Experiment mit Bad Rodacher Mittelschüler geglückt
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Donnerstag, 28. Juni 2018
Sechs Monate begleitete die Lernberaterin Nicole Kollarsch die 6. Klasse der Mittelschule in Bad Rodach. Was hat sich verändert?
Ein lustiger Elternabend! Kaum vorstellbar - aber es gab ihn tatsächlich. Die Mütter und Väter der 6. Klasse der Mittelschule Bad Rodach waren gekommen, um sich einen Zwischenstand über das Projekt geben zu lassen, das die Lernberaterin Nicole Kollarsch im zweiten Schulhalbjahr mit ihren Kindern durchführt.
Klassenleiterin Brigitte Schnabel hatte sich im Herbst auf den ausgeschriebenen Wettbewerb gemeldet. Gesucht war damals eine Schulklasse mit besonderen Merkmalen: "angespannt, unkonzentriert, ungeduldig, laut und hektisch" stand in der Ausschreibung. "Ich wollte meinen Schülern das Handwerkszeug an die Hand geben, damit sie ihre Leistungen optimieren können", sagt die Lehrerin. Per Los fiel tatsächlich die Wahl auf ihre Klasse.
Seitdem besucht Nicole Kollarsch die 19 Schüler in regelmäßigen Abständen und trainiert Entspannungstechniken, Koordination und Bewegung. Auf die Bestimmung der Lerntypen folgte eine komplette Umsetzung innerhalb der Klasse. Konzentrationsübungen und eine Duftlampe helfen den Kindern beim Lernen.
Bessere Leistungen
Doch zurück zum Elternabend. Bemerkenswert viele Väter und Mütter kamen und berichteten von den Fortschritten, die ihre Kinder gemacht haben. "Unser Sohn hat davon sehr profitiert. Er sitzt jetzt in der Klasse an dem für ihn geeigneten Platz, wo er den Unterricht aufmerksam verfolgt. Er hat gezeigt und erklärt bekommen, wie er am besten lernen sollte. Seine schulischen Leistungen haben sich durch die Umsetzung dieser beiden Kriterien verbessert", sagt Tamara Timander. Die Mutter ist sich sicher, dass ihr Sohn Noten erzielen wird, wenn er umsetzt, was Nicole Kollarsch ihm beigebraht hat. Lustig war der Abend auch, weil die Eltern die Spiele und Übungen ausprobieren konnten, die auch ihre Kinder mit Frau Kollarsch machen. So, wie es den Schülern Spaß macht, machte es auch den Mütter und Vätern Spaß. In der Klasse erzählt Justin wie lustig es war, seinem Gegenüber drei Minuten lang fest in die Augen zu schauen, um dann das Gesicht beschreiben zu können. Edi gefiel, dass er gechillt den Geschichten zuhören konnte, die die Konzentrationstrainerin vorgelesen hat. Mohammed: "Ich kann mich besser konzentrieren, um meine Englisch-Vokabeln zu lernen!" Lukas findet die Überraschungskiste toll und sein Namensvetter das Gummiband, auf das er seine Füße ablegen kann.
Von den Ergebnissen nach nur fünf Monaten ist auch die Klassenlehrerin begeistert. Total interessant war für sie die Veränderung der Sitzordnung und die Auswirkungen. "Manches wusste ich einfach nicht. Es ist bemerkenswert, wie die Schüler ihren Platz jetzt behaupten und im kommenden Schuljahr mit der neuen Lehrerein auch darüber sprechen wollen."
Gut drauf einstellen
Die Konzentrationsübungen lassen sich gut in den Unterricht einbauen. "Es ist wirklich gut, wenn man als Lehrerin weiß, welche Lerntypen in der Klasse vertreten sind und in welcher Häufigkeit. Dann kann ich mich gut drauf einstellen", sagt sie.
Chance genutzt
Und was sagt die Lernberaterin? Nicole Kollarsch ist zunächst einmal traurig, dass das Projekt schon zu Ende geht. "Ich werde die Kinder vermissen!" Auch sie hatte nicht damit gerechnet, dass das Projekt so toll angenommen wird und umgesetzt werden kann. Es sei beeindruckend, was da passiert ist. "Die Kinder haben ihre Chance genutzt, waren mit Freude dabei. Da war kein Motzen und Murren, sie waren selbst neugierig, was da bewirkt werden kann", so ihr Fazit. Es sei ein Experiment gewesen. "Und das ist geglückt", sagt sie stolz. Das bestätigt auch Manuela Oppel, Rektorin der Grund- und Mittelschule Bad Rodach: "Durch das Projekt und die etwas ,andere' Sichtweise auf Schule und unsere Schüler, haben die Kinder, Eltern und Lehrkräfte neue, vielleicht auch manchmal etwas ungewöhnliche Ideen bekommen, um gezielt die Konzentrationsfähigkeit zu trainieren oder Unruhefaktoren auszuschalten. Frau Kollarsch hat durch ihre Beobachtungen und in Zusammenarbeit mit den Schülern, Eltern und Lehrern, jedem Kind individuelle Möglichkeiten aufgezeigt, mit eigenen Lernproblemen besser zurecht zu kommen.
Wir als Schule nehmen viele positive Anregungen mit. Manchmal muss man alte Pfade verlassen und neue Wege gehen, die aber erst beim Gehen entstehen. Deshalb freuen wir uns, dass wir in den Genuss des Projektes kommen durften."
KOMMENTAR
Am Anfang stand der Mut
Die Ausschreibung war mutig - und die sich getraut haben, darauf zu beerben, waren noch mutiger. Denn gesucht war eben nicht die mustergültige Vorzeigeklasse, sondern die mit den unruhigen, hippeligen, lauten Kindern. Immerhin 13 Klassenbewerbungen aus dem Raum Coburg lagen in der Lostrommel, als Nicole Kollarsch die 6. Klasse Bad Rodach zog.
Ihr Konzept war gut ausgeklügelt: Lerntypenbestimmung, Sitzordnung, Klassenduft, Konzentrationsübungen, Entspannungstechniken, Koordinationsspiele. Und prompt stellten sich schon nach den ersten Wochen Erfolge ein. Kinder, Eltern Lehrerin, sogar die Rektorin , alle sind begeistert.
Bemerkenswert ist zweierlei: Zum einen sind es die angewandten Methoden von Nicole Kollarsch, die eigentlich ganz selbstverständlich zur Ausbildung eines Grundschulehrers und damit zur Anwendung in der Praxis gehören sollten. Wo sitzt der Schüler warum am besten? Welcher Lerntyp ist er? - Fragen, die in Anbetracht der immer schwierigeren Ausgangssituationen im Klassenzimmer von einem Pädagogen gestellt und beantwortet werden müssen.
Zum anderen: Sich "fremde" Hilfe und Unterstützung von außen zu holen, und damit einen Einblick in das Konstrukt Schule zu gewähren, hat Courage erfordert. Sowohl von der Lehrerin als auch von der Rektorin. Schließlich wusste auch niemand, wie das Experiment ausgeht. Doch es hat sich gelohnt.
Bleibt zu wünschen, dass noch mehr Schulen diesen Schritt gehen. Die Erfahrungen, das Wissen und der Umgang von Nicole Kollarsch mit den Schülern macht Schule zu einem Lernort, an dem Lernen Spaß macht.
Christiane Lehmann