Klangrausch lockt im Landestheater Coburg
Autor: Jochen Berger
Coburg, Mittwoch, 17. Sept. 2014
Mit einem außergewöhnlichen Programm eröffnet Coburgs Generalmusikdirektor Roland Kluttig die neue Konzert-Saison am Landestheater. Solist auf der Mundorgel Sheng ist der international gefeierte Virtuose Wu Wei.
Das Sinfoniekonzert am Montag verspricht außergewöhnliche Klänge. Im Zentrum steht die Coburger Erstaufführung des Konzerts für Mundorgel und Orchester der in Berlin lebenden koreanischen Komponistin Unsuk Chin. Am Pult: Coburgs GMD Roland Kluttig.
"Klangrausch" haben Sie als Motto für das erste Sinfoniekonzert der Saison mit Werken von Alexander Skrjabin, Unsuk Chin und Maurice Ravel gewählt. Was war der Ausgangspunkt für dieses Programmkonzept?
Roland Kluttig: Natürlich kann man sich fragen: Muss ein kleines oder mittleres Haus, das keinen eigenen Konzertsaal besitzt, solch ein Programm auf die Beine stellen? Aber ich sehe die vielen großartigen Holz- und Blechbläser unseres Orchesters vor mir, ich spüre den Hunger der Musiker nach Herausforderungen.
Sie haben bereits mehrfach Werke von Unsuk Chin aufgeführt.
In Heidelberg habe ich 2007 in einem Preisträgerkonzert das Violinkonzert von Unsuk Chin dirigiert. Ihr hat das anscheinend zugesagt. Sie hat mich danach zu vielen Orchestern in aller Welt geschickt, um ihre Musik zu dirigieren. Ihr Konzert für Sheng und Orchester habe ich als asiatische Erstaufführung 2010 in Seoul dirigiert.
Wie lässt sich die Musik von Unsuk Chin beschreiben für jemanden, der noch nie ein Werk der in Berlin lebenden koreanischen Komponistin gehört hat?
Das Überraschende ist, dass man in ihrer Musik das asiatische Idiom eigentlich vergeblich sucht. Ihre Heimat ist die Musik von Strawinsky, Ravel, Ligeti - eine zauberische, brillante Musik, in der es eigentlich keine asiatischen Elemente gibt. Sie selbst beschreibt das ja auch so - dass sie quasi nach Europa gekommen ist, um in ihre Heimat zu kommen, was bei jemandem, der in Korea aufgewachsen ist, zunächst einmal etwas merkwürdig klingt.
Was zeichnet das Konzert für die Mundorgel Sheng aus?
In diesem Konzert wendet sich Unsuk Chin, wie ich finde, erstmals ihren Wurzeln zu. Die Mundorgel Sheng spielt nicht nur in der chinesischen, sondern auch in der japanischen und in der koreanischen Musik eine große Rolle. Das Faszinierende an diesem Konzert ist, dass die Komponistin die Spielweise des Soloinstruments gleichsam auf das gesamte Orchester überträgt. Wenn man das Stück ohne das Soloinstrument probt, fehlt der Musik regelrecht die Mitte, man versteht eigentlich gar nicht, worum es überhaupt geht. Wenn man dann aber mit dem Solisten probt, wird klar, dass das Orchester in diesem Werk eine Art klangliche Hülle bildet. Dann entsteht wirklich ein Sog. Ich halte dieses Werk für ein äußerst gelungenes Beispiel der Verschmelzung von außereuropäischen Instrumenten mit unserem Orchesterklang.
Was verleiht Skrjabins "Poème" seinen besonderen Rang?
Ein interessanter Aspekt ist: Obwohl Skrjabin Russe war, hat dieses Werk überhaupt nichts Russisches an sich - anders als etwa bei Rachmaninow, mit dem Skrjabin studiert hat. Rachmaninow ist auch Weltbürger, aber er zehrt immer von der russischen Melodik. Bei Skrjabin aber ist davon nichts zu spüren. Diese Aufhebung der nationalen Tonsprache, die das 19. Jahrhundert geprägt hat, finde ich sehr interessant.
Was interessiert Sie an Ravels Musik besonders?
Faszinierend für mich ist, wie er in seinem Liederzyklus "Shéhérazade" mit ganz wenigen Pinselstrichen einen unglaublichen Duft erzeugt. Und im Gegensatz zu Skrjabin beeindruckt, wie reduziert und sparsam in den Mitteln er diesen Klangrausch erzeugt.
Wie passt Ravel in dieses Programmkonzept, was verbindet Ravel mit Skrjabin, was trennt sie?
Ravel perfektioniert die Technik des musikalischen Strudels, des Sogs. Der Schluss der 2. Suite aus "Daphnis und Chloé" ist vielleicht der effektvollste Konzertschluss der gesamten Musikgeschichte. Da entsteht eine Bewegung, bei der Melodik, Harmonik und Rhythmik gar nicht mehr zu trennen sind.
Programm und Interpreten beim Konzert-Auftakt am Montag im Landestheater
Konzert-Tipp 1. Sinfoniekonzert "Klangrausch" - Montag, 22. September, 20 Uhr, Landestheater Coburg
Interpreten Ute Döring (Mezzosopran), Wu Wei (Sheng), Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg, Dirigent: Roland Kluttig
Programm Alexander Skrjabin: "Le Poème de l'Extase"
Unsuk Chin: "Shu", Konzert für Sheng und Orchester
Maurice Ravel: "Shéhérazade", "Daphnis und Chloé", 2. Suite
Sheng Die chinesische Mundorgel ist mindestens dreieinhalb Jahrtausende alt. Sie ist damit das älteste Instrument, das das Prinzip der Durchschlagzunge benutzt, wie es beispielsweise auch bei Akkordeon oder bei den Zungenstimmen einer Orgel Verwendung findet. Die spieltechnischen Möglichkeiten dieses traditionsreichsten Instruments wurden in jüngster Zeit radikal erweitert.
Wu Wei, der seine künstlerische Ausbildung am Konservatorium von Schanghai erhielt, hat maßgeblich dazu beigetragen, die Ausdrucksmöglichkeiten der chinesischen Mundorgel Sheng international bekannt zu machen.
Ute Döring Die international erfolgreiche Mezzosopranistin war bereits mehrfach in Coburg zu Gast. So gestaltete sie bei der Wagner-Collage im Rahmen des Festivals "Lied & Lyrik" Isoldes "Liebestod", wirkte im März 2012 bei einem szenischen Konzert in der Reithalle mit und gestaltete den Part der Isolde in der konzertanten Aufführung eines "Tristan und Isolde"-Querschnitts im März 2013 in der Coburger Morizkirche.
Unsuk Chin wurde in Seoul geboren, studierte bei György Ligeti in Hamburg und lebt nun in Berlin. Sie ist Trägerin des Grawemeyer Award 2004 für ihr Violinkonzert sowie des Arnold Schönberg Preises 2005 und des Heidelberger Künstlerinnenpreises 2007. Ihr Schaffen umfasst sowohl elektronische als auch akustische Kompositionen. "Shu", das Konzert für Sheng und Orchester, wurde im August 2009 in der Suntory Hall Tokyo uraufgeführt. Solist der Uraufführung war Wu Wei.