Manche Zugvögel bleiben einfach im Coburger Land
Autor: Rainer Lutz
Coburg, Donnerstag, 02. Januar 2014
Immer mehr Vögel verzichten auf den langen Flug in den Süden. Sie versuchen an heimischen Futterhäuschen zu überwintern und fahren oft sehr gut damit. Denn wenn die anderen erschöpft von der langen Reise wieder hier eintrudeln, hocken die Dagebliebenen schon auf den besten Nistplätzen.
Nur Laien sind überrascht, den großen weißen Vogel am Goldbergsee stehen zu sehen. Wenn sie zu Hause nachschlagen, stellen sie fest, dass sie einen Silberreiher gesehen haben. Ist ihr Vogel-Bestimmungsbuch schon ein wenig älter, glauben sie eine seltene Beobachtung gemacht zu haben. Fachleute wissen es besser. "Silberreiher kommen im Winter immer häufiger zu uns als Nahrungsgäste", weiß Alexander Ulmer, der beim Coburger Landesbund für Vogelschutz Geschäftsführer ist.
Der ursprünglich im Mittelmeerraum lebende Silberreiher bildete erst Ende der 90er Jahre ein Vorkommen in Holland aus. Von dort breitet er sich rasch immer weiter aus. Ornithologen sehen dies als echte Lebensraumerweiterung. Und der Silberreiher ist nicht der einzige, der so etwas tut.
Andere Arten verzichten immer häufiger auf die weite Reise in südliche Winterquartiere.
Wie sich verbesserte Lebensbedingungen auswirken können zeigt für Alexander Ulmer besonders Meister Adebar. "Störche waren sehr selten geworden", schildert er die Entwicklung, die vor einigen Jahren zum Tiefpunkt der Populationsdichte geführt hat. Heute ist das ganz anders. Wohl auch, weil einige von ihnen ihr Zugverhalten geändert haben.
Störche ziehen über zwei Routen, erklärt Ulmer. Demnach unterscheiden die Vogelkundler Ostzieher, die über den Bosporus nach Afrika fliegen, und Westzieher, die über Spanien und Gibraltar ihre Winterquartiere erreichen. "Die Störche, die besonders früh wieder bei uns ankommen, sind in der Regel Westzieher", sagt Ulmer. Immer häufiger fliegen die Tiere gar nicht mehr bis Afrika. Spanische Müllkippen bieten ihnen genug Nahrung. Daher können sie sich etliche Kilometer Fernreise sparen und sind früher wieder hier, um die besten Brutplätze zu besetzen.
Da wundert es nicht, dass immer häufiger auch Störche nur noch dann unsere Region verlassen, wenn der Winter gar zu garstig wird. "Störche sind ja gute und ausdauernde Flieger, die sind in einem Tag im Breisgau und noch einen Tag später am Mittelmeer", weiß der LBV-Mann.
Zum Futtern in den Zoo
Im Nürnberger Raum kennt Ulmer noch eine Besonderheit in Sachen Vogelzug. Dort schweben die Störche regelmäßig im Zoo ein, um sich mit Nahrung zu versorgen. Damit hat sich für sie der Vogelzug erledigt.
Insgesamt stellen die Vogelforscher des LBV immer deutlicher fest, dass in Sachen Vogelzug nichts in Stein gemeißelt scheint. Die Tiere sind offenbar rasch anpassungsfähig, wenn sie die Bedingungen in einem Lebensraum ändern. So tauchte die bis dahin eher für den Norden übliche Wacholderdrossel erst Ende des 19. Jahrhunderts bei uns auf. Eine deutliche Erweiterung ihres Lebensraumes. Als Kurzstreckenzieher weicht sie nur so weit nach Süden aus, wie sie der Winter zwingt.
Der Stieglitz, heute Gast an praktisch jedem Futterhaus, war früher ein echter Zugvogel. "Er ist einer von denen, die stark von der Fütterung profitiert haben", meint Ulmer. Hausrotschwanz und Mönchsgrasmücke lassen sich von den örtlichen Bedingungen leiten, wenn es um ihr Zugverhalten geht. Aber: "In Extremen, können fast alle Arten zum Teilzieher werden", erklärt Ulmer und meint damit, dass dann zumindest ein Teil der Population in Richtung Süden ausweicht.
Die Fütterung fördert vor allem die Arten, die eh immer hier bleiben. "Sie haben dadurch weniger Nachwuchsverluste", so Ulmer. Ein Effekt, der auch für die unter den Zugvögeln gilt, die es mit dem Hierbleiben versuchen. Wenn ihre weit gereisten Artgenossen wieder eintrudeln, hocken die Hierbleiber schon auf den besten Brutplätzen.
Veränderte Lebensbedingungen sind aber nicht immer gleich bessere Lebensbedingungen. So hat sich die Situation für Spatzen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verschlechtert. "Bei ihnen hat daher die Zahl stark abgenommen", weiß Alexander Ulmer - nicht zuletzt von Aktionen wie der "Stunde der Wintervögel", die Anfang Januar wieder durchgeführt wird. Dabei kann jeder mitmachen und eine Stunde lang alle Vögel notieren, die an seinem Futterhaus auftauchen. Eine Volkszählung, die den Ornithologen wertvolle Hilfe bei der Erfassung von Bestandsentwicklungen gibt.
Füttern klein Problem
Für Ulmer spricht übrigens nichts gegen eine Vogelfütterung auch im Sommer. Davon profitieren zwar in erster Linie die Hersteller von Vogelfutter. Aber: "Wer zuerst anfängt, hat im Winter die meisten Vögel an seinem Häuschen", sagt er. Wer Vögel in seinem Garten füttern möchte, sollte vor allem auf strenge Hygiene achten. Daher sind dem LBV Futtersäulen lieber als die klassischen Häuschen, weil in den Häuschen Krankheitserreger leichter übertragen werden können.
"Wintergäste wie der Erlenzeisig sind da sehr empfindlich. Unter ihnen gibt es Jahr für Jahr hohe Verluste, weil sie sich am Futterhaus anstecken", warnt Ulmer. Sorgen, dass durch die Fütterung Vögel aus dem Wald in die Ortschaften gelockt werden, die aber im Wald zur Schädlingsbekämpfung gebraucht werden, brauchen sich Vogelfreunde nicht zu machen, beruhigt Alexander Ulmer: "Echte Waldvögel bleiben auch dort. Andere kommen in der Not zum Futterhaus und kehren später wieder sicher in den Wald zurück.
All die Veränderungen beim Zugverhalten der Vögel müssen kein Grund zur Sorge sein, ist Ulmer überzeugt, denn: "Wandel ist auch in der Natur völlig normal."