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Frau geschlagen: Was geschah im Parkhaus in Coburg?


Autor: Ulrike Nauer

Coburg, Donnerstag, 14. Januar 2016

Ein 21-Jähriger soll seine Freundin Sonntagnacht am Parkhaus Post bewusstlos geschlagen haben. Nun meldet sich die 27-Jährige zu Wort. Nach ihrer zurückgekehrten Erinnerung hat sich alles anders abgespielt.
Die Treppe am Haupteingang des Parkhauses Post.  Foto: Jochen Berger


Nach dem Polizeibericht am Montag schien eigentlich alles ganz klar: Ein junger Mann soll in der Nacht zum Sonntag eine 27-jährige Frau im Parkhaus Post bewusstlos geschlagen haben. In den sozialen Netzwerken wurde der Fall teilweise hitzig kommentiert. Doch nun meldet sich das vermeintliche Opfer zu Wort. Erst jetzt sei die Erinnerung an jene fatale Nacht vollständig zurückgekehrt, sagt Julia Kleeve (Name von der Redaktion geändert) am Donnerstag dem Tageblatt und danach habe sich alles ganz anders abgespielt. Eine Feststellung ist der jungen Frau besonders wichtig: Ihr Freund habe sie nicht bewusstlos geschlagen.


Schnelle Aussage war ein Fehler

Dass sie das noch in der selben Nacht unter Alkoholeinfluss bei der Polizei ausgesagt hatte, bereut Julia Kleeve heute aus tiefstem Herzen. "Ich hätte niemals gleich danach eine Aussage machen dürfen", sagt sie verzweifelt. "Erst seit gestern sehe ich nicht mehr verschwommen. An meine Aussage kann ich mich auch nur noch halb erinnern." Dass ihr Freund öffentlich bezichtigt wurde, sie bewusstlos geschlagen zu haben, sei "einfach nur schlimm". Ganz besonders deshalb, weil er ihr doch in Wirklichkeit nur habe helfen wollen.

Eigentlich hatte der Abend für das junge Paar sehr schön begonnen, wie Julia Kleeve erzählt. Seit drei Jahren sind die 27-Jährige und ihr 21-jähriger Freund zusammen, haben zwei Kinder, darunter eine gemeinsame kleine Tochter. "Wir gehen sonst so gut wie nie aus", sagt Julia. Doch am Samstag waren die Kinder bei den Großeltern und das Paar beschloss, den Abend in einer Bar im Steinweg zu verbringen. "Ich fand den Abend so schön", sagt die junge Frau. "Wir waren wie frisch verliebt." Das sei auch Freunden aufgefallen, die ebenfalls die Kneipe besuchten. Die Probleme, die das Paar noch vor einiger Zeit hatte, waren in diesem Moment vergessen.

Entgegen ihren Gewohnheiten habe sie an diesem Abend einige Wodka getrunken, gibt die 27-Jährige zu. Laut Polizei hatte die zierliche Frau später rund ein Promille Alkohol im Blut. Irgendwann fiel ihr ein Glas herunter, was ihr furchtbar peinlich gewesen sei. "Deswegen sind wir gegangen." Am Ausgang habe ihr jemand ein Bein gestellt. Wenige Meter weiter, am Parkhaus Post, wird ihr etwas schwindelig und das Bein schmerzt. Julia Kleeve will sich setzen, allerdings nicht auf die nassen Bänke, sondern auf die steile Treppe, die zum Haupteingang des Parkhauses führt.


Im "toten Winkel" der Kameras

"Ich habe laut herumgejammert", erinnert sie sich. Ihr Freund, der derzeit unter Bewährung steht, habe befürchtet, das Gejammer könnte die Polizei auf den Plan rufen, und sie gebeten, still zu sein. "Wir sind dann ins Parkhaus gegangen", berichtet Julia Kleeve. Ihr sei schwummerig gewesen, alles habe sich gedreht, deshalb setzte sie sich auf eine einzelne Stufe. "Ich konnte mich nicht beruhigen, da ist mein Freund weg gegangen." Die Videokameras im Parkhaus zeichnen das auch auf, Julia Kleeve allerdings sitzt im "toten Winkel" und ist ebensowenig zu sehen, wie das, was sich weiter ereignet.


