Druckartikel: Energiepreise gefährden Existenzen

Energiepreise gefährden Existenzen


Autor: Fajsz Deáky

Neustadt bei Coburg, Montag, 31. Januar 2022

Die hohen Strom- und Gaspreise bedrohen auch unsere oberfränkischen Unternehmen. Das zeigt auch das Beispiel eine Firma mit Sitz in Neustadt.
Die Energiekosten fressen unsere Firmen auf - manche zahlen vom Umsatz nur noch den Strom. Franziska Schäfer


Sechzig Millionen Maschinen Wäsche. So viel könnte man waschen, wenn man die Strom-Menge hätte, die Sauer Polymertechnik verbraucht - 60 000 Megawattstunden im Jahr. Und dass die Produktion der in Neustadt ansässigen Firma so energie-intensiv ist, ist für das Unternehmen jetzt zu einem echten Problem geworden.

Hidden Champion

Die Firma Sauer Polymertechnik ist einer der sogenannten "Hidden Champions", von denen es im Landkreis Coburg einige gibt. Auch wenn man es als Kunde im Supermarkt nicht weiß, die Chance, dass man schon einmal eine Shampoo-Flasche von Sauer in der Hand hatte, ist groß. Denn das Unternehmen verarbeitet Kunststoff, stellt unter anderem Verpackungen für die Kosmetikindustrie her. Das Rohmaterial muss auf 180 bis 200 Grad erhitzt und in Form gebracht werden und dafür braucht es Unmengen an Strom. Eben 60 000 Megawattstunden, die von insgesamt 210 Maschinen verbraucht werden. "Der Preis für den Strom, den wir verbrauchen, ist von 2021 auf 2022 um 500 Prozent gestiegen", sagt Vertriebsleiter Alexander Umlauf-Sauer. Das Unternehmen hat einen Umsatz von rund 120 Millionen Euro im Jahr - und die aktuellen Mehrkosten für den Strom fressen laut Umlauf-Sauer einen zweistelligen Millionenbetrag.

Strom für ein Jahr

Aber, wie funktioniert das eigentlich mit dem Strom, den die Firma verbraucht? "Wir kaufen den Strom an der Strombörse, am sogenannten Terminmarkt", sagt Firmenchefin Silke Sauer. "Man beobachtet täglich die Preisentwicklung und wenn man den Preis für gut hält, kauft man eine gewisse Menge an Strom, um beispielsweise den Bedarf für das kommende Jahr zu decken." Maximal kann man dann Strom für drei Jahre im Voraus kaufen. Die Firma Sauer hat für das Jahr 2022 ihren Strom gekauft - aber nicht, weil der Preis so gut war, sondern weil sie den Strom brauchte und der Stichtag für 2022 erreicht war. Silke Sauer: "Schon im vergangenen Jahr hat sich der enorme Preisanstieg abgezeichnet. Anfang Januar 2021 kostete die Megawattstunde rund 40 bis 50 Euro, im Dezember dann schon um die 200. Es gab auch schon Spitzenpreise von über 300 Euro."

Das heißt, die weltweit steigenden Energiepreise treffen die Firma direkt. Es wirken sich auch die hohen Gaspreise aus, denn auch ein großer Teil des Stroms, der in Deutschland gebraucht wird, wird aus Gas erzeugt. Alexander Umlauf-Sauer: "Und das ist, wenn es noch einige Zeit so weitergeht, existenzbedrohend für uns."

Es geht an die Existenz

Denn die Hersteller bleiben auf einem Teil der Kosten sitzen. Sie können nicht alle Preiserhöhungen an die Kunden weitergeben. Die Kunden sind die großen Marken, die an den Handel gebunden sind. Im Handel herrscht starker Konkurrenzkampf und mit steigenden Preisen verliert man schnell seinen Platz im Regal. Dann ist auch das Shampoo oder der Kosmetikartikel nicht mehr in einer Flasche aus Neustadt im Handel zu finden. Umlauf-Sauer: "Folglich bekommen wir ganz einfach weniger Aufträge." Wie lange kann das noch gut gehen? Vielleicht zwei, maximal drei Jahre, sagt Umlauf-Sauer. Und dann? Sind dann vielleicht sogar Arbeitsplätze im Unternehmen bedroht? "Dann steht die Sicherung des gesamten Unternehmens in Frage! Zurzeit leben wir von der Substanz." Substanz - also die Rücklagen des Unternehmens? "Ja!", sagt Silke Sauer. "2022 arbeiten wir nur für den Strom. Man kann regelrecht zusehen, wie einem das Geld durch die Finger rinnt."

