Nach Flucht vor Blutrache: Familie aus Lautertal in Nacht- und Nebelaktion abgeschoben
Autor: Helke Renner
Unterlauter, Samstag, 09. November 2019
Die Davudovs flohen aus Aserbaidschan vor der Blutrache nach Deutschland. Für das Verwaltungsgericht Bayreuth war das kein ausreichender Fluchtgrund. Mitten in der Nacht wird die Familie abgeschoben. Nachbarn und Bekannte sind empört - und wollen etwas tun.
Um 4 Uhr morgens wurden sie aus dem Bett geholt und nach Aserbaidschan zurückgebracht. Alle Bemühungen von Imran Davudov und seiner Frau Ülriyye, sich zusammen mit ihren Kindern Fatima (11 Jahre) und Binnet (9) in Deutschland ein neues Leben aufzubauen, sind vorerst gescheitert.
Flüchtlingsfamilie am frühen Morgen aus den Betten geholt und abgeschoben
Zuletzt lebten sie in Lautertal im Landkreis Coburg - in einem Haus mit Sabine und Bernd Wicklein. "Wir haben nichts mitbekommen", erzählt Sabine Wicklein. Morgens hätten sie an der Tür der Davudovs geklingelt, aber niemand habe aufgemacht. "Erst abends haben sie sich aus Baku gemeldet, ihnen wurden ja die Handys weggenommen." Sie habe kein Verständnis für ein solches Vorgehen, ergänzt Sabine Wicklein. "Die haben über vier Jahre hier gewohnt und durften nicht arbeiten. Das ist eine Zumutung und unmenschlich." Besonders für die Kinder sei die Abschiebung ein traumatisches Erlebnis.
Familie fürchtete in Aserbaidschan um ihr Leben: "Positives Beispiel für gelungene Integration"
2015 waren die Davudovs nach Deutschland gekommen, weil sie um ihr Leben fürchteten. Sie haben Sprachkurse besucht, Imran hatte drei Arbeitsangebote und seine Frau hätte eine Ausbildung zur Konditorin absolvieren können. Die Tochter Fatima ist Schülerin am Gymnasium Ernestinum, Binnet besucht die Grundschule in Dörfles-Esbach und trainiert seit drei Jahren Fußball bei der Spielgemeinschaft von Oberlauter und Unterlauter. Sein Trainer Thorsten Stöhr lobt den Einsatz des Neunjährigen und das Engagement der gesamten Familie für den Verein und nennt sie "ein positives Beispiel für eine gelungene Integration".
Asylantrag wurde abgelehnt: Aserbaidschan gilt als sicher
Alles könnte gut sein. Doch Imran und Ülriyye Davudov erhielten keine Erlaubnis zu arbeiten oder eine Ausbildung zu absolvieren. Ihr Antrag auf Asyl und die "Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft" wurden abgelehnt, der subsidiäre Schutzstatus nicht anerkannt und eine Klage gegen diesen Entscheid vom bayerischen Verwaltungsgericht in Bayreuth abgewiesen. Was letztendlich bedeutet: Die Familie musste zurück nach Aserbaidschan. Freilich, das vorderasiatische Land gilt als sicher und auf den ersten Blick ist es nicht recht verständlich, warum die Familie von dort nach Russland und später nach Deutschland geflüchtet ist.
In Aserbaidschan existiert noch immer die Blutrache: Familie fürchtet Zorn ihrer Nachbarn
Aserbaidschan versteht sich laut Verfassung selbst als rechtsstaatliche und demokratische Republik. Dennoch existiert noch immer die Blutrache. Das musste auch Imran erleben und begründete damit seine Flucht. Sein Vater habe einen Nachbarn getötet, weil dieser Imrans Großvater umgebracht habe. Die Angst, selbst Opfer der Blutrache zu werden, veranlasste ihn 2012, mit Frau und Tochter Fatima das Land zu verlassen.
Zunächst flohen sie ins Moskauer Gebiet, wo Imran als Händler arbeitete. Wegen seines südländischen Aussehens sei er von Rechtsradikalen vor seiner Haustür zusammengeschlagen worden, erzählte er dem Gericht. Ülriyye, die ihm zu Hilfe kommen wollte, sei ebenfalls verletzt worden. Tochter Fatima habe das alles mit ansehen müssen. Daraufhin flüchtete die Familie weiter nach Moskau. Doch als Imran von einem Standnachbarn auf dem Basar erfuhr, dass sich jemand nach ihm erkundigt habe, flohen die Davudovs kurz entschlossen nach Deutschland.