Kinderfest in Neustadt - eine Stadt im Ausnahmezustand
Autor: Gabi Arnold
Neustadt bei Coburg, Sonntag, 19. Juli 2015
Seit 467 Jahren hat Neustadter seinen "Nationalfeiertag". Auch wer kein Schüler mehr ist, freut sich manchmal wie ein kleines Kind.
Es ist Kinderfest. Die Innenstadt ist weitläufig gesperrt, die Straßen sind sauber gefegt, die Häuser mit Luftballons und Fahnen geschmückt. Auf dem Schützenplatz stehen Fahrgeschäfte und bunte Buden bereit, Menschen säumen den Straßenrand und freuen sich auf den "Neustadter Nationalfeiertag".
Seit 467 Jahren gefeiert
Das traditionelle Kinderfest wird einzig in der Puppenstadt seit mittlerweile 467 Jahren ununterbrochen gefeiert - manches hat sich im Laufe der Zeit verändert, aber vieles ist gleich geblieben: Der Umzug, der Rummel und freilich der Neustadter Rutscher, den seit Hunderten von Jahren Generationen von Kindern auf dem Neustadter Schützenplatz tanzen.
Die Neustadter lieben das Kinderfest
Mag ja mancher behaupten, Neustadt sei ein verschlafenes Nest an der ehemaligen Grenze - beim Kinderfest ist das Gegenteil der Fall. Dann tobt am Fuße des Muppbergs das Leben, alt und jung feiern, Neustadter treffen sich und viele Exil-Neustadter reisen reisen an und wollen dabei sein: Die Neustadter lieben das Kinderfest, dass mit einem Weckruf in aller Herrgottsfrühe um 6 Uhr beginnt.
15 Musikkapellen beteiligt
Am Umzug sind die Kinder aus sechs der Grund- und Mittelschulen, des Förderzentrums Glockenbergschule, des Arnold-Gymnasiums und der Realschule beteiligt - dazu kommen 15 Musikkapellen, Vereine und Institutionen. Auch die Puppenfee und Puppendoktor dürfen nicht fehlen.
Privat wird bis in den nächsten Morgen gefeiert
Petra Krug und Ilona Hofmann schauen sich den Umzug an und stehen später unter den Bäumen am Schützenplatz, um die Wettkämpfe, die Freiübungen und die Tänze zu sehen. Danach, das hat in Familien Tradition, wird im privaten Kreis bis in den nächsten Morgen gefeiert.
Kränzchen aus Lärchenzweigen
Sie erinnern sich an die 70-er Jahre, als sie selbst mitmarschiert sind - genau so wie vorher die Eltern, Großeltern, Urgroßeltern. "Zum Kinderfest gab es immer ein neues Kleid - entweder gekauft oder genäht", erzählt Petra Krug. Lackschuhe gehörten dazu, ebenso wie das Kränzchen aus Lärchenzweigen im frisierten und toupierten Haar. "Wir sind beim Weckruf immer gleich aufgestanden, weil wir vorher noch zum Friseur mussten." Damals wurde das Kinderfest übrigens noch am Montag gefeiert, Siemens als größter Arbeitgeber der Stadt gab seinen Mitarbeitern dafür sogar frei.
Anrecht auf ein neues Kleid
"Dafür hatten wir aber Samstags Unterricht", erinnert sich Ilona Hofmann. Auch heute sind die Kinder und Eltern fein rausgeputzt. Bürgermeister Frank Rebhan (SPD) betont beim Sektempfang im Rathaus: "Zum Kinderfest haben die Damen ein Anrecht auf ein neues Kleid." Früher wie heute erhalten die Mädchen und Jungen ein Kinderfestgeld von Eltern, Verwandten und Bekannten. "Man bekommt während man mitläuft, Geld zugesteckt, früher ein paar Mark, heute ein paar Euro in Münzen oder Scheinen", erzählt Petra Krug.
Viele Kinder, viele Ideen
Der diesjährige Umzug hat den beiden Frauen gut gefallen. "Es war schön, viele Kinder und viele Ideen", sagt Petra Krug. Nur die Motivwagen der vergangenen Jahr hat sie vermisst. Mit dabei sind Maler, Schornsteinfeger und Bäcker, Römer, die Planeten des Sonnensystems und Tierkreiszeichen, die Klasse 7 a der Neustadter Realschule erinnert an 25 Jahre Mauerfall mit einem geschmückten "Trabi", die Mittelschule "Am Moos" hat Europa im Fokus. Zum Abschluss fassen sich die Zweit- und Drittklässler der Grundschulen auf dem Schützenplatz an den Händen und tanzen "Rutsch hie, Rutsch har, der Schneider hat die Schneiderschar".
Sabine Greiner, Erzieherin im integrativen Kindergarten "Farbenfroh" findet es schade, dass die Kinder des Förderzentrums der Glockenbergschule nicht beim "Rutscher" mittanzen: "Ich finde doch, da sollten alle Schüler beteiligt sein." Nach dem offiziellen Teil hangeln sich viele Mädchen und Jungen wie jeher am Kletterbaum hoch und holen Geschenke aus luftiger Höhe, genießen die Bratwurst und freuen sich auf den Rummel, wenn auch in abgespeckter Form, denn heuer fehlt der Autoscooter.