Familie in Ahorn nimmt syrische Jugendliche auf
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Donnerstag, 08. Oktober 2015
Zwei syrische Jugendliche haben bei Familie Eckl in Ahorn ein neues Zuhause. Die erste gemeinsame Woche war schwierig und spannend, aber viel leichter als gedacht. Bloß den Sauerbraten, den konnten die beiden nicht essen.
Sie hätten es sich so schön machen können. Die großen Kinder sind aus dem Haus - weniger Wäsche, weniger Einkauf, mehr Zeit für die eigenen Interessen. Nur noch Sohn Heinrich, der 14-Jährige, muss durch die Pubertät. Das kriegen sie auch noch hin. Aber Birgit und Martin Eckl dachten anders.
Die Flüchtlingsreportagen in den Nachrichten und Zeitungen ließen Birgit nicht mehr schlafen. Und dann las sie den Aufruf des Jugendamtes, dass Pflegefamilien für unbegleitete Jugendliche gesucht werden. Das ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Im Urlaub diskutierte sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn das Pro und Contra.
Alle mit im Boot
Auch die 29-jährige Tochter und der 20-jährige Sohn wurden eingebunden. "Es geht uns alle an", sagt Mutter Birgit. Die Meinung des Jüngsten war ganz besonders wichtig, schließlich muss er daheim alles mit tragen. "Heinrich war es zunächst egal. Er lebt gerade in seiner Welt", erzählt Birgit und erinnert sich dabei, wie er sich dann doch beim ersten Besuchstag von Djadi und Memnun* eingebracht und interessiert hat.Birgit und Martin Eckl entschieden sich relativ schnell: Djadi und Memnun sollten neue Mitglieder ihrer Familie werden. Warum gleich zwei? Djadi, 16 Jahre, kommt genau wie Memnun, zwölf Jahre, aus der Nähe von Aleppo, und Djadi hatte dessen Familie versprochen auf Memnun aufzupassen. Das sollte bei der Vermittlung der Jugendlichen natürlich berücksichtigt werden. Immerhin haben die beiden eine monatelange Flucht hinter sich: Mit dem Boot nach Izmir, von dort nach Griechenland, Slowenien, schließlich Österreich, München und Coburg.
Plötzlich ging alles ganz schnell
Im Hause Eckl gibt es ein Zimmer für beide - sogar mit eigenem Bad. Polizeiliches Führungszeugnis, Gesundheitsbestätigung, ein Infogespräch und die Darlegung der Beweggründe waren wichtige Voraussetzungen für die Pflegeeltern. Dann folgten zwei Besuche. Nur wenige Tage später rief das Jugendamt an und fragte: "Wann können Sie kommen und die Jungs holen? Die beiden sind total begeistert."Das ging selbst Birgit zu schnell. Zwei Tage brauchte sie noch, um Zuhause alles vorzubereiten. Dann stand sie mit Heinrich in Rödental vor der Tür der Unterbringung. "Es herrschte Tohuwabohu: Neue Kinder wurden gebracht, einige sollten abgeholt werden, andere verlegt. Betten mussten bezogen, Essen gemacht werden. Es gab viel zu wenig Helfer für viel zu viele Jugendliche", sagt Birgit, die irgendwann mit ihren drei Jungs leicht verstört im Auto saß und Richtung Ahorn steuerte. Wenigstens zwei Krankenscheine wurden ihr ausgestellt, damit sie im Notfall mit ihnen zum Arzt gehen kann.
Essen ist kein einfaches Thema
Daheim angekommen, hatten die beiden erst mal richtig Hunger. Birgit hatte ein syrisches Festtagsgericht gekocht. "Das hab ich vorher noch nie gemacht. Es war total lecker", erzählt sie und öffnet ihren Kühlschrank. "Hier sieht es seit einer Woche ein bisschen aus wie auf einem türkischen Basar", sagt sie und lacht. Es sei schließlich noch Eingewöhnungsphase. "Versuch und Irrtum" beschreibt sie die ersten Tage am Esstisch. "Bis ich wusste, was die beiden mögen, verging eine Weile. Ungetoastetes Weißbrot, Hart- und Schafskäse, kein Schweinefleisch - klar - dafür lieber Huhn lautet die Bilanz nach einer Woche. Noch was: Nutella zum Frühstück und nie mehr Sauerbraten. "Das fanden die beiden nämlich ziemlich eklig. Obwohl es doch ,Cow‘ war," sagt Birgit und lacht dabei.
