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Fritz Reheis: Revoluzzer unserer Zeit


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Dienstag, 03. Sept. 2019

Fritz Reheis fordert ein neues Verständnis von Nachhaltigkeit. In seinem Buch "Die Resonanzstrategie" ermutigt er zu einem guten Leben im Zeitwohlstand.
Foto: Christiane Lehmann


Er hat die Turboschule angeprangert und Entschleunigung auf allen Ebenen gefordert. Fritz Reheis ist ein Revoluzzer unserer Zeit. Der promovierte Soziologe und habilitierte Erziehungswissenschaftler sitzt auf seinem schattigen Balkon in Rödental, trinkt Wasser und schwarzen Kaffee, den er sich nach seinem Mittagsschlaf verdient hat. Sein Geist ist wach, hellwach. Die Themen der Zeit treiben ihn um. "Die Resonanzstrategie" heißt sein aktuelles Buch, in dem er ein neues Verständnis von Nachhaltigkeit fordert. Er will uns ermutigen, das gute Leben nicht am Geld-, sondern am Zeitwohlstand auszurichten.

"Zeit ist Geld" sei eine falsche Formel, ist sich Reheis sicher. Er will sie durch "Zeit ist Leben" ersetzen. Im Gespräch erläutert er auch, wie das gehen kann - zum Wohle des einzelnen, aller und letztendlich dieser Welt, die vom Wachstumszwang und dem Mantra "schneller, höher, weiter" bedroht ist.

Immer schneller produzieren, transportieren, kommunizieren wir. Immer höher wachsen die Berge von Gütern, Müll und Daten, die Vermögen und die Schulden. Immer weiter greifen wir in die Welt ein, die äußere und die innere. Wir steigern fast alles, was uns in die Finger kommt. Aber wohin führt das? Reheis sieht in dieser Überschreitung von Grenzen die Gefahr, dass Stabilität verloren geht. "Auf der Suche nach einer Begrenzung und damit einer Neuausrichtung des Fortschritts hilft die Resonanz", so seine These. "Wir sind als Menschen durch und durch auf Resonanz angewiesen: Wenn wir uns anderen Menschen mitteilen, erwarten wir Verständnis. Wenn wir uns anstrengen Anerkennung, wenn wir lieben Gegenliebe", erläutert der 70-Jährige in einem Essay für den Mannheimer Morgen. Resonanz sei aber auch für unsere Beziehungen zur natürlichen Umwelt unverzichtbar. Auch hier erwarten wir, dass sie uns, wenn wir sie pfleglich behandeln, einen sicheren Raum zum Leben und Früchte als Nahrung bietet.

Ins Gleichgewicht kommen

"Wo Resonanzen trotz aller Bemühungen ausbleiben, drohen böse Überraschungen", ist Reheis überzeugt. Er nennt Beispiele von Gewaltausbrüchen, wenn verzweifelte Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten nicht gehört werden, oder wenn die Natur "zurückschlägt" , in dem Böden austrocknen, Gletscher schmelzen, Tierarten aussterben.

"Genau deshalb ist es so wichtig, wieder ins Gleichgewicht zu kommen, in Resonanz", ist der ehemalige Gymnasiallehrer sicher.

Sich Zyklen (Tag und Nacht), Rhythmen (Jahreszeiten), Schwingungen (atmen) wieder bewusst werden, mit ihnen, statt gegen sie zu leben, sei der Schlüssel für ein nachhaltiges Leben. Für ihn heißt das, das Leben so zu organisieren, dass genug, für jeden und immer zur Verfügung steht.

Genug heißt weder zuviel noch zu wenig. Für jeden bezieht er auf die soziale Gerechtigkeit, auf den Ausgleich von geben und nehmen. Und für immer sagt, dass für nachfolgende Generationen genug da ist. In diesem Zusammenhang zitiert Reheis gern Dietrich Pax vom Gärtnerhof Callenberg, der das Prinzip der Nachhaltigkeit seit vielen Jahrzehnten praktiziert: "Nachhaltig bedeutet, dass alles beliebig wiederholt werden kann."

Das Buch von Fritz Reheis zeigt, dass die herrschende Wirtschaftsordnung mit ihrem Beschleunigungsdiktat derartige Resonanzphänomene systematisch blockiert und damit ein gutes, nachhaltiges Leben verhindert. Er sieht in seiner Resonanzstrategie eine Alternative zur weiterhin herrschenden Alternativlosigkeit, wie er sagt. "Die Resonanzstrategie, wie ich sie denke, ist dabei konservativ und revolutionär zugleich. Sie zeigt, wie die Symphonie des Lebens - vom Lärm des Geldes ständig übertönt - für uns alle wieder hörbar werden kann."

Konservativ sei dabei, dass an die Stelle der zwanghaften Steigerung und Innovation die Wiederkehr des Ähnlichen tritt - immer in dem Bewusstsein, dass seit dem Urknall und erst recht seit Beginn des Lebens auf der Erde Kreisläufe die stabile Basis jeder Entwicklung von Neuem waren und weiterhin sein werden. Und revolutionär, weil die Resonanzstrategie die Qualität des menschlichen Lebens zum Maß des Fortschritts erhebt und nicht die Quantität des Geldes. "Ich wünsche mir - und mit der Resonanzstrategie kann das gelingen - dass die Eigendynamik des Geldes überwunden wird und Geld wieder auf seine eigentliche Funktion zurückgestutzt wird", sagt der Soziologe, der damit den Eigenzeiten von Mensch, Gesellschaft und Natur wieder Respekt verschaffen möchte.

Der entschleunigte Mann

 

Fritz Reheis, Jahrgang 1949, ist außerplanmäßiger Professor und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik der humanwissenschaftlichen Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Bis zu seiner Pensionierung 2015 war er als Akademischer Direktor am Lehrstuhl für Politische Theorie der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Bamberg beschäftigt.

Davor war der promovierte Soziologe und habilitierte Erziehungswissenschaftler viele Jahre als Gymnasiallehrer für Sozialkunde, Deutsch, Geschichte und Philosophie am Arnold-Gymnasium Neustadt.

Engagement

Arbeitskreis Politische Ökonomie, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaften, Verein zur Verzögerung der Zeit, Projekt Ökologie der Zeit an der Evangelischen Akademie Tutzing, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik.

Veröffentlichungen

Die Kreativität der Langsamkeit: Neuer Wohlstand durch Entschleunigung, 1996, Primus

Entschleunigung: Abschied vom Turbokapitalismus, München 2003, Riemann-Verlag,

Bildung contra Turboschule! Ein Plädoyer, 2007, Verlag Herder

Die Resonanzstrategie: Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen, 2019, oekom Verlag