Coburg: Kinder in Kita misshandelt - Warum der Fall neu verhandelt wird
Autor: Katja Nauer
Coburg, Dienstag, 24. Oktober 2017
Im April 2017 sprach das Amtsgericht Coburg das Urteil. Doch was war wirklich passiert? Der Prozess gegen zwei Mitarbeiterinnen wird neu aufgerollt.
Der Fall schlug im Frühjahr dieses Jahres hohe Wellen: Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen einer Kindertagesstätte im Raum Coburg wurden wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und vorsätzlicher Körperverletzung angeklagt. Beide Frauen wurden verurteilt. Die Kinderpflegerin zu einer Geldstrafe von 3000 Euro, ihre Vorgesetzte zu einer Geldstrafe von 6000 Euro. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Misshandlungen von Kindern in der Tagesstätte, wie von Zeugen geschildert, geschehen waren.
Während die Kinderpflegerin die Strafe annahm, legte die Erzieherin Berufung ein. Am Dienstagvormittag wurde der Fall deshalb neu aufgerollt.
Zur Erinnerung: Nachdem eine Mitarbeiterin der Kindertagesstätte sich mit dem Jugendamt der Stadt Coburg in Verbindung gesetzt und Fälle von Kindesmisshandlungen in der Kindertagesstätte zur Sprache gebracht hatte, erstattete Oberbürgermeister Norbert Tessmer Anzeige. Laut Aussagen verschiedener Zeugen seien die Verantwortlichen in dem Fall vorher mehrfach untätig geblieben. Eine Mitarbeiterin, die in der Vergangenheit ähnliche Vorfälle gemeldet habe, hätte gar die Einrichtung verlassen müssen. Auch die Kollegin, die die Sache ins Rollen gebracht und sich mit dem Jugendamt in Coburg in Verbindung gesetzt hatte, ist nicht mehr in der Einrichtung tätig. Sie habe einen Aufhebungsvertrag unterschreiben müssen, erklärte sie.
Vorwurf: Den Misshandlungen auch tatenlos zugesehen
Der Angeklagten, die von 2011 bis Januar 2015 als Kindergartenleitung in der Einrichtung tätig war, wirft die Staatsanwaltschaft vor, im Jahr 2014 in einem Fall eine Misshandlung selbst begangen oder aber Misshandlungen tatenlos zugesehen zu haben. Auf Anraten ihres Anwaltes Till Wagler machte die 42-Jährige keine Angaben zu den Vorfällen.
Am Dienstag sagte die 37-jährige Kinderpflegerin und ehemalige Kollegin aus, deren Urteil bereits rechtskräftig ist. In einem Fall soll die Angeklagte im Beisein der Kinderpflegerin einem Mädchen Obstsalat dergestalt aufgezwungen haben, dass das Kind erbrach. Das Mädchen sei von der Angeklagten ganz normal gefüttert worden, habe dann aber nichts mehr gewollt und "gegöckt", sagte dagegen die Zeugin. "Es war nicht so, dass ihr der Löffel in den Mund gerammt worden sei." Zwar habe sich das Mädchen erbrochen, gab sie an, das sei aber nicht vom Obstsalat gekommen. Der Löffel der Angeklagten habe lediglich die Lippe des Mädchens berührt. Sie habe den Vorfall von Anfang an beobachtet.
Die Kinderpflegerin, die 15 Jahre lang in der Kindertagesstätte gearbeitet hatte, bestritt jegliche Misshandlungen. In der Einrichtung sei es niemals zu den geschilderten Vorfällen gekommen, sagte sie aus. Die Kinder seien weder an den Haaren gezogen, auf den Po geklatscht, gestoßen oder gedrückt worden. Oberstaatsanwalt Martin Dippold zweifelte ihre Aussage an und mahnte zur Wahrheitspflicht: "Sie akzeptieren einen Aufhebungsvertrag mit Ihrem Arbeitgeber, eine Verurteilung durch das Gericht und eine Geldauflage. Ich kann kaum glauben, dass Sie die Wahrheit sagen", hakte er nach. Dennoch bestand die Zeugin auf ihrer Version der Ereignisse.
Eine weitere Zeugin und ehemalige Mitarbeiterin sagte dagegen etwas ganz anderes: Als die Angeklagte dem Mädchen den Löffel in den Mund geschoben habe, habe das Kind sofort erbrochen. Vorher hätte das Mädchen bereits die Lippen fest zusammengepresst, weil es den Obstsalat nicht essen wollte. Der Löffel sei von der Angeklagten schon sehr "unsanft" in den Mund geschoben worden: "Der war schon sehr weit hinten", sagte die Zeugin aus. Das Wort "unsanft" nahm die Zeugin bei vielen Schilderungen in den Mund: Verschiedentlich seien Kinder von der Kinderpflegerin "unsanft" am Arm gezogen worden, so dass sie keinen Halt mehr unter den Füßen gehabt hätten, "unsanft" fallen gelassen oder gar "unsanft geschmissen" worden. Mehrfach seien Buben von ihr auch an den Haaren gezogen worden oder hätten einen Klaps auf den Hinterkopf bekommen.
Verkrampft am Tisch
Bei den Mahlzeiten hätten die Kinder eine sehr unentspannte Haltung, die Richter Klaus Halves im weiteren Verlauf der Befragung gar "Zwangshaltung" nannte, einnehmen müssen. Nachdem ihnen der Latz umgebunden worden sei, sei darauf der Teller gestellt worden. "Die Kinder saßen in einer geduckten Haltung am Tisch." Weiter schilderte die Zeugin, die zu der Zeit in der Einrichtung gerade ihre Arbeit aufgenommen hatte, einen Vorfall aus dem Jahr 2011. Da sei ein Junge in der Toilette von der Kinderpflegerin hinten am Pullover hochgezerrt und auf die Finger geschlagen worden. Ihr habe die Kinderpflegerin damals gesagt: "Das haben Sie jetzt nicht gesehen." Während des Vorfalls sei auch die Angeklagte mit im Raum gewesen, erklärte die Zeugin.
Das Verfahren wird am Dienstag, 7., und am Dienstag, 14. November, fortgesetzt.
Hinweis: Das Verfahren gegen die Kindergartenleitung ist zwischenzeitlich durch Freispruch im Berufungsverfahren beendet worden.