Druckartikel: Max Brose aus Sicht seines Enkels

Max Brose aus Sicht seines Enkels


Autor: Simone Bastian

Coburg, Freitag, 20. März 2015

Der Konflikt Brose - Stadt Coburg schwelt schon lange. Im Moment bemühen sich Coburgs Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD) und der Vorsitzende der Brose-Gesellschafterversammlung, Michael Stoschek, nach Kräften um eine Befriedung. Doch worum geht es aktuell eigentlich?
Max Brose (1884 bis 1968)


Letztlich geht es um Geschichte. Und um die Deutungshoheit. Und um etwas, was Psychologen wohl "narzisstische Kränkung" nennen würden. Um Max Brose geht es auch, vordergründig.

Geboren 1884, gründete Max Brose 1908 in Berlin ein Handelsgeschäft für Automobilzubehör. Zum Fabrikanten wurde Brose erst 1919, als er in Coburg die Firma Metallwaren Haußknecht & Co. übernahm, mitsamt Mitarbeitern und Fabrikationsanlagen.

Brose war erfolgreich: Das Unternehmen überstand Wirtschaftskrise, Nationalsozialismus, die vorübergehende Quasi-Enteignung durch die amerikanische Besatzungsmacht und wuchs im Wirtschaftswunderland Deutschland. Als Max Brose starb, war sein Enkel Michael Stoschek Anfang 20 und zum Nachfolger ausersehen.

Welches Verhältnis hatte Michael Stoschek zu seinem Großvater? Das Buch zur Firmengeschichte, das Stoschek 2007 in Auftrag gab und das 2008 zum 100-jährigen Bestehen erschien, lässt ahnen: ein distanziertes. Brose wurde verhältnismäßig spät Großvater - Enkelin Christine kam 1944 in Dresden zur Welt, Michael 1947 in Coburg. (Buch: Gregor Schöllgen. Brose - ein deutsches Familienunternehmen. Berlin, 2008)

Zur Familienerzählung gehört, dass die Broses zu den Nazis Distanz hielten: Die ältere Tochter von Max Brose, Gisela, wollte Journalistin werden, weigerte sich aber, die nationalsozialistischen Schulungskurse der Reichspressekammer zu besuchen. Sie lebte in Berlin, bis der Vater sie 1939 nach Coburg ins Unternehmen holte. Christa, Stoscheks Mutter, war Schauspielerin und heiratete 1941 den Kapellmeister und Linksozialisten Walter Stoschek, den sie in Beuthen (Oberschlesien) kennengelernt hatte, wo sie ab 1940 beim Theater engagiert war. Beim Historiker Gregor Schöllgen liest sich das so: (Christa Brose) "hatte als Schauspielerin zu enge Verbindungen in ein traditionell von vielen jüdischen Kollegen belebtes, Milieu, als dass sie der Ideologie der Nazis etwas hätte abgewinnen können".

Bei Michael Stoschek wird daraus: "Er (Max Brose) hat eine zweite Tochter, die als Schauspielerin wie ihr Mann als Kapellmeister am Theater mit zahlreichen Kollegen jüdischer Herkunft befreundet ist und diese ins Haus ihres Vaters mitbringt." So sagte es Stoschek in einer Pressekonferenz am Freitagvormittag in Coburg.

Was nicht ins Bild passt, wird ignoriert. Für Michael Stoschek ist sein Großvater ein Unternehmer der alten Garde, der vielleicht konservativ war und national dachte, aber mit den Nazis nichts am Hut hatte. Einer, der den Notwendigkeiten Genüge tat, weil zu große Distanz zu den Nazis Nachteile für ihn selbst, für Familie und Unternehmen mit sich gebracht hätte. Als besonders zuverlässig galt Brose den Nazis offenbar nicht: Brose sei "ein schwer zu beurteilender Mensch", zitiert Schöllgen aus der Beurteilung des nationalsozialistischen Sicherheitsdienstes. "Er ist ein kluger Kopf und tüchtiger Kaufmann, zielbewusst und ehrgeizig, anpassungs- und wandlungsfähig, egoistisch und - wenn er auch sehr nett sein kann - auch dünkelhaft."

