"Johannespassion" beeindruckt bei Coburger Erstaufführung
Autor: Jochen Berger
Coburg, Samstag, 19. April 2014
Kirchenmusikdirektor Peter Stenglein dirigiert am Karfreitag in St. Moriz die "Johannespassion" von Gottfried August Homilius. Der lang in Vergessenheit geratene Komponist gilt als Schüler Johann Sebastian Bachs und war einst Kreuzkantor in Dresden.
Reizvolle Entdeckungen brauchen manchmal nur einen kleinen äußeren Anstoß, ein Jubiläum zum Beispiel. Wer auf einem Programmheft des Coburger Bachchors am Karfreitag den Titel "Johannespassion" liest, denkt ganz gewiss und aus guten Gründen zunächst an Johann Sebastian Bach. Doch das Gesicht auf dem Umschlag ist in diesem Fall nicht das vertraute Antlitz Bachs. Das Bildnis zeigt vielmehr Gottfried August Homilius, einen Komponisten, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrere Jahrzehnte als Kreuzkantor in Dresden wirkte und an dessen 300. Geburtstag die Musikwelt in diesem Jahr erinnert.
Schüler Johann Sebastian Bachs
Bach und Homilius gehören durchaus auch ein wenig zusammen. Schließlich gilt Homilius als Schüler des Thomaskantors.
Diese "Johannespassion" ist ein Werk zwischen den Zeiten - zwischen Barock und Klassik, zwischen der kontrapunktischen Kunst des großen Johann Sebastian Bach und den manchmal fast schon volksliedhaft einfach tönenden Melodien Joseph Haydns. Als Musik zwischen den Zeiten aber geriet Homilius mit seinem umfangreichen Schaffen lange Zeit gründlich in Vergessenheit. Seine "Johannespassion" wurde gar erst 2007 erstmals im Druck vorgelegt.
Empfindsame Klänge
In Coburgs Kirchenmusikdirektor Peter Stenglein findet Homilius nun im Jahr seines 300. Geburtstages einen ebenso engagierten wie stilsicheren künstlerischen Anwalt. Denn Stenglein, der dem Coburger Publikum auch in den vergangenen Jahren immer wieder einmal eine (Wieder-)Entdeckung beschert hat, beweist sensibles Gespür für den Puls dieser Musik, die zwar gewiss nicht die Ausdruckstiefe Bachs erreicht, fraglos aber ihre ganz eigenen Qualitäten besitzt. Vor allem in den Arien und einigen Duetten ist sie empfindsam und geschmeidig in der Melodieführung und vermittelt noch heute eine Ahnung davon, warum Homilius im ausgehenden 18. Jahrhundert hohe Wertschätzung als Komponist von Kirchenmusik genoss.
Für den Chor hält diese "Johannespassion" zahlreiche Choralsätze sowie eine Reihe von dramatisch gefärbten Volkschören bereit, die einen gut geschulten, präzis einstudierten und reaktionsschnell agierenden Chor verlangen. Gerade in diesen Volkschören bewährt sich der Bachchor durch sein Geschick, die gestalterischen Vorstellungen Stengleins lebendig umzusetzen. Unter Stengleins Leitung singt der Bachchor nicht nur durchweg sehr engagiert, sondern auch stets genau textbezogen und lässt auf diese Weise den geradezu szenisch anschaulichen Charakter dieser Musik deutlich werden. Das gilt für die erregten "Kreuzige, kreuzige"-Rufe ebenso wie beispielsweise für Aufschrei "Nicht diesen, sondern Barrabam". In den Choralsätzen überzeugt der Bachchor zudem durch abgerundeten, ausgewogenen Klang.
Virtuose Hornisten
Bei der Besetzung des homogen agierenden Solistenquartetts beweist Stenglein eine glückliche Hand. So singt der Tenor Nils Giebelhausen den umfangreichen Evangelistenpart mit vorbildlicher Textverständlichkeit, entfaltet zudem aber in Arien und Duetten auch beachtliches lyrisches Potenzial. Jederzeit stilsicher wirken Gerlinde Sämann mit schlankem, beweglich geführtem Sopran, Bhawani Moennsad mit tragfähigem, warm timbriertem Alt und Eric Fergusson mit markantem Bass.
Das Main-Barockorchester aus Frankfurt ist ein renommiertes Originalklang-Ensemble, das bereits mehrfach mit großem Erfolg an Konzerten des Bachchores in St. Moriz mitgewirkt hat. Auch bei dieser Coburger Erstaufführung demonstriert das Main-Barockorchester auf höchst souveräne Weise sein technisches Niveau wie auch seine stilistische Kompetenz. Das wendige, stets klar konturiert musizierende Streichorchester wird farblich bereichert durch jeweils paarweise besetzte Traversflöten, Oboen und Fagotte. Brillante Akzente setzen zudem zwei Hörner, die mehrfach in Arien und Chorsätzen sehr exponiert zu Geltung kommen und von Tilman Schärf und Lars Mechelke virtuos gespielt werden.
Diese Erstaufführung der "Johannespassion" von Homilius beschert dem Coburger Publikum ein bemerkenswertes musikalisches Karfreitagserlebnis, das zugleich zum vorübergehenden Abschied von St. Moriz wird. Denn für die nächsten eineinhalb Jahre wird Coburgs Stadtkirche wegen der anstehenden Generalsanierung des Innenraums geschlossen. Aber nicht nur vor diesem Hintergrund verdient sich dieses Konzert einen besonderen Platz in den Annalen der Musica Mauritiana.