Druckartikel: In der Hochzeitsnacht verlassen: Elsas Drama im Landestheater

In der Hochzeitsnacht verlassen: Elsas Drama im Landestheater


Autor: Jochen Berger

Coburg, Sonntag, 16. März 2014

Coburg lockt mit dem doppelten "Lohengrin". Nach Richard Wagners romantischer Oper kam nun Salvatore Sciarrinos Melodram auf die Bühne. Regie führt Intendant Bodo Busse. Als Solistin fasziniert Salome Kammer in der Rolle der von Lohengrin verlassenen Elsa.
Klingendes Psychogramm einer verlassenen Frau: Salome Kammer fasziniert das Coburger Publikum in Salvator Sciarrinos "Lohengrin". In seiner Inszenierung vertraut Bodo Busso auf symbolistisch aufgeladene Requisiten - Schwert, Schild und makellos weißes Brautkleid.Fotos: Andrea Kremper


Was passiert auf der Opernbühne, wenn sich der Vorhang geschlossen hat? Wenn Figaro seine Hochzeit gefeiert und Otello seine Desdemona ermordet hat? Oder wenn Lohengrin am Ende von Wagners gleichnamiger Oper wieder in unerreichbare Fernen entschwindet?

Was aber, wenn am Schluss gar nicht alles vorbei wäre? Wenn Lohengrin zwar entschwinden, Elsa aber - anders als in Wagners Libretto vorgesehen - nicht "entseelt" in die Arme ihres endlich erlösten Bruders Gottfried sinken würde?

Vielleicht war ja alles nur ein schlimmer Traum - ein Alptraum, auch die Hochzeitsnacht mit dem vermeintlich makellosen Schwanenritter. Genau an dieser Stelle setzt der italienische Komponist Salvatore Sciarrino mit seinem "Lohengrin" an. Sci arrino bietet mit seinem "Lohengrin" eine verblüffend eigenständige Sicht auf den Stoff an. Das meint nicht nur die Spieldauer.

Wo Wagner mit gut vier Stunden Spieldauer droht, lockt Sciarrino mit komprimierter Kürze.

Sciarrinos "Lohengrin" hat Coburgs Intendant Bodo Busse genau drei Wochen nach der gefeierten Wagner-Premiere auf die Bühne des Landestheaters gebracht. "Unsichtbare Handlung" - diesen Untertitel von Sciarrinos Werk nimmt Busse als Leitmotiv für seine Deutung, die auf jeden unnötigen äußeren Aufwand verzichtet. Vier Schwerter samt Schild, ein endlos langer Brautschleier, ein Meer flackernder Kerzen auf schwarzem Boden, dazu ein Reisekoffer am linken vorderen Bühnenrand - das sind die symbolschwer aufgeladenen Requisiten, die Bodo Busse für seine Ausstattung ausgewählt hat. Mit genauem Gespür für die Ausdruckskraft kleiner Gesten lässt Busse seine prominente Gastsolistin Salome Kammer agieren. Seine szenische Deutung lauscht gleichsam Sciarrinos Klängen nach und vertraut der darstellerischen wie stimmlichen Virtuosität Salome Kammers.
Stimmakrobatin und packende Darstellerin - Salome Kammer wird bei diesem Coburg-Gastspiel ihrem Ruf gerecht, den sie sich mit zahlreichen Musiktheater-Uraufführungen errungen hat.


Verfremdete Naturlaute

Ihr gelingt es, das Drama, das sich in Sciarrinos "Lohengrin" nur in Elsas Kopf abspielt, sinnliche Bühnenwirklichkeit werden zu lassen. Geräusch oder Klang, verfremdeter Naturlaut oder schließlich ganz am Ende doch Gesang - Salome Kammer demonstriert, zu welcher Vielfalt an Klangproduktion die menschliche Stimme fähig ist. Dabei ist dieses Solo kein virtuoser Selbstzweck, sondern das Klang gewordene Psychogramm einer verlassenen, einsamen Frau, die geplagt wird von ihren Erinnerungen an eine völlig missratene Hochzeitsnacht.
Denn in dieser Hochzeitsnacht, das enthüllt Elsa in ihren bruchstückhaften Rückblenden, zeigt sich Sciarrinos Lohengrin geradezu gelangweilt von seiner jungfräulichen jungen Ehefrau, stößt sie von sich und lässt sie irritiert, ja traumatisiert zurück.

In Salome Kammers Darstellung wird daraus eine gedankliche Reise in die Vergangenheit, die immer wieder am Abgrund der Verzweiflung entlang führt.

Garant für das Gelingen dieses Musiktheaterabends ist Coburgs Generalmusikdirektor Roland Kluttig. Mit scheinbar selbstverständlicher Souveränität führt er das Orchester durch Sciarrinos filigrane Klanglandschaften an der Grenze zur Unhörbarkeit.

Knapp eineinhalb Dutzend Musiker des Philharmonischen Orchesters entfalten den frappierenden Nuancenreichtum dieser Partitur - raffiniert verfremdete, oft körperlos und kalt anmutende Klänge, die durch eine Vielfalt ungewöhnlicher Spielweisen entstehen. Ergänzt wird dieses Kammerorchester durch drei chorisch eingesetzte Solostimmen (Sascha Mai, Martin Trepl, Thomas Unger), die diese Klangpalette um weitere Farben bereichern.
Ausdauernder Beifall des spürbar in Bann gezogenen Premierenpublikums für einen italienischen "Lohengrin", der Wagners opulenten Klängen die Faszination des Leisen gegenüber stellt.