"Ich habe 49 Jahre gearbeitet. Und dann so wenig Rente? Da passt doch was nicht!"
Autor: Natalie Schalk
Coburg, Mittwoch, 29. Mai 2019
Gisela Müller und ihr Mann Bernhard aus Oberfranken haben immer gearbeitet, immer gespart. Sie dachten, als Rentner würden sie nicht mehr knausern müssen. Ein Irrtum.
"Wir sind nicht arm", sagt Bernhard Müller (Namen von der Redaktion geändert). "Also, Bernhard!", unterbricht seine Frau Gisela. "Wir waren vielleicht noch nie so zufrieden wie jetzt. Aber wenn ich meinen Rentenbescheid anguck', ist das schon Altersarmut."
Müllers leben in einem Dorf im Norden des Coburger Landkreises, 750 Einwohner, vorwiegend Ein- und Zweifamilienhäuser, große Grundstücke, aufgeräumte Gärten, Caféhausgardinen und Zimmerpflanzen in den Fenstern. So wohnt die Mittelschicht.
Zarte Gelb- und Terracotta-Farben geben dem Müllerschen Wohn-Ess-Raum Gemütlichkeit; die besten Zeiten der Sofalandschaft sind Vergangenheit. Fotos an den Wänden zeugen von Familienglück. Kommen die Kinder und Enkel zu Besuch, tafelt Oma Gisela am antikbraunen Esstisch auf. Heute sitzt sie mit ihrem Mann alleine hier. Sie sprechen über Geld. Darüber, dass sie nie gedacht hätten, dass es im Alter mal so knapp wird. Ihr echter Name wird nicht genannt, weil sie von den Nachbarn nicht erkannt werden möchten.
Eine Durchschnittsfamilie
Dabei sieht es hinter vielen Fassaden ähnlich aus wie bei Müllers; statistisch gesehen sind sie ziemlich durchschnittlich: Ein Rentnerpaar bekommt in Oberfranken im Schnitt brutto 1750 Euro. Müllers haben netto 1500 Euro: er 1200, sie 310 Euro.
In der öffentlichen Diskussion werden die Zahlen oft unnötig dramatisiert - oder geschönt. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Wird es so dargestellt, als wäre die Hälfte der Rentner altersarm, wird ignoriert, dass viele neben der gesetzlichen Rente auch Betriebsrenten oder Mieteinnahmen haben, dass sie Vermögen besitzen und Häuser, dass die Alten überdurchschnittlich oft Kreuzfahrten machen und es ihrer Generation im Ganzen gut geht. Klar ist aber auch, dass Rentenarmut heute ein Problem ist. Und dass sie ansteigt.
Müllers haben nicht nur die Nebenkosten, sondern noch andere Kosten fürs Haus - aber doch deutlich weniger, als es bei einer Mietswohnung wären. "Eine schöne, seniorengerechte Wohnung könnten wir gar uns nicht leisten", sagt Gisela Müller. Ihr Mann brummt: "Ohne Haus wären wir nah an der Sozialhilfe."
Der "Grundbedarf im Alter" liegt mit den Kosten einer angemessenen Zwei-Zimmer-Wohnung im Coburger Land etwa bei 1200 bis 1300 Euro. Gut 200 Euro weniger als jetzt würden Müllers also bekommen, wenn sie nie gearbeitet und auch kein Haus gebaut hätten. Das finden sie nicht gerecht. Obwohl sie in ihrem Eigenheim besser leben als Hartz-IV-Empfänger. "Ich will nicht so leben! Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet." Bernhard Müller wird kurz ein bisschen laut.