Endlich auf eigenen Beinen stehen
Autor: Ulrike Nauer
Coburg, Montag, 20. März 2017
Die Coburger Organisation "Freunde Rumäniens" hat bei der Finanzierung einer Beinprothese für den rumänischen Waisen Sorin geholfen.
Wenn Bettina Fröba-Schultheiß das Video ansieht, das sie vor über 15 Jahren in einem Waisenhaus in der rumänischen Moldauregion aufgenommen hat, gerät sie heute noch in Rage. "Die Zustände waren unglaublich", sagt sie kopfschüttelnd. Viele der Kinder sehen verhärmt und abgemagert aus, haben dunkle Schatten unter den Augen, manche haben sogar blaue Flecken. Schläge und Misshandlungen durch Betreuer sind an der Tagesordnung. Gierig stürzen sich die Kinder im Video auf die Leckereien, die die Coburger ihnen mitgebracht haben. Mittendrin, ein Junge im grünen Pullover: Sorin.
"Er ist mir damals gleich aufgefallen", sagt Bettina Fröba-Schultheiß. "Seine Stärke, seine Willenskraft... er hatte auch Angst, wie die anderen Kinder. Aber er ist auch eine starke Persönlichkeit." 16 Jahre ist der Junge, der außer einer älteren Schwester keine Familie mehr hat, damals alt. Wie die meisten Kinder in dem Heim, hat auch Sorin eine Behinderung: Sein rechtes Bein ist unterhalb des Kniegelenks verkrüppelt.
Kein Holzbein im Gepäck
Seit 1997 ist Bettina Fröba-Schultheiß mit ihrer Hilfsorganisation "Freunde Rumäniens" um die Menschen in der noch immer bitterarmen Moldauregion bemüht. Dabei trifft sie auch immer wieder auf den Waisenjungen Sorin. Ein Besuch ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: "Eine Freundin aus Rumänien hatte mir damals geschrieben, ich möchte bitte ein Holzbein mitbringen", erzählt Bettina Fröba-Schultheiß schmunzelnd. Das Holzbein war für einen behinderten Jungen bestimmt, der unbedingt Fußball spielen wollte: Sorin. Sogar die gewünschten Maße hatte die Freundin mitgeteilt. Bettina Fröba-Schultheiß ist einigermaßen ratlos, weiß nicht, wie sie den Wunsch erfüllen soll. Schließlich reist sie nach Rumänien - ohne Holzbein.Als Sorin den Karton ausräumte, den die Coburgerin mitgebracht hatte, und darin kein Holzbein fand, sei er in bittere Tränen ausgebrochen. Bettina Fröba-Schultheiß verspricht, sich um eine anständige Prothese für den Jungen zu kümmern.
Zurück in Coburg nimmt sie zu einem Bekannten Kontakt auf, der Mitglied beim Serviceclub Round Table ist. Nach einigen Anrufen des Bekannten kommt die erlösende Nachricht: Sorin bekommt eine Prothese. Im folgenden Sommer holt Bettina Fröba-Schultheiß ihren Schützling nach Coburg - gute 15 Jahre ist das her. Sorin sei so stolz auf seine neue Prothese gewesen, dass er unbedingt kurze Hosen haben wollte, erzählt Bettina Fröba-Schultheiß lachend. "Er hat immer gelinst, ob es die Leute bemerken."
Zurück in Rumänien versucht Sorin, Arbeit zu finden, um sich sein eigenes Leben finanzieren zu können. Die Freunde Rumäniens helfen ihm, ein kleines Apartment einzurichten. Trotzdem verliert sich nach und nach der Kontakt - bis zum vergangenen Sommer, als die Coburgerin "besorgniserregende Nachrichten" über Sorins Schicksal erreichen. "Er lebte auf der Straße und sprach sogar von Selbstmord", erzählt sie. "Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er das nicht einfach nur so daher sagt."
Schweres Schicksal
Bettina Fröba-Schultheiß lässt nicht locker, fliegt nach Rumänien und findet Sorin tatsächlich wieder. Anfang März hat sie ihn erneut nach Coburg geholt - auch, weil aus dem Jungen inzwischen ein Mann geworden ist, der dringend eine neue Prothese braucht. Mit Hilfe ihrer Nachbarin Maria Göllner, die aus Siebenbürgen stammt und Rumänisch spricht, erfährt Bettina Fröba-Schultheiß, was Sorin in den vergangenen Jahren erlebt hat. Zeitweise habe er in einer Näherei geschuftet, dann sei er in einer "dubiosen Fabrik" in Kopenhagen gelandet. "Am Ende reichte sein Geld nur noch für die Fahrt zurück nach Rumänien", übersetzt Maria Göllner.
Schnüre hielten die alte Prothese
Überrascht hat Bettina Fröba-Schultheiß, dass Sorin noch immer mit seiner alten Prothese unterwegs ist. Weil sie ganz ausgeleiert war, hatte sie der junge Mann mit Socken ausgestopft und mit Schnüren befestigt. "Ich habe mich darauf verlassen, dass der rumänische Staat für eine neue Prothese aufkommt", sagt die Coburgerin. Fehlanzeige! Doch in Coburg fand sich zum Glück erneut Hilfe. In der vergangenen Woche hat Sorin eine neue Prothese bekommen, die er stolz vorzeigt. "Ohne die Hilfe von Round Table und das Engagement des Sanitäshauses Haas wäre das aber nicht möglich gewesen, sagt Bettina Fröba-Schultheiß. Die Coburgerin ist gedanklich schon beim nächsten Schritt, endlich eine anständig bezahlte Arbeit für Sorin zu finden. Er arbeite zwar für eine Sicherheitsfirma, verdiene aber kaum genug zum Leben. Immerhin habe ihm sein Chef ein Zimmer in einem Heim für misshandelte Kinder besorgt. "Doch dort sitzt er auf dem Schleudersitz", sagt Bettina Fröba-Schultheiß. Wenn das Zimmer gebraucht werde, müsse Sorin das Heim verlassen. "Menschen mit Behinderung werden in Rumänien noch immer wie Menschen zweiter Klasse behandelt", schimpft die Coburgerin. In der Moldauregion würden Eltern ihre Kinder sogar verstecken, weil deren Behinderung als "Strafe Gottes" angesehen werde. "An Fürsorge denkt dort niemand!"
Deshalb hat sich Bettina Fröba-Schultheiß vorgenommen, selbst tätig zu werden. Sie begleitet Sorin jetzt zurück in seine Heimat und will ausloten, ob der 32-Jährige sich
vielleicht in Hermannstadt (Sibiu) wohl fühlen könnte. "Hermannstadt ist die einzige Chance, die ich für ihn in Rumänien sehe", sagt die Coburgerin. In der 150 000-Einwohner-Stadt haben sich in den letzten Jahren rund 800 deutsche Firmen angesiedelt - Tendenz steigend.