Hausarzt in Coburg verzweifelt gesucht
Autor: Katja Nauer
Coburg, Mittwoch, 07. Juni 2017
Die fünfköpfige Familie von Jasmin Meier und ihre 100-jährige Urgroßtante suchen nach der plötzlichen Praxisschließung ihres Hausarztes einen Mediziner.
Die Hausarztsituation in Coburg wird immer prekärer. Die fünfköpfige Familie von Jasmin Meier und ihre 100-jährige Urgroßtante suchen nach der plötzlichen Praxisschließung ihres Hausarztes verzweifelt einen Mediziner, der sie weiter betreut.
"Viele Coburger finden keinen Hausarzt mehr"
"Wenn alle Stricke reißen, gehe ich halt auch zum Tierarzt", sagt Hundebesitzerin Jasmin Meier. "Mein Yorkshire-Mix Mexx kann jederzeit tierärztlich versorgt werden, wenn er krank ist. Meine Familie und viele Coburger aber finden keinen Hausarzt mehr." Die Coburgerin nimmt ihre derzeitige persönliche Situation mit Galgenhumor.Seit wenigen Wochen ist die Praxis ihres Hausarztes Uwe Stedtler geschlossen. "Mein Mann war noch dort gewesen und hat zufällig mitbekommen, dass die Möbelpacker die Praxis ausräumen", sagt sie. Ein Zettel informierte die Patienten über die Zeiten, in denen sie ihre Patientenakten abholen können. Meier sagt: "Die Schließung hat uns ganz unverhofft getroffen." Nun hat die Coburgerin, die die Gaststätte "Casimodo" nahe der Morizkirche führt und Mutter von drei Kindern ist, ein Problem: "Unsere fünfköpfige Familie sucht verzweifelt einen neuen Hausarzt." Die Gastronomin kümmert sich außerdem noch um ihre 100-jährige Urgroßtante, die noch zu Hause lebt, aber regelmäßig ihre Herztabletten braucht. "Einmal im Monat muss ich ihr ein Rezept holen und die Medikamente besorgen." Die Tante sei zudem auf ärztliche Hausbesuche angewiesen, weil sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen kann. "Am Anfang habe ich vier, fünf Ärzte erfolglos durchtelefoniert", erklärt Meier, "bis mir eine Sprechstundenhilfe erklärte, dass es wohl keinen Arzt in Coburg mehr gibt, der noch Patienten aufnimmt, geschweige denn Hausbesuche macht."
Überall nur Absagen
Jasmin Meier ist ratlos, sucht im Internet Unterstützung und stößt auf starken Zuspruch. "Viele Coburger haben mir Vorschläge gemacht, wohin ich mich im Stadtgebiet eventuell noch wenden kann", sagt sie. "Im Nachhinein habe ich trotzdem überall nur Absagen bekommen." Die Coburgerin weitet ihre Suche auf den Landkreis aus. "Da hieß es wieder, wir nehmen niemanden aus dem Stadtgebiet auf." Meier ruft bei der Patientenhotline der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) an. "Aber alle Ärzte, die mir dort genannt wurden, hatten ebenfalls Aufnahmestopp."Dr. Hans-Günther Kirchberg, der Vorsitzende des ärztlichen Kreisverbandes Coburg, kennt die Problematik nur zu gut. "Seit 15 Jahren sage ich, wenn in der Politik jetzt nicht gehandelt wird, gibt es einen absoluten Engpass. Und der ist jetzt da und es wird noch schlimmer werden", prognostiziert er. "Natürlich wird gegengesteuert": Mit dem Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin, der vor rund zehn Jahren ins Leben gerufen wurde, werden Hausärzte in der Region ausgebildet. "Wir hoffen, dass sich der ein oder andere in Coburg niederlässt." Und auch die Regiomed-Kooperation mit der Universität Split soll mittelfristig zur Entspannung der Situation beitragen: "Im Jahr 2019 werden 25 Studenten der School of Medicine aus Split in Coburg mitarbeiten."
