Frust und Ärger im Coburger Sozialkaufhaus
Autor: Christoph Winter
Coburg, Freitag, 27. Mai 2016
Die ehrenamtlichen Helfer von "Hartz und Herzlich" gelangen zunehmend an ihre Grenzen.
Die Mitteilung an die Kunden bei Facebook ist eindeutig: Am Mittwoch vor dem Fronleichnamstag hat das Sozialkaufhaus "Hartz & Herzlich" im Heimatring am späten Mittwochnachmittag wieder geöffnet. Zwei Stunden lang können Menschen mit wenig Einkommen dort einkaufen. T-Shirts für zehn Cent, neue Schuhe für fünf Euro, Hausrat, Spielsachen, Elektrogeräte - die in der Regel gebrauchte Ware geht für Centbeträge oder wenige Euros über den Ladentisch. Aber durch die Erfahrungen der letzten Zeit sind die ehrenamtlichen Helfer frustriert. Die Bereitschaft sinkt, sich mehrere Tage in der Woche zu engagieren. Barbara Kammerscheid, die vor fünf Jahren Hartz-und-Herzlich gegründet hat, fragt sich, "ob es noch der richtige Weg ist?".
Wegen Chaos geschlossen
Einen Mittwoch vorher blieb Hartz-und-Herzlich geschlossen.
Denn "beim letzten Verkauf wurden die Regale leider wieder so in Unordnung gebracht, dass es uns mit dem durch Krankheit und Urlaub verkleinerten Team nicht möglich war, zu öffnen. Wenn dies mit dem Umgang unserer Ware so weiter geht, dann können wir den Verkauf so nicht mehr weiter führen, und es wird nicht mehr möglich sein, jede Woche zum Einkaufen zu kommen. Sollten Sie unsere Arbeit und Ware schätzen, dann wünschen wir uns im Laden bitte ein angemessenes Verhalten und Respekt unseren Mitarbeitern gegenüber", heißt es in dem Facebook-Text weiter.
Auch am Mittwoch vor Fronleichnam wird im Kaufhaus des Vereins nichts verschenkt. Trotzdem setzt ein Rennen und Schieben ein, sobald die beiden Helfer am Eingang den Weg nach der Kontrolle der Einkaufsausweise freigeben. Mehr als 30 ehrenamtliche Helfer des Vereins sind an diesem Nachmittag vor den Regalen verteilt. Sie achten darauf, dass Kleidungstücke nicht mehr achtlos auf den Boden geworfen werden, damit der rechte beim linken Schuh bleibt, Regale sich nicht in Wühltische verwandeln.
Rauswurf droht
Bei der Mitarbeiterbesprechung vor der Öffnung ist die gespannte Stimmung spürbar. "Wer sich nicht an die Regeln hält, wird zur Ordnung gerufen und kann auch aus dem Geschäft verwiesen werden", sagt die stellvertretende Kaufhausleiterin Ute.Seit etwa einem Jahr gibt es nach den Beobachtungen des Hartz-und-Herzlich-Teams immer weniger Bedarfseinkäufe von Bedürftigen. "Es werden Hosen und Hemden fast wahllos aus den Regalen gerissen, in einer Ecke aussortiert und zurück bleibt auf dem Fußboden ein Haufen zerknitterter Sachen", beschreibt Regina die Situation. "Ihr wollt doch auch etwas zu tun haben", sei die Antwort auf entsprechende Vorhaltungen gewesen. Das macht wütend, das lässt Verständnis ins Bodenlose sinken. Im Sozialkaufhaus soll ein "normales und würdevolles Einkaufen möglich sein, wie in jedem anderen Geschäft auch".
Viele ältere Kunden kommen am Mittwoch nicht mehr zu Hartz-und-Herzlich. "Für sie ist am Mittwoch der Laden zu voll, zu laut, zu hektisch, ist zu viel Ellenbogen-Mentalität vorhanden", weiß Barbara Kammerscheid aus Gesprächen. Tatsächlich ist es am Mittwoch für eine ältere Frau kaum möglich, mit ihrem Rollator um die Menschengrüppchen, Familien und herumwuselnden Kinder zu steuern. Robust muss man sein, um an die Regale zu gelangen.
"Dieses Verhalten zieht sich durch alle Nationalitäten", sagt Barbara Kammerscheid. Die Kunden seien immer fordernder, immer radikaler. "Viele denken, auf einem Basar einzukaufen, feilschen und handeln an der Kasse, obwohl der Stückpreis vielleicht zehn Cent beträgt. Viele Kunden suchen gezielt nur nach Markenartikeln und beschweren sich, weil es ein Kleidungsstück nicht gibt." Wieder andere würden Woche für Woche ganze Tafelservices kaufen. Da dränge sich der Verdacht auf, dass später ein schwunghafter Handel mit den günstigst erworbenen Dingen betrieben werde.
Üble Beleidigungen
Wenn die Helfer, von denen viele mit ihren Einkommensverhältnissen auch einen Einkaufsausweis erhalten würden, eben diese Berechtigungskarte des Vereins einziehen, gibt es wüste Beschimpfungen. "Ausländerhure und Nazifrau" ist Kammerscheid schon am Telefon genannt worden. Die Klauereien werden schon nur noch am Rande erwähnt. Für mehr Ärger und Frust beim Personal sorgen die gefälschten Einkaufsausweise, der Tausch von getragener eigener Kleidung gegen Ware.
Kaum zehn Minuten vergehen am Mittwoch nach der Öffnung, und die Gänge zwischen den Regalen sind voll. "Ich komm' gar nicht mehr hin, um wieder etwas zu ordnen", resigniert Olga. "Handgreiflichkeiten beim Außenverkauf von Möbeln und Fahrrädern sind oft nur knapp zu verhindern", erzählt Manfred. Wer war zu erst da, wer kann das Fahrrad kaufen?
Am Mittwoch fegt kein "Tornado" über Hartz & Herzlich. Dafür sorgten die vielen ehrenamtlichen Helfer - freundlich, bestimmt, mitunter deutlich. Es gibt auch noch normale, nette Kunden. Aber Verständnis und Bereitschaft, insgesamt 400 Arbeitsstunden jede Woche ehrenamtlich zu erbringen, sind nicht unbegrenzt.
HINTERGRUND
Der Verein Der Verein "Hartz & Herzlich" wurde 2010 gegründet. Der Verein will Menschen helfen, die kein Auskommen mit ihrem Einkommen haben.
Die Vereinsmitglieder sammeln gebrauchte Gegenstände des täglichen Lebens: Kleidung, Schuhen, Taschen, Bettwäsche, Gardinen, Küchenutensilien, Dekorationsmaterial, Bücher, CDs, Geschirr, Elektroartikel, Spielsachen, Sportartikel über Kleinmöbel. Diese Dinge werden zu günstigsten Preisen zur Verfügung gestellt und können von Menschen, die nachweisen, wenig Geld zur Verfügung haben, gekauft werden. Der Ausweis Die Bestätigung kann ein Hartz-IV-Bescheid sein, der Coburg-Pass, ein Rentenbescheid oder eine Gehaltsabrechnung. Dann bekommt man einen Einkaufsausweis. Nur mit diesem Ausweis ist Einlass im Sozialkaufhaus um Heimatring 56, damit wirklich nur Berechtigte einkaufen können.
Die Einkommensgrenzen
Alleinstehende Personen 1100 Euro monatlich, alleinstehend mit Kind 1350 Euro, alleinstehend mit zwei Kindern 1600 Euro, verheiratet ohne Kind 1350 Euro, verheiratet mit Kind 1600 Euro. cw