In Seßlach passt die Zeit jetzt wieder
Autor: Bettina Knauth
Seßlach, Donnerstag, 09. Mai 2013
Ein viertel Jahr lang gingen die Uhren in der Seßlacher Stadtkirche total falsch. Jetzt hat André Schwaiberger dafür gesorgt, dass die Menschen wieder wissen, welche Stunde ihnen geschlagen hat.
"Alles für den Kirchturm" steht auf dem Auto, das direkt vor der Stadtpfarrkirche St. Johannes der Täufer parkt. Es kommt wie gerufen, denn Hilfe hat die Kirche - genauer die Kirchturmuhr - auch dringend nötig. Fast ein viertel Jahr lang wussten die Seßlacher schließlich nur noch, welche Stunde ihnen geschlagen hat. Manch einer wird da beim Blick auf die Kirchturmuhr seinen Sinnen nicht getraut haben. Denn die Zeiger konnten mit den Glockentönen nicht Schritt halten - sie bewegten sich viel zu langsam.
Schwierig gestaltete sich die Fehlersuche. "Bei 20 Grad minus setzte die Uhr plötzlich aus", erinnert sich Mesner Wilhelm Thein. Elektrikermeister Ralf Würstlein diagnostizierte daraufhin schadhafte elektrische Leitungen. Doch auch nach deren Austausch gaben zwar die Glocken die korrekte Zeit an, die Zifferblätter aber nicht.
Der Traditionsbetrieb der Glockengießerei wird nach 66 Jahren in diesem Sommer die letzte Glocke gießen und sich zukünftig auf den Service rund um die Glocken beschränken. Dazu zählen neben Glocken(spielen) auch Läutwerke, Turmuhren und Zifferblätter.
Will man dem Fachmann bei der Arbeit zuschauen, geht der Weg geradewegs nach oben. Erst über eine enge Wendeltreppe und weiter über ausgetretene Holztreppenstufen. "Vorsicht!", warnt Würstlein, der schon oft hier hoch gestiegen ist. Wegen der tiefhängenden Holzbalken gilt es, öfter den Kopf einzuziehen. Wegen der unebenen alten Stufen jeden Schritt vorsichtig zu tun. Mitten im Glockenturm steht André Schwaiberger. Er klemmt gerade einen falschen Draht bei den Schlagwerken um. Dann geht es noch eine Etage höher - freihändig über eine geländerfreie steile Treppe. Oben im Kirchturm angekommen, zeigt Schwaiberger zufrieden auf den neuen Zentralantrieb, der nun mittig alle vier Zifferblätter steuert.
Der neue Antrieb ersetzt das alte Kugel-Räderwerk, das zuvor an gleicher Stelle seinen Platz hatte und von der Seite, durch die nun ebenfalls ersetzte, Zeitspeichereinheit angetrieben wurde. Noch ein paar Jahre früher ging der Antrieb mittels eines alten Gestänges zwei Stockwerke darunter. Dort befindet sich noch die ursprüngliche Uhr, die täglich von Hand aufgezogen werden musste. Auf "mindestens 60 Jahre" schätzt der Monteur sowohl die alte Zeitspeichereinheit wie auch diese alte Uhr.
Bei der Arbeit im Glockenturm sollte man nicht gerade schreckhaft sein. Denn wenn die Glocken plötzlich anfangen, sich zu bewegen, ertönt gleich das atemberaubend laute Zwölf-Uhr-Läuten. Immerhin: Mit jedem Schritt nach unten nimmt die Lautstärke ab. Zurück im Erdgeschoss, kann dann auch der Techniker weiter erzählen. "Jetzt muss ich nur noch ein paar Kabel anklemmen und mit Hilfe des Mesners die Zifferblätter synchronisieren", sagt Schwaiberger mit Blick auf die Steueruhr in der Sakristei.
Noch am Dienstag hat die Uhr dann wieder zuverlässig die Zeit angezeigt. Seitdem können die Bürger wieder getrost zur Kirchturmuhr blicken, wenn sie die genaue Uhrzeit wissen wollen. Manch Seßlacher hat wohl erst in den letzten Wochen registriert, wie oft sein Blick nach oben geht. Die frohe Kunde von der Reparatur der Uhr verbreitete sich gestern schnell in der Altstadt. "Das wird auch Zeit", lautete der Kommentar einer Passantin, "die falsche Uhrzeit war ja nervig."