Konsumstress zu Weihnachten - Fritz Reheis: "Die staade Zeit ist die hektischste Zeit des Jahres"
Autor: Natalie Schalk
Rödental, Montag, 16. Dezember 2019
Fritz Reheis ist der Mann, der den Begriff der Entschleunigung erfunden hat. Der Soziologe warnt vor den folgen eines immer schneller voran schreitenden Kapitalismus.
Fritz Reheis hat es sich in einem Schwingsessel gemütlich gemacht. "Poem" heißt dieses Gedicht von einem Möbelstück und steht wie ein Mahnmal gegen immer schnellere, neue Moden im Wohnzimmer des Wissenschaftlers. Fritz Reheis hat es vor vielen Jahren - in den 70ern muss es gewesen sein - bei Ikea gekauft. Der Soziologe erklärt, warum wir alle ein bisschen langsamer machen sollten.
Die besinnliche Vorweihnachtszeit ... empfinden viele Menschen als besonders stressig. Warum?
Fritz Reheis: Die staade Zeit ist die hektischste Zeit des Jahres. Und zwar deshalb, weil die Wirtschaft christliche Feiertage nutzt, um den Umsatz in die Höhe zu pushen. Wie erfolgreich sie ist, zeigt sich in den Standards, die wir entwickelt haben, ohne es zu merken. Im Zentrum des Weihnachtsfests steht für viele die Frage: Wer bekommt was? Und oft genug: Wie teuer muss das Geschenk jeweils sein, damit keiner beleidigt ist? Das ist ein ökonomisch angestoßener, sozial und kulturell angelegter Prozess. Er ordnet den religiösen Sinn des Festes der Logik des Geldes unter.
Der Konsum lässt uns also nicht zur Ruhe kommen?
Für die Ökonomie wäre es ruinös, zur Besinnung anzustiften. Weihnachten, Silvester, auch Geburtstage: Familienfeste haben eigentlich Potenzial, dazu anzuregen, kollektiv über den Jahresturnus und das Leben insgesamt nachzudenken und den Alltag in größere Zusammenhänge einzubinden. Genau wie die Sonntage, die auch eine Pause im Alltag sein könnten.
Auch die Wochenenden sind oft durchgetaktet - keiner hat Zeit. Nehmen wir uns zu viel vor?
Vermutlich ist das oft der Fall. Aber man müsste genau untersuchen, ob sich jemand zu viel vornimmt oder ob ihm zu viel aufgehalst wird von der Umwelt. Wahrscheinlich geht das eine in das andere über. Dadurch steigen die Standards, die Erwartungen aneinander, und so kommt es, dass man sich mehr zumutet, als einem gut tut. Wichtig aber ist ein fundamentaler Unterschied: In der Arbeitswelt ist das fremdbestimmt, in der Freizeit nicht. Aber wir können die Freiheit nicht nutzen, weil wir uns den subtilen Reizen der Konsumwelt, der Werbung, der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten unterwerfen. Ohne dem etwas entgegenzusetzen und oft sogar, ohne es überhaupt zu bemerken.