Köche in Coburg zwischen Stress und Party
Autor: Simone Bastian
Coburg, Montag, 14. November 2016
Der "Spitzentreff der Sterneköche" ist für die Gäste ein genussvolles Vergnügen. Doch für die Köche und Betreiber steckt mehr dahinter.
Spitzengastronomie muss man sich leisten können. Das gilt nicht nur für die Gäste, die 139 Euro für den Abend in der "Goldenen Traube" gezahlt haben. Das gilt aber auch für diejenigen, die diese Spitzengastronomie in ihren Häusern möglich machen.
Immer am dritten Sonntag im November findet in der "Traube" das "Gipfeltreffen der Sterneköche" statt. Der Termin habe sich mittlerweile etabliert, sagt Hotelchefin Barbara Glauben-Woy. Früher fanden die Kochevents mittwochs statt. Nun also sonntags, und das lastet auch das Hotel mit aus, wie Barbara Glauben-Woy unumwunden einräumt. Die Wochenendtouristen sind am Sonntagabend schon weg, die nächsten Geschäftsreisenden kommen erst am Montag an.
Einen Stern hat das Gourmet-Restaurant "Esszimmer" in der Goldenen Traube. Daneben gibt es hier die Sushi-Bar und das Grillrestaurant. Ein Gourmetrestaurant allein würde sich nicht tragen, sagt Traube-Chef Bernd Glauben. Deshalb hat das Esszimmer nur 20 Sitzplätze. "So klein möchte sich es auch mal haben", seufzt Sonja Frühsammer, Arm in Arm mit ihrem Mann Peter. Die beiden betreiben Frühsammers Restaurant in Berlin; sie hat 2014 den Stern erkocht, er ist Sommelier und Restaurantleiter. Er hatte selbst zehn Jahre lang einen Michelin-Stern, war 1984 der jüngste Sternekoch Deutschlands.
Wenn man Peter Frühsammer zuhört, scheint so ein Stern nicht viel zu bedeuten. Entscheidend ist, dass Gäste ins Restaurant kommen, ihre Erwartungen erfüllt werden - das Unternehmen muss laufen. Auch der Ausflug nach Coburg gehört zum Geschäft: Schauen, was andere Köche machen, mögliche Gäste fürs eigene Haus interessieren, Anregungen finden. "Hier habe ich heute frittiertes Sauerkraut gesehen", sagt Frühsammer. "Allein dafür hat sich das Herfahren schon gelohnt." Frühsammers steuern den ersten Zwischengang bei, Kabeljau mit Ochsenmaulvinaigrette und Liebstöckelböhnchen.
Im Moment richten die Köche noch gemeinsam die Vorspeise an. "Marinierte Gänseleber, Crue de Cacao, Rote Bete, Estragon, Himbeere, Honigbrot" hat Nico Burkhardt vom Restaurant Olivio in Stuttgart angekündigt. Ein Feuerwerk an Aromen, gegen das es die beiden Weine - eine Riesling-Spätlese vom Domänenweingut Schloss Schönborn und eine Rieslaner Spätlese von der Hallburg - schwer haben, wie die Kenner am Tisch urteilen.
Das "Olivio" gehört zum Steigenberger-Hotel in Stuttgart, direkt am Bahnhof gelegen. Viele der deutschen Spitzenrestaurants sind an Hotels angeschlossen. Mit den Frühsammers und André Großfeld von der Villa Merton in Frankfurt sind zwei Köche beim Treffen, die auf eigenen Füßen stehen. Großfeld liefert den Hauptgang - Kalbsbrust und Kalbsfilet mit verschiedenen Linsen - und wird später sagen, dass es vor allem auf die Herkunft der Produkte ankomme: "Eigentlich muss es nur schmecken. Fleisch schmoren oder rosa braten kann jeder." Vor etwa einem Jahr hat er die Villa Merton übernommen. "Früher hatte ich fünf Angestellte, jetzt habe ich 30."
