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Friedrich Rückert dicht auf der Spur


Autor: Sandra Hackenberg

Coburg, Sonntag, 29. Mai 2016

Eine literarische Wanderung beleuchtete das Leben des fränkischen Dichters. Die Teilnehmer erhielten dabei eine Vorstellung von den Sichtweisen des Poeten.
Vor dem Rückert-Denkmal im Park der Familie, der an das Wohnhaus Friedrich Rückerts grenzt, sangen die Teilnehmer der Wanderung das Lied "Aus der Jugendzeit" aus der Feder des Dichters. Foto: S. Hackenberg


Dieses Jahr steht ganz im Zeichen von Friedrich Rückert. Am 31. Januar hat sich der Todestag des fränkischen Dichters zum 150. Mal gejährt. Ihm zu Ehren fand letzten Samstag eine Wanderung von Neuses zum Goldbergsee statt.

Der Park in Neuses, in dem das Rückert-Denkmal steht, grenzt an das Grundstück des Bürgerhauses, in dem die Familie Rückert bis heute lebt, und befindet sich noch immer in Familienbesitz. Bei bestem Wetter haben sich am frühen Nachmittag rund 70 Rückert-Experten und Neulinge eingefunden, die mehr über das Leben und die literarischen Zeugnisse des Dichters und Übersetzers erfahren wollten.


Mehr als 20 000 Gedichte

Frederik Leberle, Schauspieler am Landestheater Coburg, trug an verschiedenen Stationen der Wanderung Gedichte von Friedrich Rückert vor. "Durch die Wanderung können wir eine Verbindung zwischen seinem Leben und seiner Literatur herstellen." Der ThüringerwaldVerein, der die Wanderroute geplant hatte, die Stadtbücherei, die Gedichte für die Vorträge ausgesucht hatte, und die Kulturabteilung der Stadt Coburg hatten die Wanderung zusammen organisiert.

"Heute ist Friedrich Rückert beim Leserpublikum weitestgehend in Vergessenheit geraten", stellte Brigitte Maisch von der Stadtbücherei fest, die mit ihrem Mann Edmund Frey die Moderation an den einzelnen Stationen übernahm. "Das ist schade, denn er war sehr produktiv und hat mehr als 20 000 Gedichte verfasst." Seine Zeugnisse spiegeln die Sehnsuchtsepoche der Spätromantiker wider, aber auch politisch motivierte Texte sind überliefert.

Unter musikalischer Begleitung einer Gitarre haben die Teilnehmer im Rückert-Park vor dem Denkmal das Lied des Dichters "Aus der Jugendzeit" gesungen, ehe es durch den Garten der Familie Rückert zum Wohnhaus, das direkt an der Lauter liegt, ging. Dort wurde die Gruppe von Christel Rückert empfangen, deren Mann Klaus ein Ururenkel Friedrich Rückerts ist und die heute mit ihrer Familie in dem Bürgerhaus lebt.
Rückerts unzählige Gedichte spiegeln seine "überbordende Produktivität und Vielgestaltigkeit" wider, wie Edmund Frey bei der Wanderung betonte. Tatsächlich konnte Friedrich Rückert durch seine übersetzerische Tätigkeit mehr als 40 Sprachen lesen und verstehen und lieferte damit seinen Beitrag zur Völkerverständigung. "Wir haben aber begründete Zweifel, dass Friedrich Rückert nicht nur der versöhnende Weltpoet war, für den er sich gerne ausgab", betonte Edmund Frey. Davon zeugen beispielsweise die geharnischten Sonette aus dem Jahr 1813, die der Dichter nach der Niederlage Napoleons bei der Leipziger Völkerschlacht verfasst hatte. Auch die Rolle der nicht selbstständig denkenden Frau aus der Sicht Rückerts, deren Aufgabe darin bestehe, ihrem Ehemann zu dienen, könnte ein Grund dafür sein, warum der Dichter heute nicht allzu große Bekanntheit genießt. Die meisten seiner Gedichte geben aber einen sehr persönlichen Einblick in sein Leben. Als zwei seiner zehn Kinder innerhalb weniger Wochen starben, verfasste Friedrich Rückert 1834 unter dem Sammeltitel "Kindertotenlieder" Gedichte, in denen er seine Verluste mit Strophen wie "Oft denke ich, sie sind nur ausgegangen und werden jetzt nach Haus gelangen" verarbeitet hat. Weil seine Frau Luise gegen eine Veröffentlichung war, gelangten die "Kindertotenlieder" erst nach seinem Tod an die Öffentlichkeit.


Heitere fränkische Übersetzungen

Während der Wanderung wurden aber nicht nur ernste Töne angeschlagen. Die Mundart-Forscherin Anneliese Hübner brachte mit ihren fränkischen Übersetzungen der Gedichte die Anwesenden zum Schmunzeln, als sie Passagen wie "schö bisda groud net, des kou iich de ksouch" von der lyrischen Sammlung "Ein Sommer auf dem Lande" vortrug, die während Friedrich Rückerts Aufenthalten bei seiner Familie in Ebern entstand.
Unweit seines Hauses befindet sich bis heute das Grab des Dichters, das die nächste Station der Wanderung darstellte. Spätestens hier wurde den Anwesenden die starke Verbundenheit Friedrich Rückerts zu Neuses klar, als Frederik Leberle Passagen aus seinen Gedichten zum Besten gab, in denen Rückert seine Liebe zum Goldberg, zur Lauter und zu seinem Dorf betonte. Vorbei am Goldberg ging es weiter zu seinem Gartenhaus, wo für die Teilnehmer der Wanderung Getränke bereit standen. Wer noch tiefer in das Leben des Dichters eintauchen wollte, der konnte am Ende des Nachmittags an einer Führung durch das Wohnhaus von Friedrich Rückert teilnehmen, die von Christel Rückert geleitet wurde.
Die Anwesenden erhielten an diesem Tag einen authentischen Einblick in das Leben und die Sichtweisen des Poeten, der sich trotz seiner Verbundenheit zur fränkischen Heimat ein Leben lang mit verschiedensten Sprachen in der Welt beschäftigt hat.
"Weltversöhnung alleine durch die Wirkung der Poesie aller Länder, aller Zeiten und aller Völker - was für ein schöner Gedanke!", meinte Brigitte Maisch. Vielleicht von vielen vergessen, sind die literarischen Zeugnisse des Dichters aber noch heute lebendig.