Patienten müssen aktiv werden
Mit einem Missverständnis, das im Internet kursiert, räumt Kirchberg radikal auf: "Nein", sagt er, "die Coburger Hausärzte sind nicht verpflichtet, jeden Patienten aufzunehmen." Notfälle müssten natürlich immer behandelt werden, betont er. Aber: "Es kann nicht sein, dass ein Arzt Patienten aufnimmt, bis er tot umfällt." Was also tun? Hausarzt-Suchenden rät er, das örtliche Telefonverzeichnis herzunehmen und das Arztverzeichnis schlicht durchzutelefonieren. "Es gibt noch Kapazitäten", erklärt er, "man muss halt suchen. Die Zeiten sind vorbei, wo man sich den Hausarzt um die Ecke aussuchen konnte."Dr. Beate Reinhardt ist die regionale Vorstandsbeauftragte der KVB. Die KVB ist für die ärztliche Versorgung der Versicherten in den Gesetzlichen Krankenversicherungen zuständig. Reinhardt verweist auf den Versorgungsatlas für Coburg. "Im Vergleich zu anderen Regionen haben hier immer noch Bewegung", sagt sie, "Coburg ist eine attraktive Stadt." Laut Statistik ist mit 67 niedergelassenen Ärzten in der Stadt und dem Landkreis (Coburg: 22) die Versorgung zu 97 Prozent (noch) sichergestellt. Rein rechnerisch versorgt jeder Hausarzt damit 1681 Einwohner. Aber die Altersstatistik ist bedenklich: 23 der niedergelassenen Ärzte in der Stadt und im Landkreis sind über 60 Jahre alt, das Durchschnittsalter liegt bei 55,7 Jahren. "Im Jahr 2016 beendeten bayernweit 414 Hausärzte ihre Praxistätigkeit, 87 konnten trotz aufwendiger Suche nach einem Nachfolger nicht nachbesetzt werden", informiert Reinhardt. Mit "Gründer-Arbeitgeber-Foren" und mittels einer Praxisbörse versuche die KVB entgegenzusteuern. "Es ist eine große Versorgungslücke zu erwarten, wenn viele unserer Mitglieder in den Ruhestand gehen." Jetzt seien Ärzte, Kassen, die KVB und die Politik gefordert, sagt Reinhardt. "Wenn jeder etwas dazu tut, werden wir die Situation wieder entschärfen können."
Auch Stephan Preisz, Pressesprecher der AOK in Coburg sind die Nachwuchs- bzw. Überalterungsprobleme in der Region hinlänglich bekannt. Gerüchten im Internet, dass sich Coburger Hausärzte aus der KVB abgemeldet hätten und damit zusätzlich zur Verknappung der hausärztlichen Beratung beigetragen hätten, tritt er entgegen: "Die Mitgliedschaft der zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassenen Ärzte in der KVB ist gesetzlich begründet. Dabei handelt es sich grundsätzlich um eine Pflichtmitgliedschaft." Hans-Günther Kirchberg weiß von zwei Fällen, in denen Hausärzte lediglich Privatpatienten behandeln. "Die waren allerdings nie in der KVB", sagt er.
Genau wie Kirchberg rät Preisz den Versicherten, bei Hausärzten in der Region nachzufragen. "In Einzelfällen kann die Bereitschaftspraxis der KVB am Klinikum Coburg ein Rezept zur kurzfristigen Überbrückung ausstellen." Patienten, die sich in fachärztlicher Behandlung befänden, könnten zur Medikamentenverordnung auch auf den Facharzt ausweichen. Andere Hausärzte dürften Folgerezepte ausstellen, müssten sich aber von der medizinischen Notwendigkeit überzeugen. Dauerhaft aufnehmen müssten sie neue Patienten aber nicht. "In dringenden Fällen muss jeder Hausarzt, Bereitschaftsdienst und jede Notfallambulanz helfen."