barke vom Hattersdorfer Tor entfernen wollten, bewiesen die anderen, das spätere Opfer und seine Familie, Zivilcourage und wollten verhindern, dass die notwendige Straßenabsperrung weggetragen wird. Es kam zum Streit und zum Handgemenge zwischen den Beteiligten. Bisswunden und Würgemale waren die Folge. Doch es kehrte wieder Ruhe ein - wer dafür sorgte, konnte in der Verhandlung nicht geklärt werden.

Erst nachdem der Vater des Angeklagten mit dem Auto vorfuhr, um die Gruppe abzuholen, kam es erneut zu aggressiven Pöbeleien. Unklar blieb auch da, von wem die ausgingen. Einer, der sich aus der Gruppe des Angeklagten zurück gezogen hatte, weil er sich eine blutige Lippe geholt hatte, steht im Verdacht. Es kann ihm allerdings nicht nachgewiesen werden.

Wer hat das Messer aufgeklappt?

Im Rahmen dieser Handgreiflichkeiten kam der Angeklagte in den Besitz des Messers, das sein Freund angeblich verloren hatte. Wer es aufgeklappt hat, ob er es gefunden oder von seinem Freund bekommen hat, blieb offen. Stehend stach der Angeklagte von hinten auf den 25-Jährigen ein. Anschließend fielen beide in eine Hecke. Es dauerte noch eine Zeit bis jemand eingriff und die beiden auseinander zog. Erst da entdeckte die Mutter des Opfers das Blut auf dem Rücken ihres Sohnes.

Notarzt und Rettungssanitäter hatten zunächst keine Erklärung für die Schnittverletzung, die sich als lebensbedrohlich herausstellte. Niemand hatte gesehen, wie es zu der Stichverletzung kam. Der junge Mann erlitt einen Pneumotorax (ein Teil der Lunge fiel zusammen). Außerdem wurden Nerven und Muskeln so beschädigt, dass der Geschädigte seinen linken Arm auch heute noch nicht wieder heben kann.

Im Klartext bedeutet das: Er kann seinen Beruf nicht mehr ausüben, seinen Hobbys nicht nachgehen, wird umschulen müssen. Noch bis 2015 gilt er als schwer behindert. Auch quälen ihn noch heute Schmerzen im Lungenbereich. 10.000 Euro Schmerzensgeld sah das Gericht dafür als angemessen an. Außerdem muss der Angeklagte die Kosten des Verfahrens tragen. Ihm wurde Prozesskostenhilfe zugesprochen.

In seiner Schlussbemerkung betonte Richter Amend, dass der Angeklagte es seinem Verteidiger zu verdanken habe, nicht wegen versuchten Mordes verurteilt worden zu sein. Drehsen hatte nämlich deutlich herausgearbeitet, dass es sich um zwei unterschiedliche Handgemenge gehandelt hatte. Der Angeklagte sagte in seinem Schlusswort, dass er das Opfer nicht töten wollte und dass es ihm leid täte.