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Erwin Pelzig als grantelnder Mutmacher in Coburg


Autor: Jochen Berger

Coburg, Samstag, 31. Mai 2014

Nach zwei Jahren kehrt Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig zurück auf die Bühne des Kongresshauses und präsentiert dem Publikum seine ganz eigene Sicht auf Politik und Gesellschaft kurz nach der Europawahl.
Unter dem löchrig gewordenen Cord-Hütli nistet ein kritischer Geist: Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig in Coburg.Foto: Jochen Berger


Narrenkappe oder Doktorhut? Bei Erwin Pelzigs unvermeidlichem Cord-Hütli fällt die Antwort nur scheinbar leicht. Denn wer heute als Kabarettist die Bühne erklimmt, steht nur allzu schnell im Verdacht, nur ein wohlfeiler Spaßmacher zu sein. Einer, der gegen Eintrittsgeld seinen Zuhörern zwei, drei Stunden lang die gar so böse Wirklichkeit mit allerlei Pointen mehr oder minder schön redet oder wahlweise den moralischen Eiferer gibt.

Philosoph mit Cord-Hütli

Ein bisschen aufregen, ein bisschen polemisieren - das befreit von der Anstrengung, tatsächlich etwas ändern zu müssen in diesem Staat, in dieser Welt.

Erwin Pelzigs Cord-Hütli aber, längst abgegriffen, ja löchrig geworden nach vielen Bühnenjahren, ist in Wahrheit die perfekte Tarnkappe für einen Sinnsucher.
Cord-Hütli, Trachtenjoppe, rotweiß-kariertes Hemd und hässliches Herren-Handtäschli sind die Insignien eines Philosophen des Alltags, dessen Erkenntnisse sich als vermeintlich schlichte Pointen verkleiden. Wenn der Würzburger Kabarettist Frank-Markus Barwasser seine Paraderolle als Erwin Pelzig spielt, betritt ein unermüdlicher Welterklärer die Bühne des ausverkauften Coburger Kongresshauses.
Wer sich die triste Wirklichkeit in Politik und Wirtschaft nur allzu gerne schön reden will, ist freilich bei Pelzig ganz und gar an der falschen Adresse. Mit scheinbar simplen Vergleichen bringt er vielmehr die Kulissen des schönen Scheins nach wenigen Sätzen zum Einsturz.

Kunst der Vereinfachung

Barwassers Kunst als Erwin Pelzig ist die Kunst der Vereinfachung, die im Grunde die Kunst der Desillusionierung ist. Mit Blick auf die Europawahlen vor wenigen Tagen jedenfalls kommt Pelzig zur Schlussfolgerung: "Märkte brauchen keine Wahlen, denn Wahlen bedeuten Unsicherheit."
Und angesichts der fachlichen Kompetenz des gegenwärtig agierenden politischen Personals präsentiert Pelzig einen irritierend einfachen Vorschlag: politische Ämter nicht per Wahl, sondern per Losziehung zu besetzen. Was ist gerecht? Immer wieder kommt Barwassers Pelzig auf diese Frage zurück. Damit aus dem Räsonieren nicht irgendwann doch ein ermüdender Monolog wird, hat Barwasser mehrfach Szenen mit den Pelzig-Antipoden Hartmut und Dr. Göbel eingebaut, die im Dreier-Disput mit den Rätseln dieser Welt ringen.

Entwaffnende Logik

Denn im Grunde ist dieser Erwin Pelzig ein faustisches Gemüt - einer, der wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält. Einen Pakt mit dem Teufel muss er jedoch anders als Faust nicht schließen - stattdessen kann er mit Hartmut und Dr. Göbel streiten.
Warum aber liebt das Publikum diesen Erwin Pelzig noch immer? Weil sich dieser Durchschnittstyp ganz wunderbar als Projektionsfläche mit Wiedererkennungswert eignet?
Oder weil dieser Pelzig die Gabe besitzt, die komplizierte Wirklichkeit auf einen ganz einfachen Nenner zu bringen?
Das Geschacher um die Besetzung des EU-Kommissionspräsidenten zum Beispiel formuliert Pelzig mit entwaffnender Logik so: Das Votum des Wählers ist aus seiner Sicht letztlich nur "ein unverbindlicher Serviervorschlag".
Das Publikum folgt ihm jedenfalls bei dieser fast dreistündigen Reise in die Nacht bis zum Schluss sehr konzentriert und hat am Ende noch die Kraft für ausdauernden Beifall.