Deshalb bieten Gourmetrestaurants heutzutage weit mehr als eine teure Speisekarte: Kochkurse, den Tisch in der Küche, wo die Gäste den Köchen bei der Arbeit zusehen können, Bankette, Events. Manche Köche steigen aber aus dem Betrieb mit aufwendig arrangierten Gerichten, großem Weinkeller und viel Personal aus, wie Oliver Scheiblauer: Der Wiener widmet sich nur noch seiner Fleischmanufaktur Aumaerk und bringt mit seinem Schweinebauch auch den Traube-Küchenchef Steffen Szabo zum Schwärmen.
Wie Scheiblauer sein "Pork Royal" mit dem gut gewürzten, zarten Fleisch und der röschen Kruste hinbekommt, verrät er jedoch nicht. Das Verfahren sei geheim, sagt er, und nicht einmal jeder Aumaerk-Mitarbeiter habe Zutritt zur Produktion. Scheiblauer und seine Sous-Chefin Miriam Okoroego haben auch das frittierte Sauerkraut mitgebracht, das Peter Frühsammer so begeisterte.
Mit jedem Gang fällt von einem Koch die Anspannung ab. Nico Burkhardt ist als erster fertig und in Feierlaune, hilft aber genauso wie alle anderen bei jedem Gang mit. Entspanntes Arbeiten sei das, sagt Peter Frühsammer. "120 Teller, immer das Gleiche, und jeder macht nur einen Handgriff." Im normalen Restaurantbetrieb, wenn für einen Tisch zwei, vier oder mehr Teller mit A-la-Carte-Gerichten fertig werden müssen, sei der Stress für den Koch weitaus höher. "Und dann hat einer eine Allergie gegen Fisch, der andere verträgt kein Gluten, und der dritte möchte keinen Brokkoli", ergänzt Sonja Frühsammer.
Für die Köche ist so ein 120-Personen-Bankett also eine eher einfache Angelegenheit - auch, weil sie von Bankettchef Torsten Bargenda präzise Zeitangaben erhalten, wann der nächste Gang herauszugeben ist. Dann steht die Anrichtekette, jeder Koch legt ein Stück auf oder drapiert die Soße, wie es der jeweilige Chef für das Gericht vorgegeben hat, Steffen Szabo beseitigt jedes Tröpfchen, das daneben ging, und für die Kellner gibt es eindeutige Anweisungen, wie sie die Teller zu platzieren haben: "Die Lende links!" Restaurantchefin und Sommelière Sandra Tober übergibt die Teller an ihre Serviceleute, Torsten Bargenda dirigiert die Kellner an die Tische, so dass alle zur gleichen Zeit mit Essen beginnen können und niemand ratlos einen übriggebliebenen Teller durch den Saal trägt. Viel Aufwand, von dem die Gäste, beflügelt durch Wein und Gespräche, möglichst wenig mitbekommen sollen.
Nach André Großfelds Kalbsfilet hat eigentlich nur noch das Heimteam der Traube richtig Stress: Steffen Szabo, Johannes Bischof und Stefan Ludwig bereiten das Dessert vor, das schlicht "Himbeere, weiße Schokolade, Bete" betitelt ist. Oliver Scheiblauer nascht genüsslich von den Rote-Bete-Würfelchen, André Großmann ist begeistert von der Idee, die Rote Bete, die es auch in der Vorspeise gab, im Dessert wieder aufzunehmen. "Das hab ich gestern bei mir im Restaurant auch gemacht." Die Chefköche und ihre Mitarbeiter stellen die Weingläser beiseite und drapieren in 120 Schälchen Gemüsewürfel, Himbeeren und Schokoladestückchen.
Für die Nachspeise und überhaupt das ganze Menü spenden die Gäste herzlich Applaus, genauso wie für die Winzer und die Servicekräfte. Nico Burkhardt dankt den Gastgebern und kündigt an: "Wir machen noch ne kleine Party hier." Für Hotelchef Bernd Glauben ist solch ein Abend denn auch in erster Linie Eigenwerbung: Wer gemerkt hat, was er in der Spitzengastronomie fürs Geld geboten bekommt, kehrt vielleicht wieder mal ein. Spitzengastronomie muss man sich leisten wollen.