Druckartikel: Halbes Jahr nach Prügel-Vorwürfen: Jetzt spricht die Erzieherin

Halbes Jahr nach Prügel-Vorwürfen: Jetzt spricht die Erzieherin


Autor: Rainer Lutz

Ebersdorf, Freitag, 21. November 2014

Eine Erzieherin in Ebersdorf sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Sie bekommt kaum eine Möglichkeit sich zu verteidigen, wird fristlos entlassen. Zu Unrecht wie sich herausstellt. In ihrem Beruf wird sie dennoch nie wieder arbeiten.
Ein gebasteltes Abschiedsgeschenk an die Erzieherin ist nicht ungewöhnlich, wenn das Kind von der Krippe in den Kindergarten wechselt. Dieses hebt die Erzieherin aber besonders gut auf. Es ist von dem Kind, das sie geschlagen haben soll. Foto: Rainer Lutz


Ein Brief schockierte im April Eltern, deren Kinder die evangelische Kindertagesstätte in Ebersdorf besuchen. Pfarrer Klaus Wening teilte den Eltern darin mit, dass eine Erzieherin dort ein Krippenkind geschlagen und eingesperrt haben soll. Die Erzieherin wurde fristlos entlassen. Mit ihrer Kollegin, die sich ebenfalls Vorwürfen ausgesetzt sieht, werde verhandelt, das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen aufzuheben, schrieb der Pfarrer. Heute, ein halbes Jahr später, sind die Vorwürfe entkräftet. Beide Frauen sind offiziell rehabilitiert. Die Auswirkungen für ihr Leben können damit aber nicht so einfach weggewischt werden.

Während eine der beiden Erzieherinnen wieder in der Einrichtung arbeitet, sieht sich die andere nicht mehr in der Lage, in ihren Beruf zurückzukehren. "Ich hätte bei jeder Bewegung, bei allem, was ich sage oder tue, Angst, dass es wieder zu so einer Behauptung kommt", sagt sie.

Eine psychologische Betreuung soll ihr helfen. Doch zurzeit steht für sie fest: "Ich habe durch diese Geschichte meinen Beruf verloren."

Auslöser war die Aussage einer Praktikantin ohne Berufserfahrung, die nur für Stunden in der Gruppe der beiden Erzieherinnen mitarbeitete. Sie gab gegenüber der Kindergartenleiterin an, die Kinder würden lieblos behandelt, nicht oft genug gewickelt und das Mittagessen werde ihnen "lieblos hingeknallt". Die Aussage der Praktikantin wurde zum Bericht der Kindergartenleiterin an den Pfarrer.

"Wehe, Sie gehen dagegen vor!"

Er bestellte die Erzieherin mit 19 Jahren Tätigkeit in der Einrichtung und jahrelanger Erfahrung als deren Leiterin zum Personalgespräch. "Mir wurde bei diesem Gespräch ein Aufhebungsvertrag angeboten", berichtet sie. Als sie das ablehnte, weil die Vorwürfe aus ihrer Sicht haltlos waren, habe der Pfarrer angekündigt, eine ordentliche Kündigung auszusprechen und gedroht: "Wehe, Sie gehen dagegen vor!" Eine Aussprache, an der auch die Praktikantin teilnimmt, wurde zunächst zugesagt, fand dann aber doch nicht statt.

Erst nachdem die Erzieherin, die sich ja keiner Schuld bewusst war, einen Aufhebungsvertrag abgelehnt hatte, wurde der Vorwurf erhoben, sie habe ein Kind geschlagen und eingesperrt. Sie wurde fristlos entlassen. Zu den Vorwürfen angehört wurde sie nicht. Die Eltern erhielten den Brief, in dem Pfarrer Wening von Freiheitsberaubung und Körperverletzung schreibt und in dem sie und ihre Kollegin namentlich erwähnt werden.

Es wurde ermittelt. Die Polizei stellte rasch fest, dass die Tür zu dem Raum, in dem das Kind eingesperrt worden sein soll, gar kein Schloss aufweist. Die Vorwürfe ließen sich insgesamt nicht aufrechterhalten. Es kam nicht zu einer Anklage.

Kündigung hat vor Arbeitsgericht keinen Bestand

Die Mitarbeitervertretung, an die sich die beiden betroffenen Erzieherinnen gewandt hatten, stellt fest, dass sie im Vorfeld der geplanten Kündigung nicht ordnungsgemäß eingeschaltet worden ist. Weder die fristlose noch die ordentliche Kündigung haben vor dem Arbeitsgericht Bestand. Das Gericht entschied, dass sie mit einem Ausdruck des Bedauerns zurückzunehmen sind. Der Erzieherin ist ein gutes Arbeitszeugnis auszustellen. Das Arbeitsverhältnis wird bis Ende März 2015 aufrechterhalten. Das Gehalt wird bis dahin weiter gezahlt, ohne dass die Frau in der Einrichtung arbeitet. Denn das, so das Gericht, sei ihr nicht zuzumuten. Danach erhält sie eine Abfindung, die nach der Dauer der Beschäftigung bemessen wird. Sie ist vollständig rehabilitiert. Doch das gilt nur auf dem Papier.

Die Erzieherin weiß, dass sie nie wieder als solche wird arbeiten können. Selbst in einem anderen sozialen Beruf kann sie sich eine Tätigkeit nicht mehr vorstellen. Wenn sie jetzt den Weg in die Öffentlichkeit sucht, dann nicht nur, um klarzustellen, dass sich alle Vorwürfe gegen sie als nichtig erwiesen haben. "Ich möchte, dass auch andere sich trauen zu sprechen", sagt sie. Es geht ihr um den Umgang mit Mitarbeitern, der nicht nur in ihrem Fall Anlass zur Kritik bietet, wie sie meint. Von ihrem Arbeitgeber, der evangelischen Kirche, ist sie so enttäuscht wie von der Kindergartenleitung. Sie hätte nicht erwartet, dass ihr bei solchen Vorwürfen so wenig Rückendeckung, so wenig Vertrauen entgegengebracht wird.

