Literatur in Coburg: Lustig und grauenvoll
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Freitag, 20. April 2018
Die Coburger Literaturtage starten mit dem Roman-Marathon. Es treten Geister auf, Lyriker, Feingeister und grausame Menschen.
Es geht wieder los: Abtauchen in eine Woche literarischer Welten und dabei unsere eigene Welt tiefer, höher, weiter erfassen. Die Coburger Literaturtage starten mit dem Roman-Marathon. Das komplette Programm: siehe noch einmal unten. Damit Sie sich schon am Frühstückstisch, oder wo auch immer Sie Ihr Tageblatt lesen, von Vorfreude erfassen lassen können, hier ein Blick in den Roman von Ingrid Kaltenegger "Das Glück ist ein Vogerl". Kaltenegger, Irene Diwiak und Simon Strauß bestreiten heute den Roman-Marathon in der Reithalle.
"Warts ihr eigentlich schon immer so?", fragt die 14-jährige Julie ihre Eltern. Julie verschwendet möglichst wenig Aufmerksamkeit an Informationen, die ihr nicht auf elektronischem Wege zugetragen werden. Insofern deutet diese direkt vorgetragene Frage auf intensive familiäre Verwerfungen. Denn eigentlich verachtet Julie ihre Eltern einfach, ohne viele Worte darüber zu verlieren.
Zur Amalie, die im Koma liegt
Ingrid Kaltenegger ist Österreicherin. Die Österreicher haben ohnehin einen verschwommenen Horizont. Das sagen viele. In Kalteneggers Debütroman tritt auch gleich ein Geist auf. Der alte Egon ist zwar selbst schuld an seinem Tod, aber der Franz, der Vater von der Julie, der hier überhaupt die Hauptperson ist und so ziemlich am Ende von allem, war verstrickt in den Straßen-Machtkampf, und jetzt hat der den Geist des Egon am Hals. Der kann nicht ruhen, weil er das Versäumnis seines Lebens wieder gut machen muss - nur dass die Amalie, an die er sich vor 65 Jahren nicht ran traute, mittlerweile im Koma liegt.
Und der Franz in der Midlife-Crisis muss eigentlich seine Ehe mit der Linn retten und mit ihr den Fahrstuhl zum Glücklichsein bei dem amerikanischen Lebenshilfe-Coach Scott betreten. Die Linn will den Franz nämlich verlassen, weil der deppert ist. Für Franz wäre das endgültig das Ende.
Muss hier noch anderes erzählt werden über den Tonfall dieses Romans? Über die zu erwartenden Ereignisse, den Grad des Lesevergnügens? Ingrid Kalteneggers dermaßen wirklichkeitsnah irre Geschichte "Das Glück ist ein Vogerl" darf man lachend genießen.
Auf das Floß der Medusa
Mal davon abgesehen, dass das gesamte Programm von "Coburg liest 2018" verlockend klingt, sei ausdrücklich auf den Stargast verwiesen, was ein Stargast normaler Weise nicht nötig hat. Aber: Franzobel ist auch Österreicher, womit die bei den heurigen Literaturtagen eindeutig den Sieg der Präsenz davontragen. Irene Diwiak, heute beim Roman-Marathon, ist ja auch so eine und schreibt auch entsprechend (Tageblatt vom 6. April).
Aber Franzobel ist ein härterer Fall. 1967 in Vöcklabruck als Franz Stefan Griebl und Sohn eines Chemiearbeiters geboren, absolvierte die Höhere Technische Lehranstalt für Maschinenbau, um sich dann ganz der Germanistik und Geschichte zuzuwenden. Er hat unglaublich viel geschrieben, Poesie, Prosa, Skurriles, Böses. Etwa unter Titeln wie "Österreich ist schön. Ein Märchen". Oder "Adpfent. Ein Kindlein brennt".
Sein neuer Roman "Das Floß der Medusa" wurde auch schon wieder ausgezeichnet wie wild. Diesen historischen Roman wird er bei der Autoren-Gala am nächsten Freitag in Coburg vorstellen. Aber nicht nur ihn, und das wird auch nötig sein. Denn "Das Floß der Medusa" ist verdammt harter Stoff.
Ein wuchtiger Roman
Franzobel erweckt aus dem Untergang der französischen Fregatte Medusa im Jahr 1816, die 400 Passagiere an Bord hatte, ein ungemein wuchtig wirkendes Kaleidoskop der französischen Gesellschaft nach Napoleon und der bösartigen Wesensart des Menschen an sich. Er erweckt literarisch das Medusenhaupt der Menschheit und erwartet von seinen Lesern, dass sie keine Angst vor dem Grauen haben. Denn Franzobel hat die Gabe, Lebensgeschichten, Situationen, Gespräche auf kürzester Strecke mit größtmöglicher emotionaler Durchschlagskraft zu schildern.
Wenn das kein Grund ist, diesen Autor hier vor Ort kennenzulernen?
Roman-Marathon Ingrid Kaltenegger, Simon Strauß und Irene Diwiak sind heute um 19 Uhr in der Reithalle zu Gast. Die musikalische Umrahmung kommt von dem Blues-Gitarristen Rainer Brunn.
Lyrik Der Georg-Büchner-Preisträger des letzten Jahres, Jan Wagner, liest am Montag, 23. April, um 19.30 Uhr bei Leise am Markt. Musikalische Umrahmung hier durch Kyoko Frank, Klavier, und Philipp Grzondziel, Klarinette.
Kunst und Literatur Dienstag, 24. April, 19.30 Uhr: Florian Illies stellt im Kunstverein sein Buch "Gerade war der Himmel noch blau - Texte zur Kunst" vor. Moderator des Abends ist Illies Bruder Christian, der in Coburg lebt und als Philosophieprofessor in Bamberg wirkt.
In den Häusern der Stadt Mittwoch, 25. April, ab 20.30 Uhr: Ensemblemitglieder des Landestheaters lesen in privaten Wohnungen der Stadt. Anschließend Treffen im Münchner Hofbräu.
Autoren-Gala Der österreichische Schriftsteller Franzobel ist am Freitag, 27. April, um 19.30 Uhr im Foyer der Wohnbau Stadt Coburg, Mauer 12, dem früheren Modehaus Matzer & Worsch, zu Gast. Er liest aus seinem Roman "Das Floß der Medusa" und anderen Werken.
Karten Buchhandlung Riemann. Vorverkauf für "Literatur in den Häusern unserer Stadt" nur an der Kasse des Landestheaters. Weitere Informationen im Internet unter www.coburgliest.de.