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"Fidelio" in Coburg: Tod eines Enthüllungs-Reporters


Autor: Jochen Berger

Coburg, Montag, 19. Sept. 2016

Warum Beethovens "Fidelio" am Landestheater Coburg in der Neuinszenierung von Rudolf Frey eine zwiespältige Aufnahme beim Publikum findet
In der Neuinszenierung von Gast-Regisseur Rudolf Frey feierte Beethovens Oper "Fidelio" Premiere am Landestheater Coburg. Foto: Andrea Kremper


Ist dem Jubel von Beethovens "Fidelio" heute noch zu trauen? Ist Beethovens Dramaturgie des Durchbruchs "durch Nacht zum Licht" wirklich noch nachvollziehbar? Ist der Lobgesang auf die Gattenliebe und die Befreiung des eingekerkerten Florestan am Ende der Oper Ausdruck utopischer Kraft oder doch die blanke Illusion?


Buh-Ruf am Premierenabend

Wer das Wagnis auf sich nimmt, Beethovens "Fidelio" auf die Bühne zu bringen, braucht überzeugende Antworten auf diese Fragen. Die Coburger Neuinszenierung Rudolf Freys am Landestheater macht den inneren Zwiespalt des nicht grundlos als szenisch problematisch empfundenen Werkes bewusst zum Thema und riskiert eine Interpretation, die auf die Kraft der poetischen Zwischentöne und und nicht auf plakativ politische Botschaften setzt.


Beim Coburger Premieren-Publikum erntet Frey für seinen "Fidelio" neben Applaus freilich auch reichlich Buh-Rufe. Einig sind sich die Besucher nur in ihrer Begeisterung über die musikalische Seite dieser ambitionierten Neuproduktion. Dirigent Roland Kluttig und das Philharmonische Orchester dürfen am Ende auf offener Bühne verdientermaßen ein Vollbad im Applaus genießen.


Vom ersten Takt an der vorangestellten dritten "Leonoren"-Ouvertüre entfaltet Coburgs Generalmusikdirektor den symphonischen Reichtum und den symphonischen Ernst von Beethovens Partitur. Das Philharmonische Orchester folgt seinem fein differenzierten Dirigat jederzeit hoch konzentriert und gerät dabei nie in Gefahr, die Solisten zu überdecken oder zum Forcieren zu zwingen.


Selbst im größten Final-Jubel bewährt sich Kluttigs Gespür für das richtige Tempo mühelos, so dass weder Orchester noch der bestens einstudierte Chor samt Extrachor (Einstudierung: Lorenzo Da Rio / Katharina Eberl) je gehetzt klingen.


Die Vorgeschichte

Rudolf Freys Regie erzählt "Fidelio" ganz bewusst mit einer Vorgeschichte und illustriert die als instrumentales Vorspiel gewählte dritte "Leonoren-Ouvertüre" mit dem stummen und doch beredten Spiel der Hauptakteure.


"Die entfernte Geliebte"

In Freys Lesart ist Florestan ein Enthüllungs-Journalist, der hinter die finsteren Machenschaften seines zum Gouverneur aufgestiegenen Jugendfreundes Don Pizarro kommt. Als kluge Entscheidung erweist sich der Verzicht auf der größten Teil der originalen Dialoge, die Frey durch eine Textauswahl aus Beethovens Liederzyklus "An die ferne Geliebte" ersetzt.


Florestans Frau Leonore übergibt heimlich die Ergebnisse seiner Nachforschungen an Pizarro, ohne dabei zu ahnen, dass Pizarro das Objekt dieser Recherchen war. Die Folgen sind fatal: Florestan landet im Gefängnis und stirbt dort in Einzelhaft. Damit wäre die Oper eigentlich zu Ende, bevor sie begonnen hat.


Doch Rudolf Frey lässt die Oper nach diesem Prolog gleichsam vor dem inneren Auge Leonores spielen. Das wirkt zwar nicht in jedem Detail stimmig, garantiert aber einen spannungsreichen Opernabend, weil das zunächst spröde anmutende Bühnenbild von Ausstatterin Madeleine Boyd durchaus interessante Entfaltungsmöglichkeiten bietet.


Das Bühnenbild

Denn der zunächst realistisch anmutende Raum enthüllt Stück für Stück sein poetisches Potenzial, auch wenn manches Detail denn doch ein wenig abgenutzt wirkt. Schlüssig freilich wirkt der Versuch, die Geschichte von Florestan und Leonore als Geschichte von Orpheus und Eurydike mit vertauschten Rollen zu interpretieren.


Die Sänger

Die Solistenschar jedenfalls folgt Rudolf Freys Regiekonzept mit durchweg engagiertem Spiel und überzeugt stimmlich in jeder Rolle. Als Gast in der Rolle der Leonore: Tünde Szabóki, die mit durchsetzungsfähigem Sopran ihr gefeiertes Coburg-Debüt gibt. Als lyrischer Tenor hat Roman Payer das Ensemble des Landestheaters vor einigen Jahren auf eigenen Wunsch verlassen - inzwischen hat seine Stimme hörbar heldentenorales Potenzial gewonnen. Felix Rathgeber als Gefängniswärter Rocco, Anna Gütter als seine Tochter Marzelline, David Zimmer als Roccos Gehilfe Jaquino, Michael Lion als skrupelloser Gouverneur Don Pizarro und Salomón Zulic del Canto als Minister Don Fernando - sie alle beeindrucken das Premierenpublikum mit ausdrucksvollem Gesang.


Beethovens "Fidelio" am Landestheater - ein Spielzeit-Auftakt, der musikalisch in Bann zieht und szenisch spannende Fragen stellt.




Sie bringen "Fidelio" auf die Bühne des Landestheaters

Aufführungen Ludwig van Beethoven "Fidelio",22., 30. September, 19.30 Uhr, 3. Oktober, 18 Uhr; 12. Oktober, 19.30 Uhr; 16. Oktober, 15 Uhr; 20. Oktober, 19.30 Uhr; 1. November, 18 Uhr; 13. November, 15 Uhr; 19., 30. November, 13. Januar, 19.30 Uhr, Landestheater Coburg

Produktionsteam
Musikalische Leitung Roland Kluttig; Inszenierung Rudolf Frey; Bühnenbild und Kostüme Madeleine Boyd; Choreinstudierung Lorenzo Da Rio; Dramaturgie Renate Liedtke

Besetzung Don Fernando Salomón Zulic del Canto/Jiri Rajniš
Don Pizarro Michael Lion
Florestan Roman Payer
Leonore Tünde Szaboki
Rocco Felix Rathgeber
Marzelline Julia Da Rio/Anna Gütter
Jaquino Dirk Mestmacher/David Zimmer

Chor und Extrachor des Landestheaters
Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg

Das Werk In der dreiaktigen Erstfassung als "Fidelio oder Die eheliche Treue" lerbete das Werkseine Uraufführung am 20. November 1805 im Theater an der Wien. Die Uraufführung der zweiten Fassung in zwei Akten folgte als "Leonore oder "Der Triumph der ehelichen Liebe" am 29. märz 1806 ebenfalls im Theater an der Wien. Die heute bekannte dritte Fassung als "Fidelio" wurde am 23. Mai 1814 imKärntnertortheater in Wien uraufgeführt.