Erleichtert, dass alles vorbei ist

Auch bei den Eltern, deren Kinder die Kita besuchen, bleiben die Ereignisse nicht ohne anhaltende Folgen. Da war zunächst die Empörung über die Anschuldigungen gegenüber der Erzieherin, der sie stets vertraut haben. Sie sahen sich auf deren Seite, als die ersten Vorwürfe erhoben wurden. Um so größer der Schock, als sie dann den Brief erhielten, in dem von Körperverletzung und Freiheitsberaubung die Rede war. "Jeder dachte, wenn die gleich so vorgehen, dann muss wirklich etwas Schlimmes passiert sein", sagt ein betroffener Vater.

Jetzt, da die Beschuldigungen nicht mehr aufrecht erhalten werden können, die Erzieherin rehabilitiert ist, sind viele erleichtert, dass "alles vorbei ist". In der Kita ist wieder Alltag eingekehrt - und ist es doch nicht. Den Nachfolgern in der Krippengruppe, in der sie früher gearbeitet hat, bescheinigen die Eltern, dass sie sich redlich bemühen, eine wirklich gute Arbeit zu machen. Dennoch bleibt bei den Eltern das Gefühl, dass die Erzieherinnen heute noch ständig im Hinterkopf haben, wie leicht sie sich plötzlich den schlimmsten Vorwürfen ausgesetzt fühlen können. Und "irgendwie", sagt ein Betroffener, "irgendwie bleibt an allen etwas hängen, echt an allen."
Die Erzieherin, die durch die Ereignisse nicht nur ihren Job sondern, wie sie sagt, ihren Beruf verloren hat, weiß, wie sehr dieser Satz der Wahrheit entspricht. Die Unterlagen zu ihrem Fall füllen inzwischen einen beachtlichen Ordner.

Unter all den Schreiben der Juristen fällt eine hübsche selbst gebastelte Blume auf. "Vielen Dank für die schöne Zeit mit Dir" steht darauf. "Die ist von dem Kind, das ich geschlagen und eingesperrt haben soll", sagt sie und lächelt.


Das sagt die Mitarbeitervertretung


Dazu, wie die Mitarbeitervertretung zu dem Umgang mit der Erzieherin steht, nahm MAV-Vorsitzender Günter Schiller in einem Interview Stellung.

Wurde die Mitarbeitervertretung bei der zunächst ausgesprochenen fristlosen Kündigung durch Pfarrer Wening eingebunden?
Günter Schiller: Die Mitarbeitervertretung war zwar in Telefongesprächen eingebunden in dem Sinne, dass die Vorwürfe Freiheitsentzug und Körperverletzung erwähnt wurden und die MAV wiederholt von einer fristlosen Kündigung massiv abgeraten hat. Der entscheidende und ausschlaggebende Mangel lag jedoch darin, dass der Träger die Kündigungsfrist von sich aus von 14 Tagen auf drei Tage verkürzte und sie parallel der Mitarbeiterin und der MAV zustellte. Die Regularien sehen vor, dass die MAV vor Ausspruch der formellen Kündigung gehört werden muss. Die Beratungsmöglichkeiten waren somit nicht gegeben.

Wurde die Mitarbeitervertretung bei der später nachgeschobenen zweiten Kündigung eingebunden?
Die später nachgeschobene zweite Kündigung wurde fristgerecht der MAV zugeleitet. Allerdings konnte es keine außerordentliche Kündigung mehr sein, weil die Frist zwischen Kenntnis der Vorwürfe und Ausspruch der Kündigung deutlich über 14 Tage lag.

Wie erfuhr die MAV von den Vorwürfen gegenüber der Erzieherin?
Die Vorwürfe wurden telefonisch und dann im Kündigungsschreiben mitgeteilt. Im Presseartikel des Coburger Tageblatts wurde auf die breite Übereinstimmung von Träger, Eltern und MAV verwiesen. Die MAV hat sich zu jeder Zeit gegen die Vorwürfe und die daraus resultierenden Maßnahmen gewandt.

Was hat die Mitarbeitervertretung seither unternommen, um die Mitarbeiterin gegenüber dem Träger zu vertreten?
Ein wichtiger und entscheidender Beitrag gegen die Kündigung war die Anrufung des Kirchengerichts der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. Im Güteausschuss wurde festgestellt, dass die Mitarbeitervertretung nicht nach dem Mitarbeitervertretungs-Gesetz beteiligt wurde. Nachdem nur das Arbeitsgericht über die Gültigkeit entscheiden kann, ging die MAV nicht in die Verhandlung. Ansonsten hat die MAV Gespräche mit den Dekanen geführt, um auf den Träger einzuwirken. In der letzten MAV-Versammlung hat sich die MAV hinter die beiden Kolleginnen gestellt und den Träger zu einer umfassenden Rehabilitation aufgefordert.

Was wurde unternommen, um den Ruf der Mitarbeiterin wieder herzustellen?
Die MAV wird bei Bewerbungen der Kollegin mit einem Schreiben und persönlichen Gesprächen bei potenziellen Arbeitgebern unterstützen. Auch die Dekane haben ihre Unterstützung zugesagt.

Die Fragen stellte Rainer Lutz.