Brose sei 1933 in die Partei eingetreten, um Unternehmen und Familie zu schützen, glaubt Stoschek. "Ich hätte genauso gehandelt." Aus reinem Opportunismus hätte man in Coburg schon 1929 in die NSDAP eintreten müssen, schreibt auch Gregor Schöllgen: Coburg war die erste Stadt mit einem NSDAP-Oberbürgermeister.

Die Tatsachen alleine dürfen das Bild nicht bestimmen, fordert Stoschek: "Entscheidend für die Beurteilung eines Verhaltens ist nach meiner Überzeugung nicht die Frage einer formalen Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Organisation. Entscheidend ist, ob der Betreffende die Ideologie mitträgt und verbreitet und vor allen Dingen, wie er sich in dieser extremen Situation verhält. Und unter diesem Aspekt gibt es nicht einen einzigen Hinweis für ein nach heutigen Maßstäben zu verurteilendes Handeln meines Großvaters", sagte Michael Stoschek in der Pressekonferenz. "Ich kämpfe um die Ehre meines Großvaters und Firmengründers, und ich fordere eine faire und objektive Beurteilung seiner Person. Die Stadt Coburg und ihre Einwohner, meine Familie und ich selbst haben diesem Mann viel zu verdanken, und ich meine, seine Rehabilitation ist für mich eine Frage des Anstands."

Rehabilitation? 2004 sollte der Stadtrat entscheiden, ob die Von-Schultes- in Max-Brose-Straße umbenannt wird. Der Bau- und Umweltsenat hatte lediglich eine "Brose-Straße" beschlossen - abweichend vom ursprünglichen Antrag der CSU. Die Unterlegenen forderten eine Überprüfung des Beschlusses im Stadtrat. Am Ende blieb es bei der Von-Schultes-Straße, und später hieß es, einige Stadträte hätten wegen Broses "ungeklärtem Verhalten" im Dritten Reich einer Max-Brose-Straße nicht zustimmen wollen.

Das ist die Kränkung. Michael Stoschek hat sie als solche empfunden, und seither gibt es für Coburger Institutionen und Vereine von der Firma Brose keine Spenden mehr. Die Entscheidung, die Zentralverwaltung von Brose am Standort Bamberg auszubauen, sei dagegen rein rational getroffen worden, betonte Stoschek am Freitag: In Coburg sei einfach kein Platz mehr gewesen.

Weil aber Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD) das Verhältnis zwischen Brose und der Stadt verbessern und den Makel vom Stadtrat tilgen will, man habe einen bedeutenden Unternehmer der Stadt Unrecht getan, soll nun der Stadtrat eine Art Wiedergutmachungserklärung beschließen. Das Wort "Entschuldigung" vermeidet Tessmer ausdrücklich - er spricht von "Bedauern". Eine erste Ehrenerklärung lieferte er beim Pressegespräch:
"Es handelt sich bei Max Brose um einen Unternehmer mit einem engen Bezug und sozialer Verantwortung zu seinem Betrieb, zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aber nicht nur das, sondern auch soziale Verantwortung und soziale Leistungen zeigte er gegenüber der Stadt Coburg und ihren Bürgerinnen und Bürgern, und dafür gibt es jede Menge Belege."

Stoschek dankte Tessmer ausdrücklich dafür, "dass Sie eben nicht die Debatte um die Vergangenheit meines Großvaters vom Tisch bringen wollen, sondern dass Sie erklärt haben, mein Großvater verdient eine gerechte Beurteilung in seiner Zeit des Dritten Reiches".

Um eine Max-Brose-Straße geht es derzeit im Übrigen nicht: "Es ist nicht beabsichtigt, momentan eine Straße umzubenennen oder einen Beschluss herbeizuführen", betonte OB Tessmer.