INTERVIEW

Was muss passieren, damit unsere oberfränkischen Unternehmen nicht in eine finstere Zukunft blicken? Dazu haben wir den Coburg/Kronacher Bundestagsabgeordneten und Experten für Außenwirtschaft Jonas Geissler (CSU) gefragt.

Woher kommt die dramatische Lage? Ist es nur, weil die Russen Druck ausüben? Und haben die nur wirtschaftliche Interessen, oder kommen auch die politischen Verwerfungen rund um die Ukraine ins Spiel?

Jonas Geissler: Ich weiß nicht, ob man das 1 zu 1 so beantworten kann. Im vergangenen Jahr entstand der Eindruck, dass die Russen den Druck bewusst ausgeübt haben, weil sie wollten, dass Nord Stream 2 ans Netz geht. Im Moment sieht es auch so aus, als ob nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Druck im Hinblick auf die Ukraine dahinter steckt. Hinzu kommt, dass die Unsicherheit auf den Märkten auch durch Hedgefonds ausgenutzt wird, die die Preisspirale zusätzlich befeuern.

Hat die EU nicht selber zu der Situation beigetragen? Immerhin hat sie darauf gedrängt, dass der Gashandel, auch mit Russland, nach marktwirtschaftlichen Regeln laufen solle. Und jetzt liefern die Russen ihr Gas eben dahin, wo bessere Preise zu erzielen sind, zum Beispiel Asien und Lateinamerika?

Das kann man so nicht sagen. In Amerika, zumindest in Nordamerika, sind die Preise nicht sehr hoch. In Asien sind sie das traditionell schon, aber der Verbrauch durch die Unternehmen wird dort auch staatlich klar reguliert. Im Moment haben wir die Lage, dass Gas-Tank-Schiffe, die sonst den asiatischen Markt bedient haben, bereits nach Europa umgeleitet werden, weil sich hier hohe Preise erzielen lassen. Aber wir haben in Deutschland keine Anlegestelle für solche Gas-Schiffe. Das läuft alles über Rotterdam. Heißt: Das Gas ist zwar in Europa, aber nicht in Deutschland. Hier sind dringend Investitionen nötig.

Brauchen wir trotzdem eine Lösung mit Russland?

Ja, ohne die geht es nicht. Aber wir brauchen eine Lösung, die für die osteuropäischen Länder akzeptabel ist. Aber wirtschaftspolitisch geht es nicht anders: Nord Stream 2 muss ans Netz. Alleine, damit sich der Markt reguliert. Wir haben im Moment ein klassisches Marktversagen: Im das Gas- und Stromgeschäft sind Spekulanten unterwegs, weil sich da im Moment eben sehr viel Geld verdienen lässt.

Aber die Lösung ist nicht in Sicht. Was kann denn gerade jetzt getan werden?

Der Staat muss regulierend eingreifen. Die EU hat dazu einen Korb an Maßnahmen erarbeitet, die jetzt umgesetzt werden müssen. Möglich sind die Senkung von Abgaben und Steuern im Energiebereich, bei Privaten die Aussetzung von Energiezahlungen und bei Unternehmen Beihilfen. Beihilfen hieße, dass zum Beispiel eine Preisobergrenze am Markt gesetzt wird, bis zu der die Unternehmen selbst zahlen. Geht es darüber, springt der Staat ein.

Und wann muss das passieren, oder anders gefragt: Wie lange kann es so weitergehen?

Das MUSS jetzt passieren. Wir haben viele Unternehmen in unserer Region, die gesund sind, die volle Auftragsbücher haben. Aber wenn es so weiter geht, ist deren Existenz in Gefahr. Und das ist für viele keine Frage von Jahren - sondern von Monaten! Die Bundesregierung muss jetzt handeln!