Erst die Sprache, dann der Job
Autor: Simone Bastian
Coburg, Mittwoch, 02. März 2016
Das Bundesarbeitsministerium und die Agentur für Arbeit stellen zusätzliche Mittel bereit, um Flüchtlingen schneller zu Jobs zu verhelfen.
"Wir wollen, dass die Menschen, die bei uns bleiben, in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kommen." Diesen Satz hat Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD) schon oft gesagt - gestern hörte ihn Anette Kramme, Bundestagsabgeordnete (SPD) und Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium. Kramme tourt derzeit durch Deutschland, um Eindrücke zu sammeln, wie sie sagte: "Um bewerten zu können, welche weiteren Schritte in der Arbeitsmarktpolitik erforderlich sind."
Wer als Asylbewerber anerkannt oder als Kriegsflüchtling geduldet ist, darf nach drei Monaten eine Arbeit aufnehmen. Dann müssen die Jobcenter zwar prüfen, ob es keine einheimischen Bewerber für den Posten gibt, aber diese Prüfung, sagt Kramme, werde angesichts der Arbeitsmarktsituation in der Regel großzügig gehandhabt. Außerdem muss der potenzielle Arbeitgeber nachweisen, dass er den neuen Mitarbeiter zu regulären Bedingungen beschäftigen will. "um zu verhindern, dass es Dumping gibt", wie Anette Kramme sagt.
Angebote liegen vor
Viele Flüchtlinge wollen arbeiten und eigenes Geld verdienen, doch als Hindernis erweist sich immer wieder die Sprache. "Wir haben konkrete Angebote von Coburger Industrieunternehmen, die über ihren Bedarf hinaus ausbilden würden", sagt Thomas Nowak, Sozialreferent und Dritter Bürgermeister (SPD). Doch auch, wenn die möglichen Azubis schon zwei Jahre Deutschkurs und Berufsschulunterricht hinter sich haben, reiche das Sprachniveau für eine Ausbildung nicht aus. Zwar gebe es Ausnahmen wie einen Coburger Unternehmer, der sage, "die sollen kommen und arbeiten", doch das sei die Ausnahme, berichtet Nowak."Bei den wenigsten Flüchtlingen wird es gelingen, sie kurzfristig in den Arbeitsmarkt zu bringen", sagt auch Kramme. Über die Agentur für Arbeit wurden 100 Millionen Euro für zusätzliche Sprachkurse bereitgestellt. Außerdem wurden die Mittel aufgestockt, um die vorhandenen Langzeitarbeitslosen zu betreuen.
Doch ob das Geld reichen wird oder wie viel in den nächsten Jahren noch dazu kommen muss, vermag noch niemand zu sagen. Denn es weiß auch niemand, wie die Flüchtlingszahlen sich entwickelt werden. "Von 200 anerkannten Flüchtlingen in Coburg sind derzeit 88 beim Jobcenter als arbeitssuchend registriert", sagt Thomas Nowak.
Erst spät "ins System"
530 weitere Asylbewerber in Coburg befinden sich derzeit noch im Anerkennungsverfahren, bei etwa der Hälfte ist wahrscheinlich, dass sie bleiben dürfen. Bei den anderen muss dies das Verfahren zeigen. "Es gibt sieben Faktoren, von denen die Zahlen abhängen. Daraus Planzahlen zu machen, ist die Kunst", erläutert Anette Kramme. Generell dauere es zu lange, bis die Flüchtlinge "ins System" der staatlichen Arbeitsvermittlung kommen, sagt Kramme. Sie rechnet damit, dass die Arbeitslosenzahlen im zweiten Quartal merklich steigen, weil erst dann nach und nach die Flüchtlinge erfasst werden, die 2015 kamen. Die Stadt will ab Sommer sechs Berufsschulklassen zur Berufsvorbereitung und Integration anbieten; Ziel ist, damit alle jugendlichen Asylbewerber zwischen 16 und 21 Jahren zu erreichen, wie Nowak erläuterte. Vermittelt werden soll dabei auch, dass es sich lohnt, den langen Weg einer Ausbildung zu gehen. Das duale Ausbildungssystem, wie es in Deutschland praktiziert wird, ist im Rest der Welt nahezu unbekannt. Viele Flüchtlinge können zwar Zertifikate vorlegen, doch dann muss geklärt werden, welche Qualifikation sie tatsächlich haben. Das will das Arbeitsministerium erleichtern und hat dafür zwei eigene Programme aufgelegt.
"Die Sozialverwaltung muss alle Angebote auf dem Schirm haben und koordinieren, damit keine Doppelstrukturen entstehen", stellte OB Tessmer fest. Der Besuch im Sprachkurs am Beruflichen Fortbildungszentrum habe ihm gezeigt, dass es viele "hoffnungsvolle Ansätze" gebe und "passgenaue Einzelfallentscheidungen" getroffen werden müssten. Denn die Flüchtlinge bringen unterschiedliche Qualifikationen mit, vom Analphabeten bis zum Akademiker. "Wir müssen dort helfen, wo wir helfen können."