Im Coburger Schlachthof wurde mehr weg geschnitten als erlaubt
Autor: Simone Bastian
Coburg, Mittwoch, 13. Mai 2015
So viel scheint klar: Der Angeklagte Ludwig Dellert ließ von den geschlachteten Rindern vorm Wiegen mehr wegschneiden als erlaubt. Doch welcher Schaden entstand seinen Lieferanten dadurch?
15 Zeugen und ein Sachverständiger, so lautete eigentlich das Programm am dritten Tag im Coburger "Schlachthofprozess". Doch die Informationen, die da im Lauf des Tages von den Zeugen kamen, muss auch der Sachverständige Professor Michael Bülte vom Gießener Institut für tierärztliche Nahrungsmittelkunde erst einmal verarbeiten. Der Nachmittag im großen Saal am Coburger Landgericht drehte sich vor allem um die Frage, welcher Schaden Landwirten und Lieferanten entstanden war.
Die Anklage war davon ausgegangen, dass Ludwig Dellert seine Viehlieferanten um 857.000 Euro betrogen hat. Dellert hatte bis Sommer 2013 eine Fleischhandels- und Zerlegefirma im Coburger Schlachthof. Er ließ Rinder anliefern (oder holte sie selbst), im städtischen Teil des Schlachthofs töten und in Hälften teilen. Nach der Fleischbeschau übernahm Dellert die Rinderhälften in seinen Zerlegebetrieb. Dort wurden sie gewogen, aber vorher wurden noch Teile entfernt: Das Zwerchfell und die Herzzapfen, verschmutztes Fett. Dellert ließ aber mehr wegschneiden, als die sogenannte Schnittführungsverordnung vorsieht. Das bestätigten am Mittwoch fast alle Zeugen, und auch, dass die entsprechende Anweisung von Dellert kam. Allerdings wurde nicht immer und in jedem Fall zu viel Fett entfernt. "Bei mageren Rindern nicht", sagten mehrere Metzger, die für Dellert tätig waren.
Anmahnen half nichts
Am Schlachtband stehen außerdem die "Klassifizierer", die das Wiegen überwachen und anschließend den Schlachtkörper nach Handels- und Fettklassen einordnen. Sie liefern damit die amtliche Preisgrundlage für das Schlachtvieh. Sie sahen auch, dass zu viel Fett an Brust, im Lendenbereich und rundherum weggeschnitten wurde. Aber Hinweise an die Metzger hätten nichts gebracht, sagten drei dieser Klassifizierer aus. Sie vermerkten zwar auf ihren Schlachtlisten, dass bei Dellert nicht ordnungsgemäß geschnitten wurde. Doch nicht immer, und schon gar nicht für jeden Einzelfall. Das sei arbeitstechnisch gar nicht machbar gewesen, sagten sie: Das hätte nur auf den Wiegezetteln vermerkt werden können, und dann gleich in dreifacher Ausfertigung. Dafür sei am Schlachtband einfach nicht genug Zeit gewesen.
Weniger Fett, mehr Geld?
Die Klassifizierer bestätigten auch, dass etliche Viehhändler gewusst haben müssen, dass zu viel getrimmt wurde. Allerdings gaben sie auch an, dass die Schlachtkörper in bessere (teurere) Fettklassen eingestuft wurden, wenn das Fett weggeschnitten war. Diese Linie verfolgen offenbar Dellerts Verteidiger: Wenn am Ende für die Lieferanten ein höherer Kilopreis heraussprang, entstand ihnen unterm Strich kein Schaden.
Denn das behauptet die Anklage, auf 4633 Seiten voller Tabellen. Da ist jedes geschlachtete Tier vom 15. Juni 2008 bis zum 19. Juni 2013 vermerkt, das Schlachtgewicht, ein angesetzter Kilopreis und ein Schätzwert, wie viel Fleisch und Fett zu viel abgeschnitten wurde. Denn Dellert ließ seine Metzger nicht nur am Fett ansetzen, sondern auch am Hals. Das hätte er aber nicht mehr tun dürfen, denn das sogenannte Stichfleisch, wo das Rind ausblutet, hatten schon die städtischen Schlachter entfernt.
Schätzwerte als Basis
Letztlich kann nur geschätzt werden, um wie viel Schlachtgewicht Dellert seine Lieferanten betrogen haben soll. Und damit hatte Vorsitzender Richter Gerhard Amend so seine Probleme: Die Schätzwerte beruhen auf fünf Jungbullen, 350 bis 400 Kilogramm schwer und von den Fettklassen 2 und 3. Von diesen Rindern aus wurde hochgerechnet, denn Erfahrungswerte gebe es da kaum, wie der Sachverständige vom Amt für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit sagte, der die Berechnungen angestellt hatte. Deshalb habe man vorsichtig geschätzt und bei jedem Tier 800 Gramm abgezogen. "Berücksichtigt werden müsste noch Rasse, Fütterung, Geschlecht der Tiere", merkte Sachverständiger Bülte an dieser Stelle an.
Unabhängig von der Schätzmethode hat die Anklage die Schadenssumme schon nach unten korrigiert: 770.000 Euro sollen es nun sein, da die Missstände nach einer Kontrolle am 19. Februar 2013 abgestellt worden seien, und weil die Tage herausgerechnet wurden, an denen das Landesamt für Landwirtschaft kontrollierte. Da soll korrekt getrimmt worden sein.