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Funkloch, Grenze, Bürokratie


Autor: Simone Bastian

Coburg, Donnerstag, 01. Oktober 2020

Merlach, ein Stadtteil von Seßlach, liegt im Mobilfunkloch. Ein bayerisches Förderprogramm sollte Abhilfe bringen. Doch dann gab es ein unerwartetes Problem.
Christian Finzel, Betriebsleiter bei Mey Chair in Merlach, und Seßlachs Bürgermeister Maximilian Neeb, prüfen ihre Handys: kein Empfang hier, in keinem Netz. Foto: Simone Bastian


Ein international tätiges Unternehmen ist nicht erreichbar? Kam schon vor, sagt Benedikt Mey. Zusammen mit seinem Bruder führt er das Unternehmen Mey Chair, das Arbeitsstühle für die verschiedenen Berufsfelder herstellt - von Industrie über Medizin bis zur Musik. Doch per Handy erreichbar sind die Mitarbeiter in der Zentrale in Merlach nicht. Gut, dafür gibt es Festnetztelefone. "Aber die laufen übers Internet, und wenn das ausfällt, muss man rausfahren, um mit dem Handy die Störung zu melden", sagt Benedikt Mey. Betriebsleiter Christian Finzel erlebt die Handy-Misere auch im Ehrenamt: "So lange wir per SMS alarmiert wurden, habe ich nie einen Feueralarm mitbekommen, wenn ich in der Arbeit war", sagt der Dietersdorfer, der dort auch bei der Feuerwehr ist.

Hoffnung dank Freistaat

"Da hinten auf dem Hügel" oder "kurz vor Autenhausen" - die Merlacher wissen, wo in der Umgebung es Empfang gibt und wo nicht. Auch die Seßlacher Stadtratsmitglieder wissen, dass es im Dreieck der Stadtteile Autenhausen - Gleismuthhausen -Merlach mit der Mobilfunkversorgung hapert. Im September 2019 schien jedoch eine Lösung greifbar. Im Dezember 2018 hatte der Freistaat Bayern ein Förderprogramm für den Ausbau des Mobilfunks aufgelegt. Die "Funklöcher" sollten geschlossen werden. Im August 2019 erhielt die Stadt Seßlach vom Mobilfunkzentrum Bayern die Information, dass zwischen Autenhausen und Merlach ein entsprechender "Suchkreis" gefunden wurde. "Dieser gibt einen möglichen Standort für einen Sendemast an, mit dem der Netzbetreiber weiße Flecken auf Ihrem Gemeindegebiet schließen kann", heißt es in dem Schreiben. Der Suchkreis lag etwa beim Heuberg, einem Hügel zwischen Autenhausen und Merlach. Der Stadt wurde nahegelegt, den entsprechenden Förderantrag zu stellen. Der Seßlacher Stadtrat stimmte dem hocherfreut zu. Aber nun ist schon über ein Jahr vergangen, und die Förderzusage für den Funkmast ist immer noch nicht da. Stattdessen: Vertröstungen.

Im November 2019 rief ein Mitarbeiter des Mobilfunkzentrums in der Stadtverwaltung an und teilte mit, dass eine Förderung nicht möglich sei. Begründung: Ein Funkmast an dieser Stelle würde auch auf Thüringer Gebiet strahlen. Die Stadt werde daher empfohlen, ihren Förderantrag zurückzuziehen.

Davon wollten aber die Seßlacher nichts wissen. "Wir haben 30 Jahre Deutsche Einheit, und da soll das ein Problem sein?", fragt Maximilian Neeb. Der Seßlacher Bürgermeister (Freie Wähler), seit Februar 2019 im Amt, sieht den Freistaat in der Pflicht, für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern zu sorgen - auch im westlichen Stadtgebiet von Seßlach, nur wenige Meter von der einst innerdeutschen Grenze entfernt.

Scheitern an der Grenze?

Kann es denn sein, dass es ein Problem ist, wenn die Poppenhäuser und Lindenauer, die gleich hinter der Grenze in Thüringen leben, von einem Funkmast auf bayerischem Gebiet profitieren würden? Noch dazu, wenn es für sie gar keine große Verbesserung bedeuten würde: Laut der Karte der Bundesnetzagentur herrscht dort einigermaßen guter Empfang (siehe Grafik).

Doch die Mobilfunkagentur, in Regensburg angesiedelt, lässt den Fragenkatalog des Tageblatts unbeantwortet. Sie verweist ans bayerische Wirtschaftsministerium. Von dort kommt die Auskunft: "Die Voraussetzungen des Förderprogramms sind bei der Stadt Seßlach nicht erfüllt, da die Karte für die Kommune keinen weißen Flecken ausweist, der groß genug ist. Die Stadt könnte aber nachmessen lassen. Das Mobilfunkzentrum sucht aktuell nach einer Lösung für den Fall. Auch die Netzbetreiber werden dabei einbezogen, denn deren Angaben sind Grundlage der Förderkarte."

Flächendeckend messen

Bayern dürfe nur innerhalb seiner Grenzen fördern, sagt Martin Mittag (CSU), Neebs Vorgänger als Bürgermeister und jetzt Landtagsabgeordneter. Wie er erläutert, beruht die Förderkarte auf den Angaben der Netzbetreiber - in Deutschland sind das Telekom, Vodafone und Telefonica. Damit die Stadt Seßlach Fördermittel erhält, müsste es eine 100 auf 100 Meter große Fläche ohne Empfang geben. Die gebe es wohl, sagt Mittag, aber angeblich liege sie zum Teil auf Thüringer Gebiet. "Mir hat noch keiner sagen können, wo genau dieses ,Kästchen‘ liegt", sagt Maximilian Neeb - damit meint er das fragliche Quadrat von 100 auf 100 Metern.

Weil die Netzbetreiber mitteilen, sie hätten das Gebiet abgedeckt, müsste die Stadt anhand von Messungen nachweisen, dass das nicht stimmt - und diese Messungen selbst bezahlen. Martin Mittag will sich nun dafür einsetzen, dass solche Messungen in den Kommunen staatlich gefördert werden. Der Freistaat solle sich nicht nur auf die Angaben der Anbieter verlassen. Dass das Seßlacher Problem gelöst werde, habe Staatssekretär Roland Weigert (Freie Wähler) schon im Frühjahr versprochen, sagt Maximilian Neeb. Damals suchte er am Rande des Mobilfunkgipfels in Bayreuth den Kontakt zu Weigert. Für den 29. Oktober ist wieder ein Mobilfunkgipfel für Oberfranken angekündigt, diesmal in Coburg, im Pfarrzentrum St. Augustin. Maximilian Neeb und Benedikt Mey wollen hingehen.