Deutschland tickt anders
Birgit ist Krankenschwester und arbeitet in Teilzeit. Am kommenden Montag geht der Schichtdienst wieder los. Bis dahin möchte sie die beiden Jungs in der Spur haben. Das sei gar nicht einfach und scheitere manchmal an ganz banalen Dingen. Morgens aufstehen und pünktlich den Bus erreichen, um rechtzeitig beim Deutschunterricht in Rödental zu sein, ist gar nicht so einfach. Die Jungs sind es nämlich nicht gewohnt, dass ein Zug oder ein Bus tatsächlich pünktlich fährt. In Syrien ticken die Uhren etwas anders.Ein anderes Beispiel: Die Sprache. Memnun spricht weder Englisch noch Deutsch - nur Arabisch, Djadi kann ein bisschen Englisch. Sie können kein Schild lesen, ihre bisherige Sprache bestand aus Zeichen, nicht aus Buchstaben. Sie schreiben von rechts nach links, verstehen nicht, warum es der Mond und die Sonne heißt.
Der 16-Jährige lerne schnell und sei sehr ehrgeizig, sagt Birgit, nennt ihn gar einen "Überflieger". Er möchte Medizin studieren wie seine Schwester. Sein Vater ist Englischlehrer. Seine Familie hat ihn losgeschickt, um irgendwann die Eltern und Geschwister nachzuholen.
In Syrien heißt es nämlich, dass Asylbewerber in Deutschland ihre Familien nachholen können. Für Djadi und Memnun war es ein Schock, als sie erfuhren, dass das für sie gar nicht in Frage kommt. Asyl können sie erst mit 18 Jahren beantragen, bis dahin haben sie lediglich Bleiberecht.
Jeden Tag wird's besser
Kontakt nach Hause haben die beiden. Übers Handy. Memnun telefoniert regelmäßig, Djadi schreibt Whatsapp-Nachrichten. Die Bilder aus der Heimat hat er seinen Pflegeeltern gezeigt: Eine einfach Steinhütte mit einem Teppich in der Mitte - das war sein Zuhause."Was denken die Kinder hier bei uns?", fragt sich Birgit. "Wie erleben sie unsere vollgestopften Wohnungen?" Memnun freut sich über jedes Detail, jedes Geschenk, lacht beim Schach mit Heinrich. Der sagt nach sieben Tagen: "Es war eine schöne Woche!" Memnun baut Legomonster zusammen und hat ganz ordentlich seinen Kleiderschrank eingeräumt. "Unterhosen fehlen", hat Birgit bemerkt. Nach dem Einkauf bei Ikea, wo die beiden sich ihr Zimmer einrichten durften, wird es nächstes Wochenende zum Unterwäsche-Shoppen gehen.
Weder Helden noch Gutmenschen
Jeden Tag läuft es etwas besser. Birgit und Martin freuen sich darüber sehr - auch, weil all ihre Freunde und ihre Familie so hinter der Entscheidung stehen. "Sie helfen uns, wo sie können!" Schließlich, und das ist den beiden sehr wichtig, "sind wir weder Helden noch Gutmenschen." Es mache einfach auch Spaß zu sehen, wie jeder einzelne helfen kann. "Die beiden sind tolle Jungs, aber wir wissen auch nicht, wie alles weiter geht", sagt Martin ohne Pessimismus zu verbreiten. Er lacht "seine Jungs" an und die grinsen zurück.Nächste Woche, wenn Birgit wieder arbeiten muss, dürfte es noch mal spannend werden: Ob die beiden Jungen morgens allein aufstehen und pünktlich zum Unterricht in Rödental sind? Gut, dass die Eckls eine Whatsapp-Gruppe eingerichtet haben. "In unserer Boygroup sind wir alle drin und wenn die beiden nicht mehr weiter wissen oder sich verlaufen, schicken sie uns einfach ein Foto und schon sitzt einer von uns im Auto und sammelt sie ein."
* Die Namen wurden aus Rücksicht auf die Jugendlichen von der Redaktion geändert.