Friedrich Rückert als großen Lyriker vorgestellt
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Mittwoch, 16. März 2016
Kein Literaturwissenschaftler, ein Dermatologe hat ein verblüffendes, 530 Seiten starkes Buch über den Lyriker Friedrich Rückert herausgebracht.
Friedrich Rückert kann einen ärgern. Man hört irgendwo in einer Vertonung eines der angeblich über 800 Komponisten, die auf Rückert zugriffen, einen Satz von Ehrfurcht gebietender Klarheit, Wahrheit und Schönheit. Man will da mal nachgucken, fängt an zu lesen und stößt kilometerweit auf geschickte Reimereien - über Alltäglichkeiten. Dazwischen aber immer wieder lyrische Monumente. Oder Winzigkeiten von unglaublicher Strahlkraft. Dann wieder lesen, lesen, lesen, denn der "Coburger" (geboren 1788 in Schweinfurt), von 1819 bis zu seinem Lebensende 1866 in Neuses lebende Dichter war unvorstellbar produktiv.
Da stehen wir dann, wir armen Toren, im Rückert-Jahr 2016, das an seinem 150. Todestag am 31. Januar eingeleitet wurde mit der Rückert-Preis-Vergabe der Stadt Coburg, angelockt und abgeschreckt zugleich, und sollten uns doch in besonderem Maße verbunden fühlen. - Uns soll heuer geholfen werden.
Schimmel-Biografie neu
Als Orientalist und Übersetzer aus mindestens 44 Sprachen hat den doch weit Vergessenen, der zu Lebzeiten zu den bedeutendsten Dichtern Deutschlands gehörte, die große Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel (1922 - 2003) wieder an seinen rechten Platz im öffentlichen Bewusstsein gerückt. Im Wallstein Verlag kam jetzt eine Neuauflage von Schimmels Lebensbild und Einführung in sein Werk heraus. Die ist in ihrer komprimierten Form hilfreich zu Lebensgang und Wirken.Doch jetzt ist zudem etwas Erstaunliches geschehen: Kein Literaturwissenschaftler, ein Mediziner, ein Dermatologe hat ein ziemlich verblüffendes, 530 Seiten in Kleindruck starkes Buch über den Lyriker Friedrich Rückert herausgebracht. Der Coburger Literaturkreis und die Landesbibliothek stellten Wolfgang Weyers und sein Werk "Der große Zauberer" am Dienstag im übervollen Andromedasaal der Ehrenburg vor. Das Interesse war sehr groß.
Die Leiterin der Landesbibliothek, Silvia Pfister, und der Vorsitzende des Literaturkreises, Alois Schnitzer, verwiesen auf den besonderen "Zauber" gerade dieses Ortes. Denn es dürfte die bedeutende herzogliche Hof- und Staatsbibliothek, die bis ins 16. Jahrhundert zurück reicht, gewesen sein, die Rückert nach Coburg gezogen hat.
An erster Stelle nun also der Lyriker Friedrich Rückert, nicht der Orientalist. Weyers, ein quickiger Kerl mit starker Stimme, liest Rückerts Gedichte eindrucksvoll und bringt sie so erst nahe, wo man über Rückerts manchmal eigenwillige Kehrungen und Wendungen ohne Verständnis hinweg lesen würde.
Leben lernen mit Rückert
Weyers thematisch fortschreitendes Kompendium lebt aus dem Ineinander von Rückerts Gedichten und Weyers Informationen und Interpretationen, die präzise, konzentriert und hilfreich einordnend sind. Über all das hinaus aber ist es einem Menschen auf der Spur, der herausragend, ein Sprachgenie, war, in seiner Dichtung aber gleichzeitig den ganz allgemeinen menschlichen Lebensgang erfasste und so sprachlich bündelte und widerspiegelte, dass er zeitlos tief berührt. Der Schatz Rückert war bisher das Verhängnis. Denn Rückert erfasste die Welt fast ausschließlich poetisch; er wollte und konnte fast alles dichterisch sagen, eben auch Banales. Das zu lesen amüsiert heute oder nervt, je nach Geduldszustand. Weyers aber ermöglichte es, Rückerts Leben herauszulesen aus dieser Fülle.
Der intensive und lange Leseabend in der Ehrenburg konzentrierte sich auf die Kindertotenlieder, mit denen Rückert die schwerste Krise seines Lebens nach dem Tod zweier seiner Kinder bewältigte, und dann seinen Abschied vom Leben. Wir erlebten also den reifen, den weiser werdenden Rückert. "Es ist der Tod des Lebens Kern, als wie die Frucht der Kern der Blüte". Das aber muss man erstmal kapieren.
Dass Rückert aus der lebenslangen poetischen Selbstreflektion, aus dem Persönlichen, beispielgebend und klar eingängig das für jedes Leben Gültige herauszog und mit der Macht seiner Sprache band, das vermittelt Wolfgang Weyers in seiner Rückert-Schatztruhe. Die ist zudem auch noch mit zwei CDs versehen, auf denen das Plattenlabel Naxos aus seinem reichen Reservoir an Einspielungen von Rückert-Liedern schöpfte.
Fülle des Lebens und der Kunst: Die herausragende Veranstaltung in der Ehrenburg wurde zudem auch noch musikalisch überhöht: Veronika Patterer sang mit dramatischer Ausdruckskraft und fließendem Empfindungsreichtum Mahlers Vertonungen der Kindertotenlieder, sensibel und innerlich begleitet von Diana Zohrabyan am Flügel. Bis hin zu "Ich bin der Welt abhanden gekommen". Doch alles in allem weist Rückert den Weg, wie Welt und Leben zu bewältigen sind.
1958 in Köln, ist Dozent für Dermatologie an der Universität Freiburg. Ehe er sich der Medizin zuwandte, war er lange Zeit Reporter bei der ARD. Er ist Verfasser mehrerer Bücher über Medizingeschichte.
Wolfgang Weyers: Der große Zauberer. Leben und Lieder von Friedrich Rückert. Rombach Verlag Freiburg i. Br./Berlin, 528 Seiten, 28 Euro. Mit zwei CDs und reizvollen grafischen Interpretationen von Rückert-Porträts durch Harald Herrmann.
Annemarie Schimmel: Friedrich Rückert. Lebensbild und Einführung in sein Werk. Herausgegeben von Rudolf Kreutner. Wallstein Verlag Göttingen, 158 Seiten, 16,90 Euro