Literatur in Coburg: Im Nichts kommt der Wolf
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Mittwoch, 03. Juli 2019
Der Literaturkreis hat die Schweizer Autorin Gianna Molinari zu Gast, die es gleich auf die Auswahlliste zum Deutschen Buchpreis geschafft hat.
Auf der Welt gibt es Stellen von Nichts. Und wenn das so ist, wie die Schweizer Autorin Gianna Molinari behauptet, dann ist da auch noch alles möglich. Für ihren ersten Roman "Hier ist noch alles möglich" erhielt sie verschiedene namhafte Preise und wurde - mit Staunen in den Begründungen - im letzten Jahr auf die etwa 20 Titel umfassende Longlist des Deutschen Buchpreises gesetzt. In der Schweiz gelangte sie sogar auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises, also in die engste Auswahl. Diese längeren und dann nur noch kurzen Auswahllisten vor der Benennung des Siegers sind bereits eine spannende Sache, weil der ausrichtende Börsenverein des Buchhandels in der Masse des jährlich Erscheinenden die Aufmerksamkeit auf Herausragendes lenkt.
Der Coburger Literaturkreis folgt jetzt einer dieser Empfehlungen und präsentiert Gianna Molinari bei einer Lesung im Pavillon des Kunstvereines.
Tatsächlich hat es etwas Merkwürdiges auf sich mit diesem Debütroman. Was erzählt und berichtet wird, kommt so lapidar daher, Dinge und Geschehnisse einfach aufzählend, alltäglich, Ereignisse scheinbar zufällig aufnehmend, wie wahllos in sie hineindenkend. Und dabei überschreitet dieser Roman genauso einfach eine Grenze, schon von Anfang an, wenn lapidare Sätze philosophische Wucht erhalten, aber nicht so, als sei das etwas. Und später überschreitet er auch eine fiktive Grenze in dem, was erzählt wird.
Beobachtungen schaffen die Welt
Was nicht eine Geschichte ist, sondern ein Puzzle aus verschiedenen, ein Puzzle aus Realitäten. Die Welt setzt sich aus Beobachtungen zusammen; wer es wagt, über die vorgegebenen Anleitungen zum Zusammensetzen von Beobachtungen hinwegzugehen, gelangt in - Anderes? Nichts? Neues?
Kleine konzentrierte Strichzeichnungen in Molinaris Buch und dann Schwarzweiß-Fotografien von Wolken sind ein weiterer Versuch auf diesem literarischen Weg, eine Kleinigkeit von unserer Wirklichkeit zu erfassen.
Eine dieser Stellen von Nichts ist der Wolf. Womit Gianna Molinari mit Gespür für das, was gegenwärtig stark wirkt in unserem Bewusstsein, ein symbolhaftes Bild aufgenommen hat, das unsere Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen durchspukt. Das Absurde lauert dabei überall.
Eine Frau wird als Nachtwächterin in einer Fabrik eingestellt, die eigentlich schon fast verlassen ist und demnächst schließen muss. Der Koch meint einen Wolf auf dem Gelände gesehen zu haben, was den Chef so beunruhigt, dass er "die Bestie" fassen will. Er lässt die beiden Nachtwächter sogar eine große Fallgrube ausheben. Die beiden kratzen also am Äußeren der Erdkruste, wie die Ich-Erzählerin feststellt, im Versuch, den Wolf, die Wirklichkeit, zu fangen.