Druckartikel: Marcel träumt von Normalität - trotz Hartz IV

Marcel träumt von Normalität - trotz Hartz IV


Autor: Helke Renner

Coburg, Freitag, 11. Juli 2014

Marcel Luther ist obdachlos, lebt in einem Abrisshaus und findet keine Wohnung. Dabei will er so gern arbeiten und ein "normales" Leben führen. Das Jobcenter Coburg Stadt hilft ihm bei der Suche - bislang ohne Erfolg.
Die Bleibe in einem Abrisshaus soll für Marcel Luther nur eine Übergangslösung sein. Er will da raus. Foto: Helke Renner


Marcel Luther kommt mit einer Plastiktüte voller Lebensmittel vom Markt. Er hat dort Passanten um Essen gebeten, weil er Hunger hatte. "Die Leute waren so hilfsbereit. Einer ist sogar mit mir zum Bäcker gegangen und ich konnte mir etwas aussuchen", erzählt er und schleppt seine Errungenschaften in das Abrisshaus am Rande der Innenstadt, das seit Monaten seine Bleibe ist. Ein Tisch aus übereinandergeschichteten Steinen und einer darübergelegten Schranktür, eine dünne Matratze und das Rückenpolster einer Couch als Bett-Ersatz sowie ein alter Sessel sind sein einziges Mobiliar in der ungemütlichen Behausung. Licht spenden ihm Teelichter. Um duschen zu können, kaufe er sich hin und wieder eine Karte fürs Hallenbad oder gehe zu seiner Mutter, sagt Marcel Luther.

Er ist zu 50 Prozent schwerbehindert und hat zehn Jahre seines Lebens in der Psychiatrie zugebracht.

"Seit April bin ich draußen und habe vier Wochen lang in München auf der Straße zugebracht." Kein Leben für den jungen Mann. Also kam er nach Coburg, weil seine Mutter hier wohnt. Die hat nur eine sehr kleine Wohnung und hält sich mit mehreren kleinen Jobs über Wasser. "Bei ihr kann ich nicht unterkommen." Aber in einer Stadt wie Coburg müsste es doch eine Wohnung für einen Menschen mit wenig Ansprüchen geben, dachte sich Marcel Luther. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. "Ich habe den Gang durch alle Ämter hinter mir und bin auch beim Jobcenter gemeldet." Dort betreut ihn der Fallmanager Roland Luckner.

Auf Betrüger hereingefallen

"Es ist nicht leicht, in Coburg preiswerten Wohnraum zu finden", sagt der und erzählt von Recherchen im Internet und Anfragen bei Vermietern - zum Beispiel bei dem Hausbesitzer in Scheuerfeld. Der habe ihm eine freie Wohnung angeboten, die aber plötzlich nicht mehr zur Verfügung stand, nachdem er erfahren hatte, für wen sie gedacht ist. Dabei ist Marcel Luther nicht anspruchsvoll. Er möchte einfach ein Dach über dem Kopf haben. Und halbwegs menschenwürdig sollte sein neues Zuhause auch sein. Die Miete zahlt ohnehin das Jobcenter. Auf der verzweifelten Suche sei der Mann sogar auf einen Betrüger hereingefallen, berichtet Roland Luckner. Der Vermieter hatte dem Jobcenter eine freie Wohnung gemeldet, die es aber nicht gab. "Ich sollte bei einem anderen Mieter mit einziehen, bis etwas frei wird", erzählt Marcel Luther. Roland Luckner hatte ihm von Anfang an abgeraten, in dieses stadtbekannte Haus zu ziehen. Doch der obdachlose Mann sei wild entschlossen gewesen und hätte sogar schon den Mietvertrag unterschrieben. "Wir suchen jetzt weiter." Zuflucht in der Obdachlosenunterkunft der Stadt zu suchen, sei für Marcel Luther keine Option, sagt Roland Luckner, weil er dort nur über Nacht bleiben dürfte.

Lange Warteliste bei Wohnbau

Auch bei der städtischen Wohnbau blieb die Suche erfolglos. "Wir würden ja gern helfen", sagt Geschäftsführer Christian Meyer, "aber wir haben im Moment keine Wohnung frei und eine Warteliste mit 1000 Leuten." Darunter seien auch andere Menschen in einer Notlage. "Ein Vierteljahr Wartezeit ist bei uns das Minimum."

Das Problem der Wohnungssuche gehört für den Fallmanager des Jobcenters fast schon zur täglichen Arbeit. Er ist speziell für Menschen mit Suchtproblemen, für Obdachlose und Opfer von häuslicher Gewalt zuständig. "Hausbesitzer vermieten lieber an Studenten als an Singles mit drei Kindern oder Hartz-IV-Bezieher." Dabei zahle das Jobcenter inzwischen sogar die Kaution und, wenn notwendig, die Maklergebühr. Denn: "Wer Arbeit sucht, braucht einen festen Wohnsitz." Das ist auch die Krux bei Marcel Luther. Er könnte einen Job bekommen, würde sogar noch einmal eine Ausbildung machen, aber dazu braucht er dringend eine Wohnung. "Ich möchte mein Leben wieder auf die Reihe bringen", sagt er und will die Hoffnung nicht verlieren.