Heilige Muttergottes, hilf!
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Mittwoch, 22. April 2015
Eine schlimme Kriminalgeschichte der Künste präsentierten Rolf-Bernhard Essig und Gudrun Schury beim Sachbuchabend der 12. Coburger Literaturtage. Da musste doch glatt die Kantorei St. Moriz höhere Mächte anflehen: mit einem "Ave Maria" - von Karl May.
Amtsanmaßung, bewaffneter Raubüberfall, Drogenhandel, Friedhofsschändung, Hochstapelei, sexueller Missbrauch Minderjähriger, Vergewaltigung, Waffenschmuggel, Zuhälterei. In welches Milieu sind wir da bloß geraten? Die volle Straftaten-Palette listet das Register der "Schlimmen Finger" auf, das die Bamberger Autoren Rolf-Bernhard Essig und Gudrun Schury zusammengestellt haben, und zwar für eine Berufsspezies/Bevölkerungsgruppe/Menschenkategorie, die wir in herausragender Verantwortung sehen, wirken sie doch an und für unser seelisches und geistiges Wohl: die Künstler.
Ach herrje! Das ist tatsächlich der Mensch! Je größer das Genie, desto abgründiger auch sein Hang zur (verbrecherischen) Anmaßung? - Nun wollen wir mal den Pinsel auf der Palette lassen; selbstverständlich sprechen wir nicht von "den Künstlern". Doch für eine 300-seitige Kriminalgeschichte der Künste haben die
Diese präsentierten die beiden launig und effektvoll beim Sachbuchabend der 12. Coburger Literaturtage am Dienstag an sinnfälligem Ort: im großen Schwurgerichtssaal des Coburger Landgerichtes. Direktor Bernd Buhl assistierte den beiden fachlich, was den Spaß an der süffisant zugespitzten Darstellung der Fälle vom 16. Jahrhundert (der mehrfache Mörder Benvenuto Cellini mit päpstlichem Freibrief) bis in unsere Tage (der im Januar dieses Jahres aus der Haft entlassene geniale Fälscher im großen Stil, Wolfgang Beltracchi) aufs grundsätzliche moralische Dilemma brachte.
Was machen wir mit den überragenden Kunstwerken von zum Teil bestialischen Verbrechern und Betrügern, die Millionen an Schaden verursachten? Carlo Gesualdos (1566 - 1613) schmerzvoll intensive Musik wird bis heute gepflegt. Wäre Goebbels nicht ein so grauenvoller Schriftsteller gewesen, was täten wir mit seinen Werken? Fälle zum Schmunzeln und zum heftigen Kopfschütteln haben die Bamberger Autoren in ihrem Band versammelt, konzentriert und spannend dargestellt.
Winnetous letzter Seufzer
Und natürlich der Fall Karl May. Der Winnetou-Schöpfer landete ja sein Leben lang immer wieder, meist aus unsinnigen Ursachen, im Gefängnis. Dieser Fall ist kein wirklich verbrecherischer, ein eher notorisch unglücklicher. Der erfuhr am Dienstag eine ganz besondere Würdigung: Essig und Schury lasen die Sterbeszene Winnetous aus Band III, drei Mal unterbrochen von der Kantorei St. Moriz unter Leitung von Peter Stenglein. Sie brachten das zu Herzen gehende "Ave Maria" zu Gehör, das sich der sterbende Häuptling von den eben befreiten deutschen Siedlern als Abgesang wünscht - und das dieser genial-verrückte Abenteuerdichter Karl May tatsächlich komponiert hat.
Fast mussten wir weinen im Schwurgerichtssaal - hätte Winnetou nicht im letzten Atemzug peinlicher Weise bekannt, dass er jetzt tatsächlich zum Christen geworden sei und nun zum Heiland aufsteige. Ach Gott, diese Künstler. Es schaudert uns. Genussvoll.
Rolf-Bernhard Essig/ Gudrun Schury: Schlimme Finger. Eine Kriminalgeschichte der Künste. Von Villon bis Beltracchi. C.H. Beck Verlag, 302 Seiten, 14,95 € .
Die Autoren Rolf-Bernhard Essig, 1963 geboren, wuchs in Kulmbach auf und studierte Germanistik und Geschichte. Er promovierte und arbeitet als Dozent, Schriftsteller und Publizist für zahlreiche Medien. Mit seiner Frau Gudrun Schury, ebenfalls Autorin, Literaturwissenschaftlerin, Dozentin und Lektorin, verwirklichte er bereits mehrere Projekte.
Heute Autoren-Gala Zum Abschluss von "Coburg liest 2015" wird heute um 20 Uhr im großen Saal von St. Augustin Michael Köhlmeier zur Autoren-Gala erwartet. Köhlmeier wurde für sein beeindruckendes und vielseitiges Œuvre schon vielfach ausgezeichnet. Sein Opus magnum "Abendland", aber auch Romane wie "Madalyn" und "Die Abenteuer des Joel Spazierer" oder der Gedichtband "Der Liebhaber bald nach dem Frühstück" wurden hoch gelobt.
Von der Kritik gefeiert wurde auch sein jüngstes Werk "Zwei Herren am Strand". Erzählt wird die Geschichte der Freundschaft zwischen Charly Chaplin und Winston Churchill, die, jeder auf seine Art, gegen Depressionen und später gegen Hitler kämpften. Fiktion und tatsächliches Geschehen vermengen sich in Köhlmeiers Roman zu einer Geschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Kunst und Politik, Komik und Ernst.
Michael Köhlmeier wurde 1949 in Vorarlberg geboren, die Familie seiner Mutter stammt aus Coburg. Er studierte Politikwissenschaft und Germanistik, Mathematik und Philosophie.