Kein Verständnis für Abholzaktion in Seßlach
Autor: Bettina Knauth
Seßlach, Dienstag, 24. April 2018
Massive "Flurschäden" im Stadtgebiet beklagen drei Seßlacher. Sie fordern, zukünftig Fachleute zu Rate zu ziehen.
Waren die starken Rückschnitte rund um Seßlach wirklich notwendig? Angela Francisca Endress, Elisabeth Hudson-Funk und Ingo Rickhaus sagen empört "Nein". Weil sie "stocksauer" sind, haben die Seßlacher in einer Woche rund 200 Unterschriften gesammelt und sich nun auch an die Coburger Presse gewandt.
"Wir, die Unterschreibenden, möchten erreichen, dass die Natur in der Seßlacher Flur so schonend wie möglich, zum Nutzen von Mensch und Tier, behandelt wird", sind die Listen überschrieben, "Raine, Hecken und Gräben sollen nicht routinemäßig alljährlich ,geschlägelt‘ bzw. dort Bäume abgeholzt werden." Ausgenommen seien Überhänge, die eine Nutzung oder den Verkehr behindern. Und sollte die Heckenpflege einen Rückschnitt nötig machen, so eine weitere Forderung, sei dieser "von einem ausgewiesenen Fachmann anzuordnen".
Als Bespiel für unfachmännische Rückschnitte führt Endress die Lindenallee Richtung Witzmannsberg an. Aufnahmen der Fotografin verdeutlichen den Unterschied zwischen den Bäumen von Seßlach Richtung Krumbach und denen vom Waldrand am Ende der "70"er-Zone nach Witzmannsberg. Während die Bäume auf Seßlacher Gebiet eine nur schmale Baumkrone ausgebildet haben, die zudem unförmig wirkt, weisen die zur gleichen Zeit gepflanzten Bäume auf dem Gemeindegebiet Ahorns die für Linden typische runde Form auf. "Die sind aber um die zehn Jahre älter", widerspricht Uwe Wolf von der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises, die Seßlacher Bäume könnten gar nicht so aussehen.
Andernorts sind stattliche Bäume wie dichte Gehölze ganz verschwunden, wie am Flutgraben Richtung Rothenberg. Vor dem Geyersberger Tor wurden nach der gesamten Pappelallee im Herbst erneut Bäume gefällt.
"Offensichtlich ist das Abholzen wunderschöner, alter und sehr oft noch gesunder Bäume mehr in Mode denn je", schrieb Hudson-Funk an die Stadtverwaltung.
Sie bezweifelt, dass keiner der rund 20 gefällten Bäume zu retten war, nur zwei Stämme seien tatsächlich hohl gewesen. Dank des "Kahlschlags" hätten Touristen jetzt den "traurigen Blick aufs hässliche Industriegebiet". Laut Geschäftsleiter Bernd Vogt mussten alle Bäume wegen der Verkehrssicherheit weichen: "Da kamen Äste runter, die armstark waren, und manche Wurzelstöcke waren so tief, dass man hineingreifen konnte." Die Gefahr für Passanten sei zu groß gewesen.
Ein weiterer Vorwurf in Hudson-Funks E-Mail lautet: "Zahllose Hecken und Wegeränder werden jährlich von zwei hiesigen Großbauern verstümmelt", ohne Rücksicht auf geschützte Pflanzen (wie z.B. Weidenkätzchen) und unter Missachtung der Abholzzeiten (Anfang Oktober bis Ende Februar). Diese Bauern bekämen "sogar Subventionen dafür". Dabei handele es sich um die Entlohnung der Arbeitszeit der Landwirte, die für die Stadt diese Arbeiten durchführen, stellt Bürgermeister Martin Mittag (CSU) richtig. "Die Landwirte ratschen alles ab", pflichtet Ingo Rickhaus der Beschwerdeführerin bei - und geht noch einen Schritt weiter: "Wir vermuten, dass alles abgeholzte Material im Heizkraftwerk landet!" Die Vergütung der Bauern berechne sich schließlich nach der eingelieferten Menge, "egal woher das Holz kommt". Genährt werde sein Verdacht auch durch den Umstand, dass die Landwirte eine eigene "Schnitzelanlage" angeschafft hätten. Einen "Schmarrn" nennt Mittag diesen Vorwurf. Für die Holzgewinnung sei der Aufwand zu groß, viele Abschnitte seien dazu so klein, dass sie sich nur verstreuen ließen. Für gute Qualität gäbe es auch andere Abnehmer, meint Endress: "Ich dachte, ich sehe nicht richtig, als ich die abgeholzten Eichen in Hattersdorf gesehen habe", "First Class"-Holz liege dort am Straßenrand Richtung Rothenberg. Auch hier sei die Verkehrssicherung rund um das Wasserhäuschen vorgegangen, sagt der Bürgermeister.
"Radikale Maßnahmen"
Dass morsche Bäume oder der störende Überhang auf Grundstücke und in Verkehrsräume beseitigt wird, dafür äußern die Naturschützer Verständnis, nicht aber für die durchgeführten radikalen Maßnahmen. Hier müsse die Kommune ihrer Verantwortung nachkommen. "Die Verwaltung muss Landwirte benennen, die den Rückschnitt überwachen und dafür entsprechend geschult werden", fordert Rickhaus. Ferner gelte es, Fachleute für Bäume und Gehölze zu Rate zu ziehen, "weil jeder Baum anders geschnitten werden muss". Darüber sollte der Stadtrat öffentlich beraten.Die Naturfreunde mahnen zudem sofortige Ersatzpflanzungen an. Aber nicht, wie hinter dem Geyersberg geschehen. Rickhaus: "Dort ist erst, trotz ständiger Rückfragen, drei Jahre nichts passiert, und dann wurden dünne Stängel gepflanzt, die nicht angingen."
Außerdem solle, wie vor drei Jahren beschlossen, tatsächlich immer nur auf einer Seite "geschlägelt" werden. Hecken, so eine weitere Forderung der Unterschriftensammler, müssten jahrelang in Ruhe gelassen werden, damit sie anständig wachsen könnten. Dies sei gerade vor der aktuellen Diskussion um fehlende Lebensräume für Vögel, Schmetterlinge, Bienen und andere Insekten wichtig. Frank Reißenweber zufolge ist eine bestandserhaltende Pflege jedes Jahr zulässig und wichtig, doch eine Hecke jedes Jahr zu "schlägeln", töte sie. Der Experte für Arten- und Biotopschutz am Landratsamt fordert: "Die Landwirte müssen ihre Nutzungsfläche an die Hecken anpassen - und nicht umgekehrt." Notfalls müsse ein Randstreifen frei bleiben. Er regt auch die Anlage neuer Hecken in Gebieten an, wo sie keine Maschinen stören. Hier könne ein Bürgermeister vermittelnd eingreifen, so wie einst Hendrik Dressel (FW), der im Rahmen des Modellvorhabens "Umweltgerechte Landwirtschaft" alle Akteure an einen Tisch brachte. In der Gemarkung Gemünda, besonders im wertvollen Biotop "Kanzel", würden die gepflanzte Hecken, Baumreihen, Streuobstzeilen und Pufferstreifen noch heute gepflegt. "Da machen auch die Landwirte mit", so Reißenweber. Zumal diese Maßnahmen - wie vom aktuellen Projekt "Bodenständig" auch für Teile Seßlachs vorgesehen - dem Erosionsschutz dienten.