Druckartikel: Könnten auch in Coburg bald autonome Busse fahren?

Könnten auch in Coburg bald autonome Busse fahren?


Autor: Oliver Schmidt

Coburg, Montag, 09. November 2020

Seit vier Wochen rollen zwei autonome Busse durch die Innenstadt von Kronach. Verkehrsexperten aus der Vestestadt beobachten das Modellprojekt durchaus mit Interesse - aber auch mit Skepsis.
Wie von Geisterhand bewegen sich die autonom fahrenden Busse durch die Kronacher Innenstadt. Zur Sicherheit  befindet sich während der Testphase aber immer ein Begleiter im Fahrzeug, der in Zweifelsfällen eingreifen kann.Foto: Sandra Hackenberg


Kronach hat eine neue Attraktion: Immer wieder bleiben Menschen in der Innenstadt stehen und blicken den zwei kleinen Bussen hinterher, die sich mit 18 km/h durch die Innenstadt bewegen - wohlgemerkt: Die Busse fahren ohne Fahrer! Coronabedingt sind derzeit zwar auch noch keine Fahrgäste erlaubt. Doch das Projekt ist bis voraussichtlich Ende 2021 angelegt, so dass hoffentlich sehr wohl noch die Möglichkeit zum Mitfahren bestehen dürfte.

In Coburg wird das Geschehen in der Nachbarstadt nicht nur deshalb mit Interesse verfolgt, weil über den Lucas-Cranach-Campus auch die Hochschule Coburg eng in das Projekt eingebunden ist (siehe dazu auch "Hintergrund" am Textende). So wird es grundsätzlich von Experten als wichtig erachtet, neue Erkenntnisse rund um den Themenkomplex Mobilität und Verkehrswende zu gewinnen. "Man muss sich damit beschäftigen", sagt etwa Raimund Angermüller, der Leiter der Verkehrsbetriebe bei den SÜC. Doch konkret darauf angesprochen, ob er sich in absehbarer Zeit autonome Stadtbusse in Coburg vorstellen kann, muss Angermüller die von Kronach möglicherweise ausgehende Euphorie etwas bremsen: "Wir sind von einem praktischen Einsatz noch weit entfernt."

Auf virtuellen Schienen unterwegs

Damit ein Bus autonom fahren kann, muss zunächst die gewünschte Route digital vermessen werden. Auf diese Weise entsteht eine virtuelle Schiene, auf die sich der Bus dann mit Hilfe einer Computersteuerung fortbewegen kann. Aber: Jede unerwartete Veränderung und jedes Hindernis auf der Strecke - vom Falschparker bis zum Hund, der dem Bus zu nahe kommt - bringen das Fahrzeug zum Stehen. In solchen Fällen muss anschließend ein Mensch eingreifen, damit die Fahrt fortgesetzt werden kann.

Raimund Angermüller stellt sich vor, wie ein autonomer Stadtbus über die belebte Mohrenstraße durch die enge Georgengasse bis zum Theaterplatz und dann noch weiter zum Glockenberg mit dem morgens und und mittags massiven Schüler-Aufkommen fährt. Seine Einschätzung: "Das mag irgendwann funktionieren - aber heute und morgen sicherlich nicht."

Das sieht Marita Nehring von der Arbeitsgemeinschaft ÖPNV genauso. Auch sie begrüßt zwar, dass rund um das autonome Fahren geforscht und getestet wird. Aber: "Das Einsatzfeld im klassischen ÖPNV halte ich für überschaubar." Vorstellen könnte sie sich autonome Busse hingegen in Nischen. Als Beispiel nennt sie eine "Binnenerschließung", wie sie es selbst einmal testweise auf dem weitläufigen Klinikgelände der Charité in Berlin erlebt hat.

In Coburg fällt einem da die Bimmelbahn zur Veste ein - und auch der Bad Rodacher Bürgermeister Tobias Ehrlicher (SPD) hat eine Idee: "Wir hatten uns ja auch darum bemüht, ein Modellprojekt zu bekommen - als Anbindung der Therme Natur zum Bahnhof." Entsprechend interessiert verfolgt der Bürgermeister jetzt das Projekt in Kronach: "Und wenn es gut funktioniert und anschließend neue Einsatzgebiete für die autonomen Busse gesucht werden, dann rufen wir als Erste ,Ja‘!"

Es gibt Verkehrsexperten, die autonomen Bussen speziell im ländlichen Raum eine Chance geben. Marita Nehring hat aber auch hier ihre Zweifel und verweist auf die "soziale Komponente" eines Busfahrers. Zur Veranschaulichung nennt sie das Beispiel, wie sich wohl eine ältere Frau fühlt, wenn sie abends in einen Bus steigt, in dem sich zwar keine offizielle Begleitperson befindet, wohl aber mehrere angetrunkene Fahrgäste.

Die Gewerkschaft mahnt

Doch zum Themenkomplex Mobilität/Verkehrswende gehören nicht nur virtuelle Schienen. So hat die Industriegewerkschaft Bau jetzt gefordert, dass in der Stadt und im Landkreis Coburg auch in Krisenzeiten weiterhin "in die Zukunft investiert" werden müsse. Konkret genannt wird in einer Pressemitteilung die öffentliche Infrastruktur. Der Level von 2019 müsse gehalten werden - auch wenn viele Kämmerer aufgrund der Corona-Pandemie zum Sparen gezwungen seien. Laut IG Bau hat die Stadt Coburg im vergangenen Jahr 9,2 Millionen Euro in die öffentliche Infrastruktur investiert, was 224 Euro pro Einwohner entspreche (Landkreis Coburg: 48,2 Millionen Euro insgesamt/556 Euro pro Einwohner). Einen "großen Nachholbedarf" sieht die IG Bau demnach vor allem im Bereich Verkehrswende. "Nur wenn flächendeckend deutlich mehr in Gleise, Radwege und Ladestationen für Elektroautos investiert wird, sind die Klimaziele erreichbar", heißt es mahnend in der Pressemitteilung.

Hochschule Coburg bietet Studiengang "Autonomes Fahren" an

Projekt Zum Sommersemester 2021 startet am Lucas-Cranach-Campus in Kronach, bei dem es sich um eine Außenstelle der Hochschule Coburg handelt, der neue Master-Studiengang "Autonomes Fahren". Bewerbungen für einen der insgesamt 123 Studienplätze sind ab 15. November im Internet unter www.hs-coburg.de/autonomes-fahren möglich. Die Zulassungsvoraussetzungen für den drei Semester umfassenden Studiengang sind ein abgeschlossenes technisches oder mathematisches Bachelorstudium in den Fachrichtungen Maschinenbau, Elektrotechnik/Elektronik, Physik, Automobiltechnik, Informatik oder artverwandte Studiengänge.