Händels "Alcina" in Coburg: Liebesdrama mit Knalleffekt
Autor: Jochen Berger
Coburg, Sonntag, 20. Februar 2022
Wie die junge Regisseurin Rahel Thiel die Oper "Alcina" am Landestheater Coburg auf die Bühne bringt und Händels Musik das Publikum verzaubert.
Die Reise in die Vergangenheit führt an diesem Abend mitten hinein in die Gegenwart. Fast drei Jahrhunderte alt ist Händels "Alcina". Doch die Frage, was eine 1735 in London uraufgeführte Zauberoper den Menschen heute in Zeiten der Corona-Krise eigentlich noch zu sagen haben kann - diese Frage stellt sich am Landestheater nach der gefeierten Premiere in der Inszenierung von Rahel Thiel nicht eine Sekunde lang.
Analytische Klarheit
Denn die junge Gast-Regisseurin, deren Deutung eigentlich bereits im Dezember 2020 auf die Bühne hätte kommen sollen, blickt mit analytischer Klarheit hinter die mythologische Fassade des Stückes. Gar so sehr verändert hat sich der Umgang mit dem Thema Liebe vielleicht doch nicht. Verrat und Eifersucht, Verzeihen und Verzweifeln - die Zutaten für ein Liebesdrama mit reichlich Spannung auf der Bühne waren Anno 1735 kaum anders als heute.
Verblüffend modern
Knapp drei Jahrhunderte nach der Entstehung bietet diese Coburger Erstaufführung jedenfalls eine verblüffend moderne und doch nirgends gewaltsam aktualisiert wirkende Lesart. Denn Rahel Thiel gelingt es gemeinsam mit ihrer Ausstatterin Ana Tasic mühelos, die Brücke zu schlagen von der Zauberwelt, die Händel im 18. Jahrhundert in Musik verwandelt hat, in die Gegenwart. Thiel und Tasic lassen sich nicht irritieren von den barocken Versatzstücken mit der Zauberin Alcina, die Männer auf ihre einsame Insel lockt und sie dann, wenn sie ihrer überdrüssig geworden ist, in Tiere, Steine oder Pflanzen verwandelt.
Rettungslos verliebt
Für Thiels Regie ist die Geschichte dieser Zauberin keine Geschichte aus ferner Vergangenheit. Diese Zauberin, die ihre Zaubermacht verliert, weil sie sich schlicht und einfach hemmungs- und rettungslos verliebt - diese Geschichte wird damit ganz selbstverständlich zur Geschichte einer modernen Frau in einer von Machtspiel(ch)en bestimmten (Männer-)Welt, deren Zaubermacht sich übersetzen lässt in kühl kalkulierende Distanz. Für das Finale hat Thiels Regie buchstäblich einen Knalleffekt parat.
Bemerkenswert lebendig
Gemeinsam mit einem wunderbar spielfreudig agierenden Solisten-Sextett haben Regisseurin Rahel Thiel und Coburgs Erster Kapellmeister Johannes Braun am Dirigentenpult eine bemerkenswert lebendige Version dieser Händel-Oper erarbeitet. Die Produktion, die in Corona-Zeiten mehr als ein Jahr lang "auf Eis gelegt" werden musste, erreicht ihr Publikum ohne Umwege.
Beeindruckendes Rollen-Debüt
Der Spagat zwischen Entstehungszeit und Gegenwart, den schon die witzig-anspielungsreiche Ausstattung auf die Bühne bringt, wird auch in Gesang und Darstellung lebendig. Beeindruckend das Rollen-Debüt der jungen Sopranistin Galina Benevich in der Titelpartie. Nach ihrem gefeierten Coburg-Debüt als Fiordiligi in Mozarts "Cosi fan tutte" Anfang Oktober gelingt ihr mit Alcina das von der ersten Szene an sehr eindringliche Portrait einer Frau zwischen Liebe und Machtstreben. In der Hosenrolle als ihr Geliebter Ruggiero beeindruckt Kora Pavelic stimmlich mit unerschütterlicher Koloraturgeläufigkeit ebenso wie mit intensiver Gestaltungskraft.
Beeindruckend aber auch Francesca Paratore als Alcinas Schwester Morgana und Emily Lorini als Ruggieros Verlobte Bradamente sowie Dirk Mestmacher als Morganas Geliebter Oronto und Bartosz Araskiewicz als Bradamantes treuer Begleiter Melisso.