Ohrfeige sollte helfen

"Ich bin plötzlich zur Seite gekippt und mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen." Daran allerdings habe sie sich erst viel später wieder erinnert. Ihr Freund habe das aber mitbekommen, sei zu ihr zurück gerannt und habe ihr eine Ohrfeige gegeben. Allerdings nicht, so ist sie sich inzwischen sicher, um sie bewusstlos zu schlagen, sondern im Gegenteil, um sie wieder zur Besinnung zu bringen. Kurze Zeit später - nicht unmittelbar nach der Ohrfeige, davon ist Julia Kleeve überzeugt - sei sie wieder weg gekippt und tatsächlich bewusstlos geworden.
Als die junge Frau wieder aufwacht, liegt sie im Coburger Klinikum, hängt am Tropf und ist - nach eigenem Bekunden - völlig geschockt. "Ich habe mir die Nadel aus dem Arm gerissen und bin abgehauen. Das zeigt doch, wie durcheinander ich war", sagt sie. Die Polizei greift sie einige Zeit später an einer Tankstelle in der Bamberger Straße auf. Zurück ins Krankenhaus will Julia Kleeve aber auf keinen Fall, sondern nach Hause. Die Beamten hätten sie auch erst in diese Richtung gefahren, seien dann aber plötzlich zur Dienststelle umgekehrt, um gleich noch ihre Aussage aufzunehmen. "Die haben doch genau gesehen, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte", wirft sie den Beamten vor. "Ich habe alles fünffach gesehen, aber meine Aussage trotzdem unterschrieben."
Erst jetzt, mit der zurückgekehrten Erinnerung, sei ihr klar geworden, in welchem Licht ihre Aussage ihren Freund erscheinen lasse. "Seit Sonntagnacht ist mein Leben ruiniert. Wir wollten heuer heiraten, doch mein Freund redet kein Wort mehr mit mir", erzählt sie verzweifelt. Sie habe Angst, dass nun jeder glaube, sie sage das alles nur, um ihrem Freund aus der Patsche zu helfen. "Aber ich werde alles tun, um zu beweisen, wie es wirklich gewesen ist."


Aussage korrigiert

Gleich am Mittwoch ging Julia Kleeve daher zur Coburger Polizei, um ihre Aussage zu korrigieren. "Die wollten mich wieder wegschicken, aber ich habe gesagt, ich gehe nicht eher weg, als bis ich das richtig gestellt habe." Das durfte sie schließlich auch tun. Nun hofft sie, dass ihr Freund ihre Bemühungen auch mitbekommt und ihr verzeiht. "Wir haben so hart um unsere Beziehung gekämpft, jetzt passte alles wieder und dann passiert so etwas..."


Die Staatsanwaltschaft muss in jedem Fall weiter ermitteln

Stefan Probst, Pressesprecher der Polizeiinspektion Coburg bestätigte am Donnerstag gegenüber dem Tageblatt, dass seine Kollegen die neue Aussage von Julia Kleeve (Name von der Redaktion geändert) aufgenommen haben. In weiten Teilen stimme die Darstellung auch mit den Erkenntnissen überein, die die Polizei zu den Abläufen in der Nacht zum Sonntag bisher gesammelt hat. Was die Tat selbst angehe, müsse aber weiter ermittelt werden, so Stefan Probst. Denn die 27-Jährige befand sich tatsächlich im "toten Winkel" der Videokameras.


Hoffnung auf weitere Zeugen

Zwei jungen Frauen und einen Taxifahrer hat die Polizei bereits als Zeugen befragt. Die Beamten hoffen, dass sich vielleicht noch mehr Zeugen finden, die Licht ins Dunkel bringen können.
Ermittelt werde im übrigen wegen "normaler Körperverletzung", sagt Stefan Probst. Daran ändere sich auch nichts, wenn Julia Kleeve auf eine Anzeige gegen ihren Lebensgefährten verzichte. "Das ist ein so genanntes Misch-Antrags-Delikt, das wir von Amts wegen verfolgen müssen", erklärt Probst. Das bedeutet, die Entscheidung, ob die Geschichte vor Gericht geht, liegt in jedem Fall bei der Coburger Staatsanwaltschaft.