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Krawietz stellt alle in den Schatten


Autor: Christoph Böger

Coburg, Dienstag, 17. November 2020

Der 28-jährige Witzmansberger führt beim 6:2, 7:6 (7:5)-Sieg gegen Lukasz Kubot/Marcelo Melo gekonnt Regie.
Ein sicheres Auge - ein perfekter Vorhand-Volley. Kevin Krawietz spielte am Dienstag in London nahezu fehlerfrei und besiegte mit seinem Partner Andreas Mies (im Hintergrund) das polnisch-brasilianische Doppel Lukasz Kubot und Marcelo Melo in zwei Sätzen. Foto: Frank Augstein/dpa


Kevin Krawietz ist derzeit die Nummer 18 in der Doppel-Weltrangliste, doch in London spielt der 28-Jährige aktuell wie ein Champion - als gäbe es keinen Besseren. Eindrucksvoll führte er erneut Regie im zweiten Duell beim diesjährigen ATP-Finale. Der entscheidende Unterschied im Gegensatz zum verlorenen Tennis-Krimi am Sonntag: Es gab ein Happy End für ihn und seinen Partner Andreas Mies.

Nach dem 6:2, 7:6 (7:5)-Sieg gegen Lukasz Kubot und Marcelo Melo sind die beiden Deutschen in der englischen Hauptstadt zurück in der Erfolgsspur. Jetzt haben es die French-Open-Sieger weiter selbst in der Hand, ihr angestrebtes Minimalziel, nämlich das Halbfinale zu erreichen.

Natürlich war die Freude im Lager von "KraMies" am Dienstagnachmittag riesengroß. Beide Freundinnen - Judith und Laura - klatschten immer wieder begeisternd Beifall. Das tat nach der Enttäuschung vom Sonntag sicher besonders gut. Und groß war die Erleichterung bei beiden Hauptakteuren dann auch nach dem Spiel: "Wir sind froh über diesen wichtigen Sieg und natürlich auch stolz auf unsere Leistungssteigerung. Jetzt sind wir weiter bei diesem tollen Turnier im Rennen", sagte ein gelöster und völlig entspannter Kevin Krawietz im Interview bei Sky. Um gleich noch zuversichtlich nachzulegen: "Wir versuchen jetzt natürlich an die gute Leistung von heute anzuknüpfen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir ein mächtiges Spiel und können auch gegen das derzeit in der Weltrangliste an Nummer 2 stehende Doppel gut aussehen."

Am Donnerstag will der ehrgeizige Witzmannsberger mit seinem Partner also unbedingt nachlegen, um den entscheidenden Schritt ins Halbfinale zu machen. Dafür ist ein Sieg über Rajeev Ram (USA) und Joe Salisbury (England) aber notwendig. Sollte das gelingen, ist für das beste deutsche Doppel anschließend alles in London möglich - sogar der Turniergewinn bei dieser inoffiziellen Weltmeisterschaft. Dann würden beide auch einen großen Schritt in der Weltrangliste nach oben machen.

Mit neuem Doppeltrainer

Das Staunen in der Ecke der "KraMies"-Anhänger ob der ausgezeichneten Leistung war während der gesamten Partie am Dienstag groß. Julian Knowle, der vor kurzem zusätzlich engagierte Doppelcoach, und Physiotherapeutin Lissi aus Hamburg strahlten dabei trotz Corona-Maske um die Wette, weil ihre Schützlinge bis zum Schluss nicht nachließen und die Vorgaben konsequent umsetzten. Krawietz über Knowle: "Julian gibt uns ganz simple Dinge mit auf den Weg. Das ist hervorragend und tut uns gut".

Mies trotz Kniebeschwerden stark

Mies schlug konsequenter zu, ging deutlich entschlossener zu Werke als noch vor zwei Tagen und er servierte vor allem besser als zuletzt. Damit gelangen dem Kölner mehrere "Winners" - sicher auch eine Folge der Aufbauarbeit des erfahrenen Doppeltrainers Knowle, der die Deutschen auf ihrem Weg an die absolute Weltspitze in Nuancen voranbringen will.

Aber nicht nur ihre Schläge, sondern vor allem die Körpersprache der zweifachen French-Open-Sieger war sensationell. Die Absprache funktionierte perfekt, immer wieder kam die anerkennende Siegerfaust - sowohl von Krawietz und natürlich erst recht von Energiebündel Mies, der erkennbar etwas gutmachen wollte. Das gelang dem Kölner eindrucksvoll. Damit ließ er auch seinen euphorischen Worten Taten folgen, schließlich sagte der immer noch leicht am rechten Knie verletzte Kölner ("Ich habe immer noch Schmerzen") vor dem Turnier an der Themse: "Unser Ziel ist es, irgendwann alle wichtigen Titel gewonnen zu haben".

Dominator Krawietz

Sein Partner agierte ohnehin wieder vom ersten Schlag an hellwach. KK war dabei förmlich anzumerken, dass er in der leeren O2-Arena am liebsten Berge versetzen würde und dass ihn diese verflixte Auftaktniederlage noch extrem wurmt. Dem Wahl-Münchner gelang es seine Wut in positive Energie umzuwandeln. Deshalb legten die Paris-Champions auch einen Traumstart auf die Platte.

Der 1. Satz

Gleich zwei Asse im ersten Aufschlagspiel - Krawietz war "on fire". Probleme, das eigene Service durchzubringen, gab es vorerst keine. Rubot/Melo - zwei Spieler, die beide schon auf Weltranglistenplatz 1 im Doppel standen - kamen nur langsam in Fahrt. Zwei Doppelfehler, schwache Volleys, aber vor allem fantastische Returns der Deutschen führten zu einem Doppel-Break und einer beruhigenden 4:1-Führung.

Weil Krawietz nach einem verlorenen Aufschlagspiel mit einer krachenden Rückhand der Linie entlang auch noch das dritte Break in Folge perfekt machte, war wenig später der erste Durchgang nach nur 29 Minuten in trockenen Tüchern: 6:2. Die Summe aller ausgespielten Bälle sprach eine deutliche Sprache für das fränkisch/rheinische Duo: 27:16!

Der 2. Satz

Danach wurde es spannender, weil sich das polnisch-brasilianische Doppel extrem steigerte. Vor allem ihre Aufschläge schlugen jetzt reihenweise wie Granaten auf der Seite der Deutschen ein. Nun entwickelte sich das von Beginn an erwartete Duell auf Augenhöhe. Dabei behielt Andreas Mies im achten Spiel bei 3:4-Rückstand die Nerven und brachte trotz eines 0:30 sein Service sicher durch - auch weil Krawietz mit schier unglaublich Reflexen am Netz vollierte. Die Folge nach zwölf erfolgreichen Aufschlagspielen und insgesamt 75 Minuten Spielzeit: 6:6 und Tiebreak.

Ein schnelles Mini-Break beim ersten Ballwechsel gab Rückenwind bis zur 6:4-Führung, weil sich beide Deutschen bei eigenem Aufschlag keine Blöße gaben. Den ersten Matchball wehrten die Gegner zwar noch spektakulär ab, doch beim zweiten zeigte der beste Mann auf dem Court, Kevin Krawietz, seine ganze Klasse: Mit einem tollen Return setzte er den Brasilianer unter Druck, legte zwei platzierte und gut überlegte Volleys nach. Das reichte zum verdienten Sieg, denn der vierte Schlag des Polen landete im Netz.