Liegt Mahagonny an der Itz?
Autor: Jochen Berger
Coburg, Sonntag, 24. Juni 2018
Warum das Publikum im Landestheater Coburg die Neuinszenierung der Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" bejubelt.
Wer am Ende dieser Oper noch an das Gute auf der Welt glaubt, muss ein unerschütterlich optimistischer Zeitgenosse oder ein ebenso unerschütterlich glaubensfester Mensch sein.
Durch und durch verdorbene Welt
Denn mit "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" haben Bertolt Brecht und Kurt Weill ein gnadenlos entlarvendes Stück Musiktheater geschaffen. "Mahagonny" bietet den Zuschauern einen zynischen Blick auf eine durch und durch verdorbene Welt - ein zeitlos modernes Sodom und Gomorra, ein Endzeitdrama ohne die kleinste Hoffnung auf ein billiges Happy End.
Allerletzter Zufluchtsort
In der Coburger Neuinszenierung von Gastregisseurin Konstanze Lauterbach ist Mahagonny eine heruntergekommene Villa (Bühnenbild: Ariane Salzbrunn) - der allerletzte Zufluchtsort für gescheiterte Existenzen, für notorisch glücklose Glücksritter. Brecht-Fans lieben den messerscharfen Analytiker-Blick des Dramatikers, Brecht-Skeptiker nervt der besserwisserische Duktus, mit dem der Autor seine Erkenntnisse über die Schlechtigkeit des Menschen mit den Mitteln der Verfremdung auf die Bühne brachte.
Mit großer Intensität
Schlechte Brecht-Aufführungen werden dann zur theatralischen Ideologie. Wie sich Brechts "Mahagonny" mit der stilistisch kunterbunten Musik von Kurt Weill auch heute noch spannend und mit großer Intensität auf die Bühne bringen lässt, beweist Konstanze Lauterbach mit ihrer fünften Coburger Regiearbeit, für die sie wieder die perfekt charakterisierenden Kostüme entworfen hat.
Berührende Momente
Denn Konstanze Lauterbach hütet sich davor, "Mahagonny" als belehrendes Thesenstück zu inszenieren oder vordergründige politische Akzente zu setzen. Obwohl sie Brechts sattsam bekannter Verfremdungs-Ästhetik Tribut zollt, gelingt es ihr, die einzelnen Figuren nicht als bloße Personifizierungen Brechtscher Thesen auf die Bühne zu stellen, sondern ihnen differenziertes Profil zu verleihen. Sie denunziert die Figuren nicht, sondern schenkt ihnen inmitten der Ausweglosigkeit doch immer wieder auch berührende Momente des Erkennens.
Opfer der eigenen Gier
Sie sind Getriebene und Leidende, Hoffende und Verzweifelnde, Opfer ihrer eigenen Gier und bleiben am Ende doch Opportunisten, denen der Mut fehlt, den gnadenlosen Kreislauf der käuflichen Liebe zu durchbrechen.
Intensiv gestaltet
Die Coburger "Mahagonny"-Inszenierung beeindruckt das Premierenpublikum im Landestheater nicht zuletzt durch eine fast bis in die kleinste Rolle hinein perfekt passende Besetzung. Karsten Münster als Holzfäller Jim Mahoney mit unerschütterlich stabilem Heldentenor, Gabriela Künzler als Leokadja Begbick, Paul Kroeger als Prokurist Fatty, Anna Gütter als Jenny Hill, Michael Lion als Dreieinigkeitsmoses, Dirk Mestmacher als Jakob Schmidt und Tobby Higgins, Franz Xaver Schlecht als Sparbüchsenbill - sie alle beeindrucken das Publikum durch ihren intensiven gestalterischen Einsatz und die Fähigkeit, ihre Rolle nicht nur prägnant zu charakterisieren, sondern auch stimmlich präzis mit Leben zu erfüllen.
Gespür für Weills Musik
Weil auch der von Davide Lorenzato bestens einstudierte großen darstellerischen Einsatz demonstriert, gelingen Lauterbach immer wieder sehr eindringliche, ungemein packende Bilder. Am Dirigentenpult beweist Coburgs Generalmusikdirektor Roland Kluttig mit souveräner Stilsicherheit sein besonderes Gespür für die Musik Kurt Weills, die zwischen lapidarem Chanson-Tonfall, raffiniert verfremdetem Zitat und wuchtiger Opern-Dramatik pendelt. Das Philharmonische Orchester musiziert stets präzis und mit feinem Stilgefühl.Bemerkenswert ausdauernder Beifall für einen schonungslos eindringlichen Musiktheater-Abend.
"Mahagonny" am Landestheater
Opern-Tipp "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" - Oper von Kurt Weill, Texte von Bert Brecht; Landestheater CoburgProduktionsteam
Musikalische Leitung: Roland Kluttig; Inszenierung: Konstanze Lauterbach; Bühnenbild: Ariane Salzbrunn; Kostüme: Konstanze Lauterbach; Dramaturgie: Susanne von Tobien
Termine Matinee: Sonntag, 10. Juni, 11 Uhr; 29. Juni, 19.30 Uhr, 1. Juli, 18 Uhr, 3., 5., 11. Juli, 19.30 Uhr, Landestheater
Tickets Tageblatt-Geschäftsstelle, Theaterkasse
Entstehung Die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" erlebte am 9. März 1930 ihre Uraufführung im Neuen Theater in Leipzig. Gestört wurde die Uraufführung durch von Nazis organisierte Proteste. Die Keimzelle des dreiaktigen Werkes bildet "Mahagonny. Ein Songspiel", uraufgeführt im Juli 1927 beim Musikfest in Baden-Baden. Stilistisch verknüpft Weill Jazz, Foxtrott und Blues mit Zitaten von Bach bis Weber.
Konstanze Lauterbach absolvierte zunächst eine Ausbildung als Textilfacharbeiterin, wirkte dann als Requisiteurin in Gera. 1976 bis 1981 studierte sie an der Karl-Marx-Universität in Leipzig Germanistik und Literaturwissenschaften. 1987 bis 1990 war sie Regisseurin am Thüringer Landestheater Rudolstadt. Konstanze Lauterbach wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Am Landestheater Coburg war sie mehrfach als Regisseurin zu Gast. Im Juni 2013 inszenierte sie Tschaikowskys "Eugen Onegin", im Mai 2014 Ödon von Horváths schwarze Komödie "Zur schönen Aussicht", im September 2015 Bellinis Oper "Norma", im Januar 2017 folgte "Antigone" von Euripides.